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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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einen Teil, und seine Grenze gegen Holland sei unvorteilhaft. Als Deutscher
kann man von dem Wirken und den Erfolgen Talleyrands nicht ohne Ingrimm
lesen; als Mensch muß man sich der Geisteskraft freuen, die mit einer so nie¬
drigen Seele in einem so garstigen Körper wohnte. Das Wort Legitimität in
dem von ihm erfundenen Sinne hatte wie eine verblendende Zauberformel in
den arabische" Märchen gewirkt.

Das Verdienst, Preußen um Ostfriesland gebracht, von der Nordsee ab¬
gedrängt zu haben, nimmt er uicht für sich in Anspruch; es gebührt dem
hannövrisch-englischen Grafen Münster.

Zu zeigen, aus welchen Gründen, mit welchen Absichten England während
des siebenjährigen Krieges Waffenbrüderschaft mit Preußen machte, würde eine
umständliche Darlegung erfordern, ein Zurückgehen auf die Zeiten des Aachener
Kongresses von 1748, in denen Georgs II. ausdrücklich gegen Preußen ge¬
richtetes System des "Gleichgewichts" sich entwickelte, das Drossen ins Licht
gestellt hat. Begnügen wir uns damit anzuführen, was Friedrich II. nnter
dem 13. Oktober 1755 an den Herzog Karl von Braunschweig schrieb: "Diese
Leute ^die englischen Diplomaten^ wollen, daß ich Frankreich an die Luft setze
und mich an dem Ruhm faltige, ihr Hannoverland gerettet zu haben, das mich
gar nichts angeht; entweder sie wollen mich gröblichst düpiren, oder sie sind
Narren und von lächerlichem Selbstgefühl."

Unser Rückblick führt uns noch nach Straßburg. Wenn Deutschland 1714
im Rastadter Frieden den Elsaß wiedergewonnen hätte, so würde es ihn nach
aller Wahrscheinlichkeit anch 1814 im ersten Pariser Frieden behauptet haben;
das Land wäre uicht verwälscht worden und 1870 nicht erst zu erobern ge¬
wesen. Wie es zugegangen ist, daß es anders gekommen, lassen wir uns von
Ranke erzählen.

Nachdem Frankreich mit seinen übrigen Gegnern 1713 Friedensverträge
geschlossen hatte, die man unter dem Namen des Utrechter Friedens zusammen¬
zufassen pflegt, beschloß der Kaiser, die Waffen in der Hand zu behalten. Ein
großer Teil des Reiches stand dabei ans seiner Seite. Die vorderen Reichs-
kreise, durch ein besondres Abkommen mit der großen Allianz vereinigt, hatten
den Krieg mit Standhaftigkeit ausgehalten, ihre Subsidien gewährt nur in der
Hoffnung, durch eine haltbare Einrichtung der Grenzlande gegen Frankreich
sichergestellt zu werden; sie hatten ans die Herstellung des Elsaß, der Bis¬
tümer und selbst der freien Grafschaft gerechnet. Auch waren die englischen
Minister bei Eröffnung der Unterhandlungen noch der Meinung, die Bestim¬
mungen des westfälischen Friedens und zwar nach der deutschen Auslegung her¬
zustellen; später hielten sie fest, daß wenigstens Straßburg von Frankreich
zurückgegeben werden müsse. Nach und nach aber ließen sie diese Gesichtspunkte
fallen. Wenn ihnen Ludwig XIV. an allen andern Seiten so vieles einräumte,
so forderte er dafür eine minder eifrige Befürwortung der Interessen deS Kaisers.


einen Teil, und seine Grenze gegen Holland sei unvorteilhaft. Als Deutscher
kann man von dem Wirken und den Erfolgen Talleyrands nicht ohne Ingrimm
lesen; als Mensch muß man sich der Geisteskraft freuen, die mit einer so nie¬
drigen Seele in einem so garstigen Körper wohnte. Das Wort Legitimität in
dem von ihm erfundenen Sinne hatte wie eine verblendende Zauberformel in
den arabische» Märchen gewirkt.

Das Verdienst, Preußen um Ostfriesland gebracht, von der Nordsee ab¬
gedrängt zu haben, nimmt er uicht für sich in Anspruch; es gebührt dem
hannövrisch-englischen Grafen Münster.

Zu zeigen, aus welchen Gründen, mit welchen Absichten England während
des siebenjährigen Krieges Waffenbrüderschaft mit Preußen machte, würde eine
umständliche Darlegung erfordern, ein Zurückgehen auf die Zeiten des Aachener
Kongresses von 1748, in denen Georgs II. ausdrücklich gegen Preußen ge¬
richtetes System des „Gleichgewichts" sich entwickelte, das Drossen ins Licht
gestellt hat. Begnügen wir uns damit anzuführen, was Friedrich II. nnter
dem 13. Oktober 1755 an den Herzog Karl von Braunschweig schrieb: „Diese
Leute ^die englischen Diplomaten^ wollen, daß ich Frankreich an die Luft setze
und mich an dem Ruhm faltige, ihr Hannoverland gerettet zu haben, das mich
gar nichts angeht; entweder sie wollen mich gröblichst düpiren, oder sie sind
Narren und von lächerlichem Selbstgefühl."

Unser Rückblick führt uns noch nach Straßburg. Wenn Deutschland 1714
im Rastadter Frieden den Elsaß wiedergewonnen hätte, so würde es ihn nach
aller Wahrscheinlichkeit anch 1814 im ersten Pariser Frieden behauptet haben;
das Land wäre uicht verwälscht worden und 1870 nicht erst zu erobern ge¬
wesen. Wie es zugegangen ist, daß es anders gekommen, lassen wir uns von
Ranke erzählen.

Nachdem Frankreich mit seinen übrigen Gegnern 1713 Friedensverträge
geschlossen hatte, die man unter dem Namen des Utrechter Friedens zusammen¬
zufassen pflegt, beschloß der Kaiser, die Waffen in der Hand zu behalten. Ein
großer Teil des Reiches stand dabei ans seiner Seite. Die vorderen Reichs-
kreise, durch ein besondres Abkommen mit der großen Allianz vereinigt, hatten
den Krieg mit Standhaftigkeit ausgehalten, ihre Subsidien gewährt nur in der
Hoffnung, durch eine haltbare Einrichtung der Grenzlande gegen Frankreich
sichergestellt zu werden; sie hatten ans die Herstellung des Elsaß, der Bis¬
tümer und selbst der freien Grafschaft gerechnet. Auch waren die englischen
Minister bei Eröffnung der Unterhandlungen noch der Meinung, die Bestim¬
mungen des westfälischen Friedens und zwar nach der deutschen Auslegung her¬
zustellen; später hielten sie fest, daß wenigstens Straßburg von Frankreich
zurückgegeben werden müsse. Nach und nach aber ließen sie diese Gesichtspunkte
fallen. Wenn ihnen Ludwig XIV. an allen andern Seiten so vieles einräumte,
so forderte er dafür eine minder eifrige Befürwortung der Interessen deS Kaisers.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/560>, abgerufen am 23.07.2024.