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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Hans pöhnls volksbühnenspiele.

Der Dritte den Geldbeutel erworb,
Der Vierte einen Eierkorb. (II, S. 168.)

Oder:


Er hat ein Madchen aufgegessen
Und ihre Zopf' sind ihm geschloffen
Zur Nah' heraus, dörr' sie am Ofen. (II, S. 159.)

Oder mau höre eine beliebige Stelle ans dem "armen Heinrich," um von dem
polternden Ton der Rede selbst an lyrischen Stellen ein Bild zu gewinnen.
Der Turmwächter "Berthold spricht mit tiefernstem, aber männlichstarkem
Humor" beim Aufgehen des Vorhanges im ersten Akt:


Halai! Der junge Tag ist flügg',
Schlägt jach der Nachtwolk' ins Genick
Die blut'ge Goldklau! Droht uns Sturm?
Bausback'ger Riese, schnaub' vom Turm
Pechschwarze Flagg' und Wetterhahn!
Sturz um! Reiß aus! Wen ficht es an?
Allein sind wir zwei alte Knaben
Mit unsrer Sipp, Nachteul' und Raben.
Verdorben, was das Glück erworben,
Heißt's hier, und da ist bald gestorben!
Halai! Was sich vernehmen läßt,
Hcrzjnmmer heult und Trübsal bläst. (I, S. 143.)

Und von solchem Gestammel behauptet Pvhnl in seiner Vorrede: "Dieses
Publikum, welches "Ekkehard" versteht und Grimmsche Märchen begreifen kann,
muß auch jene Sprache verstehen, wie sie z. B. aus dem armen Heinrich Hart¬
manns von der Ane in mein Bühnenspiel hinttberflutct." Verstehen wird man
ja schließlich dieses apostrophirte, konsonantenrcichc, paläontologische Deutsch zur
Not, aber Geschmack wird man nicht daran finden, und an die sprachschöpferische
Prosa der Grimmschcn Märchen reicht Pöhnl auch in seinen besten Stellen nicht
hinan. Vor allem haben die Brüder Grimm nicht das Altertümliche mit dem
nationalen verwechselt, sie haben in ihrer Sprache die Überladung an Bildern
vermieden und nicht in der Unbeholfenheit und Schwerfälligkeit des Ausdrucks
seine Volkstümlichkeit gesucht. Dasselbe gilt von Scheffels "Ekkehard."

So ist es also mit den Dramen Pöhnls nach einer unparteiischen Be¬
trachtung bestellt. Er ist keineswegs ohne Begabung, er versteht auch das
Handwerk, welches beim Bühnendichter so wichtig ist, in ausreichendem
Maße. Auch nicht die Wahl seiner Stoffe ist es, die Widerspruch hervorruft,
denn diese Wahl bleibt jedem Dichter ganz frei gestellt, und wenn Römer,
Griechen, Spanier, Engländer auf der deutschen Bühne sich tummeln dürfen,
so ist auch Platz genug für die alten Deutschen und für die Gestalten des
deutschen Märchens und der deutschen Sage. Nur ist ein Bühnenspiel noch
nicht deswegen national, weil deutsche Helme und blonde Zöpfe zur Schau


Hans pöhnls volksbühnenspiele.

Der Dritte den Geldbeutel erworb,
Der Vierte einen Eierkorb. (II, S. 168.)

Oder:


Er hat ein Madchen aufgegessen
Und ihre Zopf' sind ihm geschloffen
Zur Nah' heraus, dörr' sie am Ofen. (II, S. 159.)

Oder mau höre eine beliebige Stelle ans dem „armen Heinrich," um von dem
polternden Ton der Rede selbst an lyrischen Stellen ein Bild zu gewinnen.
Der Turmwächter „Berthold spricht mit tiefernstem, aber männlichstarkem
Humor" beim Aufgehen des Vorhanges im ersten Akt:


Halai! Der junge Tag ist flügg',
Schlägt jach der Nachtwolk' ins Genick
Die blut'ge Goldklau! Droht uns Sturm?
Bausback'ger Riese, schnaub' vom Turm
Pechschwarze Flagg' und Wetterhahn!
Sturz um! Reiß aus! Wen ficht es an?
Allein sind wir zwei alte Knaben
Mit unsrer Sipp, Nachteul' und Raben.
Verdorben, was das Glück erworben,
Heißt's hier, und da ist bald gestorben!
Halai! Was sich vernehmen läßt,
Hcrzjnmmer heult und Trübsal bläst. (I, S. 143.)

Und von solchem Gestammel behauptet Pvhnl in seiner Vorrede: „Dieses
Publikum, welches »Ekkehard« versteht und Grimmsche Märchen begreifen kann,
muß auch jene Sprache verstehen, wie sie z. B. aus dem armen Heinrich Hart¬
manns von der Ane in mein Bühnenspiel hinttberflutct." Verstehen wird man
ja schließlich dieses apostrophirte, konsonantenrcichc, paläontologische Deutsch zur
Not, aber Geschmack wird man nicht daran finden, und an die sprachschöpferische
Prosa der Grimmschcn Märchen reicht Pöhnl auch in seinen besten Stellen nicht
hinan. Vor allem haben die Brüder Grimm nicht das Altertümliche mit dem
nationalen verwechselt, sie haben in ihrer Sprache die Überladung an Bildern
vermieden und nicht in der Unbeholfenheit und Schwerfälligkeit des Ausdrucks
seine Volkstümlichkeit gesucht. Dasselbe gilt von Scheffels „Ekkehard."

So ist es also mit den Dramen Pöhnls nach einer unparteiischen Be¬
trachtung bestellt. Er ist keineswegs ohne Begabung, er versteht auch das
Handwerk, welches beim Bühnendichter so wichtig ist, in ausreichendem
Maße. Auch nicht die Wahl seiner Stoffe ist es, die Widerspruch hervorruft,
denn diese Wahl bleibt jedem Dichter ganz frei gestellt, und wenn Römer,
Griechen, Spanier, Engländer auf der deutschen Bühne sich tummeln dürfen,
so ist auch Platz genug für die alten Deutschen und für die Gestalten des
deutschen Märchens und der deutschen Sage. Nur ist ein Bühnenspiel noch
nicht deswegen national, weil deutsche Helme und blonde Zöpfe zur Schau


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[0544] Hans pöhnls volksbühnenspiele. Der Dritte den Geldbeutel erworb, Der Vierte einen Eierkorb. (II, S. 168.) Oder: Er hat ein Madchen aufgegessen Und ihre Zopf' sind ihm geschloffen Zur Nah' heraus, dörr' sie am Ofen. (II, S. 159.) Oder mau höre eine beliebige Stelle ans dem „armen Heinrich," um von dem polternden Ton der Rede selbst an lyrischen Stellen ein Bild zu gewinnen. Der Turmwächter „Berthold spricht mit tiefernstem, aber männlichstarkem Humor" beim Aufgehen des Vorhanges im ersten Akt: Halai! Der junge Tag ist flügg', Schlägt jach der Nachtwolk' ins Genick Die blut'ge Goldklau! Droht uns Sturm? Bausback'ger Riese, schnaub' vom Turm Pechschwarze Flagg' und Wetterhahn! Sturz um! Reiß aus! Wen ficht es an? Allein sind wir zwei alte Knaben Mit unsrer Sipp, Nachteul' und Raben. Verdorben, was das Glück erworben, Heißt's hier, und da ist bald gestorben! Halai! Was sich vernehmen läßt, Hcrzjnmmer heult und Trübsal bläst. (I, S. 143.) Und von solchem Gestammel behauptet Pvhnl in seiner Vorrede: „Dieses Publikum, welches »Ekkehard« versteht und Grimmsche Märchen begreifen kann, muß auch jene Sprache verstehen, wie sie z. B. aus dem armen Heinrich Hart¬ manns von der Ane in mein Bühnenspiel hinttberflutct." Verstehen wird man ja schließlich dieses apostrophirte, konsonantenrcichc, paläontologische Deutsch zur Not, aber Geschmack wird man nicht daran finden, und an die sprachschöpferische Prosa der Grimmschcn Märchen reicht Pöhnl auch in seinen besten Stellen nicht hinan. Vor allem haben die Brüder Grimm nicht das Altertümliche mit dem nationalen verwechselt, sie haben in ihrer Sprache die Überladung an Bildern vermieden und nicht in der Unbeholfenheit und Schwerfälligkeit des Ausdrucks seine Volkstümlichkeit gesucht. Dasselbe gilt von Scheffels „Ekkehard." So ist es also mit den Dramen Pöhnls nach einer unparteiischen Be¬ trachtung bestellt. Er ist keineswegs ohne Begabung, er versteht auch das Handwerk, welches beim Bühnendichter so wichtig ist, in ausreichendem Maße. Auch nicht die Wahl seiner Stoffe ist es, die Widerspruch hervorruft, denn diese Wahl bleibt jedem Dichter ganz frei gestellt, und wenn Römer, Griechen, Spanier, Engländer auf der deutschen Bühne sich tummeln dürfen, so ist auch Platz genug für die alten Deutschen und für die Gestalten des deutschen Märchens und der deutschen Sage. Nur ist ein Bühnenspiel noch nicht deswegen national, weil deutsche Helme und blonde Zöpfe zur Schau

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/544>, abgerufen am 23.07.2024.