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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Stammverwandtschaft und Waffenbrüderschaft mit England.

seinen Streitkräften würden wir die unsrigen verbinden müssen, und um diese
Aufgabe zu erfüllen, ist es nötig, daß die preußische Monarchie sudstMtiöllö
se hollah ist, ausgerüstet mit allem, was einem unabhängigen Staate zu¬
kommt, fähig, sich Achtung zu verschaffen und Vertrauen einzuflößen. Was
die sächsische Frage betrifft, so erkläre ich Ihnen, daß ich kein sittliches oder
politisches Widerstreben gegen die Einverleibung des ganzen Landes in die
preußische Monarchie hegen könnte, wenn diese Maßregel notwendig wäre, um
Europa ein so großes Gut zu sichern, wie schmerzlich auch für meine Person
der Gedanke wäre, ein so altes Fürstenhaus so schwer betroffen zu sehen."
Doch dann kommt ein Aber. "Wenn aber die Einverleibung Sachsens dazu
dienen soll, Preußen für die Verluste zu entschädigen, welche es durch beun¬
ruhigende und gefährliche Unternehmungen Rußlands erleiden könnte, und Preußen
dazu bringen soll, sich mit nichtverteidigungsfähigcn Grenzen in offenbare Ab¬
hängigkeit von Rußland zu begeben... so halte ich mich durchaus nicht für
ermächtigt, Ew. :c. die geringste Hoffnung zu machen, daß Großbritannien im
Angesichte Europas in eine solche Abmachung willigen werde."

Dabei bleibt Castlereagh. Wenn Preußen, welches durch übereilten Abschluß
des Bündnisses mit Rußland im Februar 1813 sich in die unglückliche Lage
gebracht hatte, eine schlechte Grenze in Polen annehmen zu müssen, diese Ab¬
machung umwirft und sich eine bessere Ostgrenze verschafft, so wird England
ihm Sachsen zubilligen; wenn nicht, dann nicht. Da Friedrich Wilhelm III.
in der richtigen Erkenntnis, daß der Kaiser Alexander der einzige sei, auf den
er sich verlassen könne, mit ihm kein Zerwürfnis haben will, aber dabei bleibt,
Sachsen zu fordern, so schlägt Castlereagh den beiden Gegnern Preußens,
Frankreich und Osterreich, ein Bündnis vor.

Es drängt sich von neuem die Frage auf, wie er dazu gebracht worden
ist, diese bei Talleyrand und Metternich sehr begreifliche, aber bei ihm, kann man
fragen, perfide oder alberne Stellung einzunehmen. Die Antwort ist: Irgend
jemand hat ihm ein Geheimnis verraten, das Geheimnis, daß Leipzig ein großer
Handelsplatz sei. Am 31. Oktober berichtet Talleyrand dem Könige: es sei
Castlereagh vorgestellt worden, daß es doch nicht dem Interesse Englands ent¬
spräche, einen so wichtigen Handelsplatz an einen Staat zu geben, mit dem
England doch vielleicht nicht immer in Frieden leben würde, anstatt es in der
Hand eines Fürsten zu lassen, mit dem England nie in Streit geraten könne.
Der Lord sei über diese Vorhaltung erstaunt ("ztonng) gewesen und beginne zu
fürchten, daß sein Plan dem Handelsinteresse Englands schädlich werden könnte.
(Von einem der Teilnehmer des Kongresses ist die Äußerung aufbewahrt: es
sei zum Erstaunen, was alles englische Staatsmänner nicht wüßten.)

Auf der Rückkehr von Gent nach Paris konnte Talleyrand dem Könige
vortragen, daß er seine Instruktion ausgeführt habe: Preußen bestehe aus zwei
unzusammenhängenden Stücken, habe Mainz nicht erhalten, von Sachsen nnr


Stammverwandtschaft und Waffenbrüderschaft mit England.

seinen Streitkräften würden wir die unsrigen verbinden müssen, und um diese
Aufgabe zu erfüllen, ist es nötig, daß die preußische Monarchie sudstMtiöllö
se hollah ist, ausgerüstet mit allem, was einem unabhängigen Staate zu¬
kommt, fähig, sich Achtung zu verschaffen und Vertrauen einzuflößen. Was
die sächsische Frage betrifft, so erkläre ich Ihnen, daß ich kein sittliches oder
politisches Widerstreben gegen die Einverleibung des ganzen Landes in die
preußische Monarchie hegen könnte, wenn diese Maßregel notwendig wäre, um
Europa ein so großes Gut zu sichern, wie schmerzlich auch für meine Person
der Gedanke wäre, ein so altes Fürstenhaus so schwer betroffen zu sehen."
Doch dann kommt ein Aber. „Wenn aber die Einverleibung Sachsens dazu
dienen soll, Preußen für die Verluste zu entschädigen, welche es durch beun¬
ruhigende und gefährliche Unternehmungen Rußlands erleiden könnte, und Preußen
dazu bringen soll, sich mit nichtverteidigungsfähigcn Grenzen in offenbare Ab¬
hängigkeit von Rußland zu begeben... so halte ich mich durchaus nicht für
ermächtigt, Ew. :c. die geringste Hoffnung zu machen, daß Großbritannien im
Angesichte Europas in eine solche Abmachung willigen werde."

Dabei bleibt Castlereagh. Wenn Preußen, welches durch übereilten Abschluß
des Bündnisses mit Rußland im Februar 1813 sich in die unglückliche Lage
gebracht hatte, eine schlechte Grenze in Polen annehmen zu müssen, diese Ab¬
machung umwirft und sich eine bessere Ostgrenze verschafft, so wird England
ihm Sachsen zubilligen; wenn nicht, dann nicht. Da Friedrich Wilhelm III.
in der richtigen Erkenntnis, daß der Kaiser Alexander der einzige sei, auf den
er sich verlassen könne, mit ihm kein Zerwürfnis haben will, aber dabei bleibt,
Sachsen zu fordern, so schlägt Castlereagh den beiden Gegnern Preußens,
Frankreich und Osterreich, ein Bündnis vor.

Es drängt sich von neuem die Frage auf, wie er dazu gebracht worden
ist, diese bei Talleyrand und Metternich sehr begreifliche, aber bei ihm, kann man
fragen, perfide oder alberne Stellung einzunehmen. Die Antwort ist: Irgend
jemand hat ihm ein Geheimnis verraten, das Geheimnis, daß Leipzig ein großer
Handelsplatz sei. Am 31. Oktober berichtet Talleyrand dem Könige: es sei
Castlereagh vorgestellt worden, daß es doch nicht dem Interesse Englands ent¬
spräche, einen so wichtigen Handelsplatz an einen Staat zu geben, mit dem
England doch vielleicht nicht immer in Frieden leben würde, anstatt es in der
Hand eines Fürsten zu lassen, mit dem England nie in Streit geraten könne.
Der Lord sei über diese Vorhaltung erstaunt («ztonng) gewesen und beginne zu
fürchten, daß sein Plan dem Handelsinteresse Englands schädlich werden könnte.
(Von einem der Teilnehmer des Kongresses ist die Äußerung aufbewahrt: es
sei zum Erstaunen, was alles englische Staatsmänner nicht wüßten.)

Auf der Rückkehr von Gent nach Paris konnte Talleyrand dem Könige
vortragen, daß er seine Instruktion ausgeführt habe: Preußen bestehe aus zwei
unzusammenhängenden Stücken, habe Mainz nicht erhalten, von Sachsen nnr


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[0559] Stammverwandtschaft und Waffenbrüderschaft mit England. seinen Streitkräften würden wir die unsrigen verbinden müssen, und um diese Aufgabe zu erfüllen, ist es nötig, daß die preußische Monarchie sudstMtiöllö se hollah ist, ausgerüstet mit allem, was einem unabhängigen Staate zu¬ kommt, fähig, sich Achtung zu verschaffen und Vertrauen einzuflößen. Was die sächsische Frage betrifft, so erkläre ich Ihnen, daß ich kein sittliches oder politisches Widerstreben gegen die Einverleibung des ganzen Landes in die preußische Monarchie hegen könnte, wenn diese Maßregel notwendig wäre, um Europa ein so großes Gut zu sichern, wie schmerzlich auch für meine Person der Gedanke wäre, ein so altes Fürstenhaus so schwer betroffen zu sehen." Doch dann kommt ein Aber. „Wenn aber die Einverleibung Sachsens dazu dienen soll, Preußen für die Verluste zu entschädigen, welche es durch beun¬ ruhigende und gefährliche Unternehmungen Rußlands erleiden könnte, und Preußen dazu bringen soll, sich mit nichtverteidigungsfähigcn Grenzen in offenbare Ab¬ hängigkeit von Rußland zu begeben... so halte ich mich durchaus nicht für ermächtigt, Ew. :c. die geringste Hoffnung zu machen, daß Großbritannien im Angesichte Europas in eine solche Abmachung willigen werde." Dabei bleibt Castlereagh. Wenn Preußen, welches durch übereilten Abschluß des Bündnisses mit Rußland im Februar 1813 sich in die unglückliche Lage gebracht hatte, eine schlechte Grenze in Polen annehmen zu müssen, diese Ab¬ machung umwirft und sich eine bessere Ostgrenze verschafft, so wird England ihm Sachsen zubilligen; wenn nicht, dann nicht. Da Friedrich Wilhelm III. in der richtigen Erkenntnis, daß der Kaiser Alexander der einzige sei, auf den er sich verlassen könne, mit ihm kein Zerwürfnis haben will, aber dabei bleibt, Sachsen zu fordern, so schlägt Castlereagh den beiden Gegnern Preußens, Frankreich und Osterreich, ein Bündnis vor. Es drängt sich von neuem die Frage auf, wie er dazu gebracht worden ist, diese bei Talleyrand und Metternich sehr begreifliche, aber bei ihm, kann man fragen, perfide oder alberne Stellung einzunehmen. Die Antwort ist: Irgend jemand hat ihm ein Geheimnis verraten, das Geheimnis, daß Leipzig ein großer Handelsplatz sei. Am 31. Oktober berichtet Talleyrand dem Könige: es sei Castlereagh vorgestellt worden, daß es doch nicht dem Interesse Englands ent¬ spräche, einen so wichtigen Handelsplatz an einen Staat zu geben, mit dem England doch vielleicht nicht immer in Frieden leben würde, anstatt es in der Hand eines Fürsten zu lassen, mit dem England nie in Streit geraten könne. Der Lord sei über diese Vorhaltung erstaunt («ztonng) gewesen und beginne zu fürchten, daß sein Plan dem Handelsinteresse Englands schädlich werden könnte. (Von einem der Teilnehmer des Kongresses ist die Äußerung aufbewahrt: es sei zum Erstaunen, was alles englische Staatsmänner nicht wüßten.) Auf der Rückkehr von Gent nach Paris konnte Talleyrand dem Könige vortragen, daß er seine Instruktion ausgeführt habe: Preußen bestehe aus zwei unzusammenhängenden Stücken, habe Mainz nicht erhalten, von Sachsen nnr

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/559>, abgerufen am 23.07.2024.