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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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vom wunderschönen Monat Mai.

wichtigste Teil der Symbolik, der Kampf, vergessen. Was daran im Bewußtsein
des Volkes geblieben ist, das ist im Mittelalter in die großen Friihlingsturniere
und später-in die Schützenfeste übergegangen, die ja noch jetzt vielfach mit
einem Gepränge gefeiert werden, welches lebhaft an den Mairitt des Mittelalters
erinnert. Und wenn man noch jetzt die Häuser zur Pfingstzeit mit Birkengrün
und anderen Laube schmückt, so ist das ebenfalls ein Nachklang des alten
Brauches, der in dem Einholen des Maiwagens sich am breitesten entfaltet hat.

Aber das alles ist nichts gegen die Verehrung, welche die Dichter des
Mittelalters dem Maimonat gewidmet haben. Es ist bekannt, wie bei den
Minnesängern Naturgefühl und Liebessehnsucht sich ineinander schlingen, wie
das Erwache" und das Absterben der Natur und des Wachstums in stete Be¬
ziehungen zu deu Vorgängen in der Seele des Menschen treten. Bittere Klage
erheben sie über die Not des Winters, aber sie verkündigen das Lob des
Frühlings und preisen seine Süßigkeit. Freilich nicht aus dem übervollen
Herzen, welches Goethe zu dem Jnbel seines "Mailiedes" begeisterthat, sondern
in gedämpften Tönen und konventionell abgestimmter Empfindung. Was
Dietmar von Else, einer der frühesten Minnedichter, singt:


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das haben hundert andre empfunden lind ähnlich auszudrücken gesucht. Aber
nun tritt ein neues hinzu. Während in alter Zeit wie im Spiel, so auch in
der Dichtung der Gegensatz von Winter und Sommer dargestellt wurde (denn
auf dieser Zweiteilung beruht das altgermanische Jahr), tritt allmählich dem
deutschen Sommer der welsche Fremdling, das Patenkind der lateinischen Rai",
zur Seite, um ihm endlich gar den Rang abzulaufen. Hat der Lenz in den
Liedern des Mittelalters keine Rolle gespielt, so konnte von dem Frühling als
einem spätgcbornen Worte erst recht keine Rede sein. Alle Ehren der jungen
Sommerzeit fallen dem Maien zu, dem man, um ihn vollends zu gewinnen,
durch die Schreibung urvis bald anch ein deutsches Aussehen gab. Ein paarmal
macht ihm der all)<Mit<z, d. i. der April, den Rang streitig, aber mit geringem Erfolg.

Man kann sagen, daß seit dem zwölften Jahrhundert etwa der Mai un¬
bestritten als der Vertreter der goldnen Frühlingszeit gilt. Der Thüringer
Heinrich von Morungen vergleicht die Dame seines Herzens einem wonne-
speudeudeu, süßen Mai. Bald legt man diesen: die Attribute und die Wirkungen
einer Persönlichkeit bei. Er ist reich und führt den Wald an seiner Hand oder
sendet dem Walde Kleider, mit denen er sich schmücken soll. Er löst die Blumen
von den Banden des Reifes, er sendet Briefe in das Land, daß sie seine An¬
kunft verkünden und liegt im Felde gegen den Winter. Ja Walther von der


vom wunderschönen Monat Mai.

wichtigste Teil der Symbolik, der Kampf, vergessen. Was daran im Bewußtsein
des Volkes geblieben ist, das ist im Mittelalter in die großen Friihlingsturniere
und später-in die Schützenfeste übergegangen, die ja noch jetzt vielfach mit
einem Gepränge gefeiert werden, welches lebhaft an den Mairitt des Mittelalters
erinnert. Und wenn man noch jetzt die Häuser zur Pfingstzeit mit Birkengrün
und anderen Laube schmückt, so ist das ebenfalls ein Nachklang des alten
Brauches, der in dem Einholen des Maiwagens sich am breitesten entfaltet hat.

Aber das alles ist nichts gegen die Verehrung, welche die Dichter des
Mittelalters dem Maimonat gewidmet haben. Es ist bekannt, wie bei den
Minnesängern Naturgefühl und Liebessehnsucht sich ineinander schlingen, wie
das Erwache» und das Absterben der Natur und des Wachstums in stete Be¬
ziehungen zu deu Vorgängen in der Seele des Menschen treten. Bittere Klage
erheben sie über die Not des Winters, aber sie verkündigen das Lob des
Frühlings und preisen seine Süßigkeit. Freilich nicht aus dem übervollen
Herzen, welches Goethe zu dem Jnbel seines „Mailiedes" begeisterthat, sondern
in gedämpften Tönen und konventionell abgestimmter Empfindung. Was
Dietmar von Else, einer der frühesten Minnedichter, singt:


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das haben hundert andre empfunden lind ähnlich auszudrücken gesucht. Aber
nun tritt ein neues hinzu. Während in alter Zeit wie im Spiel, so auch in
der Dichtung der Gegensatz von Winter und Sommer dargestellt wurde (denn
auf dieser Zweiteilung beruht das altgermanische Jahr), tritt allmählich dem
deutschen Sommer der welsche Fremdling, das Patenkind der lateinischen Rai»,
zur Seite, um ihm endlich gar den Rang abzulaufen. Hat der Lenz in den
Liedern des Mittelalters keine Rolle gespielt, so konnte von dem Frühling als
einem spätgcbornen Worte erst recht keine Rede sein. Alle Ehren der jungen
Sommerzeit fallen dem Maien zu, dem man, um ihn vollends zu gewinnen,
durch die Schreibung urvis bald anch ein deutsches Aussehen gab. Ein paarmal
macht ihm der all)<Mit<z, d. i. der April, den Rang streitig, aber mit geringem Erfolg.

Man kann sagen, daß seit dem zwölften Jahrhundert etwa der Mai un¬
bestritten als der Vertreter der goldnen Frühlingszeit gilt. Der Thüringer
Heinrich von Morungen vergleicht die Dame seines Herzens einem wonne-
speudeudeu, süßen Mai. Bald legt man diesen: die Attribute und die Wirkungen
einer Persönlichkeit bei. Er ist reich und führt den Wald an seiner Hand oder
sendet dem Walde Kleider, mit denen er sich schmücken soll. Er löst die Blumen
von den Banden des Reifes, er sendet Briefe in das Land, daß sie seine An¬
kunft verkünden und liegt im Felde gegen den Winter. Ja Walther von der


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[0054] vom wunderschönen Monat Mai. wichtigste Teil der Symbolik, der Kampf, vergessen. Was daran im Bewußtsein des Volkes geblieben ist, das ist im Mittelalter in die großen Friihlingsturniere und später-in die Schützenfeste übergegangen, die ja noch jetzt vielfach mit einem Gepränge gefeiert werden, welches lebhaft an den Mairitt des Mittelalters erinnert. Und wenn man noch jetzt die Häuser zur Pfingstzeit mit Birkengrün und anderen Laube schmückt, so ist das ebenfalls ein Nachklang des alten Brauches, der in dem Einholen des Maiwagens sich am breitesten entfaltet hat. Aber das alles ist nichts gegen die Verehrung, welche die Dichter des Mittelalters dem Maimonat gewidmet haben. Es ist bekannt, wie bei den Minnesängern Naturgefühl und Liebessehnsucht sich ineinander schlingen, wie das Erwache» und das Absterben der Natur und des Wachstums in stete Be¬ ziehungen zu deu Vorgängen in der Seele des Menschen treten. Bittere Klage erheben sie über die Not des Winters, aber sie verkündigen das Lob des Frühlings und preisen seine Süßigkeit. Freilich nicht aus dem übervollen Herzen, welches Goethe zu dem Jnbel seines „Mailiedes" begeisterthat, sondern in gedämpften Tönen und konventionell abgestimmter Empfindung. Was Dietmar von Else, einer der frühesten Minnedichter, singt: ^ü?, MI Icnmst uns <Iiu iM, tlo' IclvInvN VSKSlIlUS S!>>M',, <!ii gruouot ^vol ain liuäe broii, «srAimgsn ist Ahr vintsr l»no. un Siut, MII'U dluninou wol g'od!>,Q iiokvn ,'in diei' luMo 1r 8vlnii, das haben hundert andre empfunden lind ähnlich auszudrücken gesucht. Aber nun tritt ein neues hinzu. Während in alter Zeit wie im Spiel, so auch in der Dichtung der Gegensatz von Winter und Sommer dargestellt wurde (denn auf dieser Zweiteilung beruht das altgermanische Jahr), tritt allmählich dem deutschen Sommer der welsche Fremdling, das Patenkind der lateinischen Rai», zur Seite, um ihm endlich gar den Rang abzulaufen. Hat der Lenz in den Liedern des Mittelalters keine Rolle gespielt, so konnte von dem Frühling als einem spätgcbornen Worte erst recht keine Rede sein. Alle Ehren der jungen Sommerzeit fallen dem Maien zu, dem man, um ihn vollends zu gewinnen, durch die Schreibung urvis bald anch ein deutsches Aussehen gab. Ein paarmal macht ihm der all)<Mit<z, d. i. der April, den Rang streitig, aber mit geringem Erfolg. Man kann sagen, daß seit dem zwölften Jahrhundert etwa der Mai un¬ bestritten als der Vertreter der goldnen Frühlingszeit gilt. Der Thüringer Heinrich von Morungen vergleicht die Dame seines Herzens einem wonne- speudeudeu, süßen Mai. Bald legt man diesen: die Attribute und die Wirkungen einer Persönlichkeit bei. Er ist reich und führt den Wald an seiner Hand oder sendet dem Walde Kleider, mit denen er sich schmücken soll. Er löst die Blumen von den Banden des Reifes, er sendet Briefe in das Land, daß sie seine An¬ kunft verkünden und liegt im Felde gegen den Winter. Ja Walther von der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/54>, abgerufen am 23.07.2024.