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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Die Lage der Prozeßkostenfrage.

Rechtspflege zur selbständigen Ausführung zu. Der Gerichtsvollzieher handelt
nicht, wie der frühere Gerichtsdiener, im Auftrage des Richters, sonderm "im
Auftrage der Partei," die ihn sonderbarerweise mit Handlungen beauftragen
kann, zu denen sie selbst gar keine Befugnis hat. In der Hand der Gerichts¬
vollzieher liegt die Vermittlung des ganzen Prozeßbetriebes; in ihrer Hand
liegt die Vollziehung der Urteile. Wer sich eine Vorstellung davon machen will,
welche Aufgaben ihnen damit gestellt sind, der lese einmal die vom preußischen
Justizminister erlassene Gcschäftsanweisung für die Gerichtsvollzieher vom
24. Juli 1879 mit ihren einhundertachtunddreißig Paragraphen.*) und beant¬
worte sich dann die Frage, ob das Geschäfte sind, die man Menschen von halber
Bildung völlig selbständig zu überlassen wohlgethan habe. Natürlich gehen alle
Fehler und Irrungen, welche die Gerichtsvollzieher bei Ausführung ihrer Ge¬
schäfte begehen, auf Gefahr und Kosten der Parteien.

Die Gerichtsvollzieher erledigen ihre Geschäfte gegen Gcbührenbezug. Die
Gebühren sind sehr reichlich bemessen. So bekommt z. B. der Gerichtsvollzieher,
der Geschäfte an einem auswärtigen Orte besorgt, für jedes dieser Geschäfte die
vollen Reisekosten; sodaß ein Gerichtsvollzieher, der gleichzeitig auswärts drei
Geschäfte vornimmt, die nämlichen Reisekosten dreimal ersetzt bekommt. Alles
Gebührenwesen trägt die Gefahr in sich, daß der Beamte vorzugsweise vom
Standpunkte seines Gebührenbezuges seine Amtsthätigkeit bemißt. Diese Gefahr
wird umso größer, wenn der Beamte nicht in einer höheren Bildung und Ehren¬
stellung ein Gegengewicht gegen die an ihn herantretenden Versuchungen findet.
Kein Zweifel, daß die große Masse der Gerichtsvollzieher -- und es soll ihnen
daraus gar kein Vorwurf gemacht werden -- lediglich vom Standpunkte des
Gebührenbezuges seine Geschäfte betreibt. Für eine so verwickelte Thätigkeit
lassen sich auch keine Gebührengesetze geben, die nicht in ihrer Anwendung vielfach
freien Spielraum ließen. Die daran sich knüpfende Folge ergiebt sich von
selbst. Es giebt Gerichtsvollzieher, deren Einkommen sich auf Tausende beläuft.
Überdies liegt die Gefahr nahe, daß bei dem unmittelbaren Verkehr der Ge¬
richtsvollzieher mit den Parteien noch ganz andre Versuchungen an sie heran¬
treten. Über die Wirksamkeit der Gerichtsvollzieher in der Vollziehuugsinstanz
äußert sich einer der oben gedachten Zeitungsberichte wie folgt: "Die Zwangsvoll¬
streckung ist in den Händen der Gerichtsvollzieher unverhältnismäßig kostspielig
und unsicher geworden. Darüber sind Richter, Rechtsanwälte, Publikum einig,
und selbst die Gerichtsvollzieher werden nicht widersprechen. Niemals sind so
viele Beschwerden über Rechtsanwälte gekommen, als seitdem sie durch die Ge¬
richtsvollzieher die Exekution betreiben. Die Gerichtsvollzieher selbst kommen
zum großen Teile aus dem Disziplinarverfahren kaum heraus. Der Wett¬
bewerb und der eigne Diensteifer, nicht minder das Drängen des Gläubigers



*) Berge. Kayser, Die gesamten Reichsjustizgesetze, Ur. S8.
Die Lage der Prozeßkostenfrage.

Rechtspflege zur selbständigen Ausführung zu. Der Gerichtsvollzieher handelt
nicht, wie der frühere Gerichtsdiener, im Auftrage des Richters, sonderm „im
Auftrage der Partei," die ihn sonderbarerweise mit Handlungen beauftragen
kann, zu denen sie selbst gar keine Befugnis hat. In der Hand der Gerichts¬
vollzieher liegt die Vermittlung des ganzen Prozeßbetriebes; in ihrer Hand
liegt die Vollziehung der Urteile. Wer sich eine Vorstellung davon machen will,
welche Aufgaben ihnen damit gestellt sind, der lese einmal die vom preußischen
Justizminister erlassene Gcschäftsanweisung für die Gerichtsvollzieher vom
24. Juli 1879 mit ihren einhundertachtunddreißig Paragraphen.*) und beant¬
worte sich dann die Frage, ob das Geschäfte sind, die man Menschen von halber
Bildung völlig selbständig zu überlassen wohlgethan habe. Natürlich gehen alle
Fehler und Irrungen, welche die Gerichtsvollzieher bei Ausführung ihrer Ge¬
schäfte begehen, auf Gefahr und Kosten der Parteien.

Die Gerichtsvollzieher erledigen ihre Geschäfte gegen Gcbührenbezug. Die
Gebühren sind sehr reichlich bemessen. So bekommt z. B. der Gerichtsvollzieher,
der Geschäfte an einem auswärtigen Orte besorgt, für jedes dieser Geschäfte die
vollen Reisekosten; sodaß ein Gerichtsvollzieher, der gleichzeitig auswärts drei
Geschäfte vornimmt, die nämlichen Reisekosten dreimal ersetzt bekommt. Alles
Gebührenwesen trägt die Gefahr in sich, daß der Beamte vorzugsweise vom
Standpunkte seines Gebührenbezuges seine Amtsthätigkeit bemißt. Diese Gefahr
wird umso größer, wenn der Beamte nicht in einer höheren Bildung und Ehren¬
stellung ein Gegengewicht gegen die an ihn herantretenden Versuchungen findet.
Kein Zweifel, daß die große Masse der Gerichtsvollzieher — und es soll ihnen
daraus gar kein Vorwurf gemacht werden — lediglich vom Standpunkte des
Gebührenbezuges seine Geschäfte betreibt. Für eine so verwickelte Thätigkeit
lassen sich auch keine Gebührengesetze geben, die nicht in ihrer Anwendung vielfach
freien Spielraum ließen. Die daran sich knüpfende Folge ergiebt sich von
selbst. Es giebt Gerichtsvollzieher, deren Einkommen sich auf Tausende beläuft.
Überdies liegt die Gefahr nahe, daß bei dem unmittelbaren Verkehr der Ge¬
richtsvollzieher mit den Parteien noch ganz andre Versuchungen an sie heran¬
treten. Über die Wirksamkeit der Gerichtsvollzieher in der Vollziehuugsinstanz
äußert sich einer der oben gedachten Zeitungsberichte wie folgt: „Die Zwangsvoll¬
streckung ist in den Händen der Gerichtsvollzieher unverhältnismäßig kostspielig
und unsicher geworden. Darüber sind Richter, Rechtsanwälte, Publikum einig,
und selbst die Gerichtsvollzieher werden nicht widersprechen. Niemals sind so
viele Beschwerden über Rechtsanwälte gekommen, als seitdem sie durch die Ge¬
richtsvollzieher die Exekution betreiben. Die Gerichtsvollzieher selbst kommen
zum großen Teile aus dem Disziplinarverfahren kaum heraus. Der Wett¬
bewerb und der eigne Diensteifer, nicht minder das Drängen des Gläubigers



*) Berge. Kayser, Die gesamten Reichsjustizgesetze, Ur. S8.
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[0567] Die Lage der Prozeßkostenfrage. Rechtspflege zur selbständigen Ausführung zu. Der Gerichtsvollzieher handelt nicht, wie der frühere Gerichtsdiener, im Auftrage des Richters, sonderm „im Auftrage der Partei," die ihn sonderbarerweise mit Handlungen beauftragen kann, zu denen sie selbst gar keine Befugnis hat. In der Hand der Gerichts¬ vollzieher liegt die Vermittlung des ganzen Prozeßbetriebes; in ihrer Hand liegt die Vollziehung der Urteile. Wer sich eine Vorstellung davon machen will, welche Aufgaben ihnen damit gestellt sind, der lese einmal die vom preußischen Justizminister erlassene Gcschäftsanweisung für die Gerichtsvollzieher vom 24. Juli 1879 mit ihren einhundertachtunddreißig Paragraphen.*) und beant¬ worte sich dann die Frage, ob das Geschäfte sind, die man Menschen von halber Bildung völlig selbständig zu überlassen wohlgethan habe. Natürlich gehen alle Fehler und Irrungen, welche die Gerichtsvollzieher bei Ausführung ihrer Ge¬ schäfte begehen, auf Gefahr und Kosten der Parteien. Die Gerichtsvollzieher erledigen ihre Geschäfte gegen Gcbührenbezug. Die Gebühren sind sehr reichlich bemessen. So bekommt z. B. der Gerichtsvollzieher, der Geschäfte an einem auswärtigen Orte besorgt, für jedes dieser Geschäfte die vollen Reisekosten; sodaß ein Gerichtsvollzieher, der gleichzeitig auswärts drei Geschäfte vornimmt, die nämlichen Reisekosten dreimal ersetzt bekommt. Alles Gebührenwesen trägt die Gefahr in sich, daß der Beamte vorzugsweise vom Standpunkte seines Gebührenbezuges seine Amtsthätigkeit bemißt. Diese Gefahr wird umso größer, wenn der Beamte nicht in einer höheren Bildung und Ehren¬ stellung ein Gegengewicht gegen die an ihn herantretenden Versuchungen findet. Kein Zweifel, daß die große Masse der Gerichtsvollzieher — und es soll ihnen daraus gar kein Vorwurf gemacht werden — lediglich vom Standpunkte des Gebührenbezuges seine Geschäfte betreibt. Für eine so verwickelte Thätigkeit lassen sich auch keine Gebührengesetze geben, die nicht in ihrer Anwendung vielfach freien Spielraum ließen. Die daran sich knüpfende Folge ergiebt sich von selbst. Es giebt Gerichtsvollzieher, deren Einkommen sich auf Tausende beläuft. Überdies liegt die Gefahr nahe, daß bei dem unmittelbaren Verkehr der Ge¬ richtsvollzieher mit den Parteien noch ganz andre Versuchungen an sie heran¬ treten. Über die Wirksamkeit der Gerichtsvollzieher in der Vollziehuugsinstanz äußert sich einer der oben gedachten Zeitungsberichte wie folgt: „Die Zwangsvoll¬ streckung ist in den Händen der Gerichtsvollzieher unverhältnismäßig kostspielig und unsicher geworden. Darüber sind Richter, Rechtsanwälte, Publikum einig, und selbst die Gerichtsvollzieher werden nicht widersprechen. Niemals sind so viele Beschwerden über Rechtsanwälte gekommen, als seitdem sie durch die Ge¬ richtsvollzieher die Exekution betreiben. Die Gerichtsvollzieher selbst kommen zum großen Teile aus dem Disziplinarverfahren kaum heraus. Der Wett¬ bewerb und der eigne Diensteifer, nicht minder das Drängen des Gläubigers *) Berge. Kayser, Die gesamten Reichsjustizgesetze, Ur. S8.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/567>, abgerufen am 23.07.2024.