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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Das Schulgeld.

geltend gemachten Gründe, nämlich dem, daß durch die Unentgeltlichkeit des
Volksschnlunterrichts eine Vereinigung der Kinder aller Stände in der Volks¬
schule und dadurch eine Milderung der sozialen Klassenunterschiede erzielt werde;
denn durch die Unentgeltlichkeit des Volksschuluuterrichts würden Privatschulen
mit Volksschulzielen so gut wie ausgeschlossen, dann müßten also alle diejenigen,
denen es ihre Mittel nicht erlauben, ihre Kinder in höhere Unterrichts-
anstalten zu schicken, die aber bei Beibehaltung des Schulgeldes mit Zuhilfe¬
nahme der Ersparnis an diesen, den Besuch einer Privatschule für ihre Kinder
hätten erschwingen können, die öffentlichen Volksschulen benutzen. Da ferner die
höhern Lehranstalten bereits eine gewisse Vorbildung voraussetzen und zur An¬
eignung dieser nur bei einzelnen Anstalten besondre Vorschulen bestehen, so
müßten, wo solche nicht vorhanden sind, auch die sür den demnächstigen Eintritt
in eine höhere Lehranstalt bestimmten Kinder bis zu diesem Zeitpunkte die öffent¬
lichen Volksschulen besuchen.

Wenn wir diesen Umstünden eine weniger große soziale Bedeutung bei¬
messen, wie dies von vielen Seiten geschieht, so führt uns hierzu die Erwägung,
daß die Kinder derjenigen, deren Vermögenslage nicht einmal den Besuch einer
Mittelschule gestattet, schon jetzt bei weitem zum größten Teile die öffentliche
Volksschule besuchen, da das Schulgeld der Privatschulen stets wesentlich höher
als das der Volksschulen ist, und weil an den meisten Orten Privatschulen gar
nicht bestehen. Die wirklich Reichen aber können immer durch häuslichen Unter¬
richt ihre Kinder von der Volksschule fernhalten.

Man hat noch eine ganze Reihe sozialer Gründe für Beseitigung des Schul¬
geldes angeführt, die zum Teil sehr gewichtig klingen, sich aber bei näherer
Betrachtung als mehr oder weniger verfehlt erweisen. Da ist zunächst der
Vorwurf gegen das Schulgeld, daß dadurch ein großer Teil der Bevölkerung,
nämlich alle, welche Schulgelderlaß wegen Armut genössen, zu Almosencmpfängcrn
herabgewürdigt würden und hierdurch in ihnen Haß gegen die Besitzenden gesäet
oder bei schwächeren Charakteren der Grund zu gewerbsmäßiger Bettelhaftigkeit
gelegt werde. Aus diesem Grunde die Abschaffung des Schulgeldes verlangen,
heißt denn doch das Kind mit dem Bade ausschütten. Man braucht, um diesem
Übelstande zu begegnen, nur nicht mehr, wie es jetzt geschieht, das Erlcchgesnch
jedes Einzelnen abzuwarten, sondern von vornherein, wie bei der Steuerein¬
schätzung, Unbemittelte gar nicht zur Zahlung heranzuziehen; dann kann man
in der Befreiung vom Schulgeld ebenso wenig ein Almosen sehen wie in dem
Steuererlaß.

Ebenso schießt auch der Vorwurf über das Ziel hinaus, das Schulgeld
führe zur Errichtung besondrer Armen- oder doch in ihren Schuldgeldsätzen
verschieden abgestufter Volksschulen mit entsprechend verschieden guten Ein¬
richtungen und scharfe dadurch die sozialen Gegensätze. Solche Einrichtungen
zu treffen nötigt das Schulgeld durchaus nicht, es kann vielmehr durch die Auf-


Das Schulgeld.

geltend gemachten Gründe, nämlich dem, daß durch die Unentgeltlichkeit des
Volksschnlunterrichts eine Vereinigung der Kinder aller Stände in der Volks¬
schule und dadurch eine Milderung der sozialen Klassenunterschiede erzielt werde;
denn durch die Unentgeltlichkeit des Volksschuluuterrichts würden Privatschulen
mit Volksschulzielen so gut wie ausgeschlossen, dann müßten also alle diejenigen,
denen es ihre Mittel nicht erlauben, ihre Kinder in höhere Unterrichts-
anstalten zu schicken, die aber bei Beibehaltung des Schulgeldes mit Zuhilfe¬
nahme der Ersparnis an diesen, den Besuch einer Privatschule für ihre Kinder
hätten erschwingen können, die öffentlichen Volksschulen benutzen. Da ferner die
höhern Lehranstalten bereits eine gewisse Vorbildung voraussetzen und zur An¬
eignung dieser nur bei einzelnen Anstalten besondre Vorschulen bestehen, so
müßten, wo solche nicht vorhanden sind, auch die sür den demnächstigen Eintritt
in eine höhere Lehranstalt bestimmten Kinder bis zu diesem Zeitpunkte die öffent¬
lichen Volksschulen besuchen.

Wenn wir diesen Umstünden eine weniger große soziale Bedeutung bei¬
messen, wie dies von vielen Seiten geschieht, so führt uns hierzu die Erwägung,
daß die Kinder derjenigen, deren Vermögenslage nicht einmal den Besuch einer
Mittelschule gestattet, schon jetzt bei weitem zum größten Teile die öffentliche
Volksschule besuchen, da das Schulgeld der Privatschulen stets wesentlich höher
als das der Volksschulen ist, und weil an den meisten Orten Privatschulen gar
nicht bestehen. Die wirklich Reichen aber können immer durch häuslichen Unter¬
richt ihre Kinder von der Volksschule fernhalten.

Man hat noch eine ganze Reihe sozialer Gründe für Beseitigung des Schul¬
geldes angeführt, die zum Teil sehr gewichtig klingen, sich aber bei näherer
Betrachtung als mehr oder weniger verfehlt erweisen. Da ist zunächst der
Vorwurf gegen das Schulgeld, daß dadurch ein großer Teil der Bevölkerung,
nämlich alle, welche Schulgelderlaß wegen Armut genössen, zu Almosencmpfängcrn
herabgewürdigt würden und hierdurch in ihnen Haß gegen die Besitzenden gesäet
oder bei schwächeren Charakteren der Grund zu gewerbsmäßiger Bettelhaftigkeit
gelegt werde. Aus diesem Grunde die Abschaffung des Schulgeldes verlangen,
heißt denn doch das Kind mit dem Bade ausschütten. Man braucht, um diesem
Übelstande zu begegnen, nur nicht mehr, wie es jetzt geschieht, das Erlcchgesnch
jedes Einzelnen abzuwarten, sondern von vornherein, wie bei der Steuerein¬
schätzung, Unbemittelte gar nicht zur Zahlung heranzuziehen; dann kann man
in der Befreiung vom Schulgeld ebenso wenig ein Almosen sehen wie in dem
Steuererlaß.

Ebenso schießt auch der Vorwurf über das Ziel hinaus, das Schulgeld
führe zur Errichtung besondrer Armen- oder doch in ihren Schuldgeldsätzen
verschieden abgestufter Volksschulen mit entsprechend verschieden guten Ein¬
richtungen und scharfe dadurch die sozialen Gegensätze. Solche Einrichtungen
zu treffen nötigt das Schulgeld durchaus nicht, es kann vielmehr durch die Auf-


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[0523] Das Schulgeld. geltend gemachten Gründe, nämlich dem, daß durch die Unentgeltlichkeit des Volksschnlunterrichts eine Vereinigung der Kinder aller Stände in der Volks¬ schule und dadurch eine Milderung der sozialen Klassenunterschiede erzielt werde; denn durch die Unentgeltlichkeit des Volksschuluuterrichts würden Privatschulen mit Volksschulzielen so gut wie ausgeschlossen, dann müßten also alle diejenigen, denen es ihre Mittel nicht erlauben, ihre Kinder in höhere Unterrichts- anstalten zu schicken, die aber bei Beibehaltung des Schulgeldes mit Zuhilfe¬ nahme der Ersparnis an diesen, den Besuch einer Privatschule für ihre Kinder hätten erschwingen können, die öffentlichen Volksschulen benutzen. Da ferner die höhern Lehranstalten bereits eine gewisse Vorbildung voraussetzen und zur An¬ eignung dieser nur bei einzelnen Anstalten besondre Vorschulen bestehen, so müßten, wo solche nicht vorhanden sind, auch die sür den demnächstigen Eintritt in eine höhere Lehranstalt bestimmten Kinder bis zu diesem Zeitpunkte die öffent¬ lichen Volksschulen besuchen. Wenn wir diesen Umstünden eine weniger große soziale Bedeutung bei¬ messen, wie dies von vielen Seiten geschieht, so führt uns hierzu die Erwägung, daß die Kinder derjenigen, deren Vermögenslage nicht einmal den Besuch einer Mittelschule gestattet, schon jetzt bei weitem zum größten Teile die öffentliche Volksschule besuchen, da das Schulgeld der Privatschulen stets wesentlich höher als das der Volksschulen ist, und weil an den meisten Orten Privatschulen gar nicht bestehen. Die wirklich Reichen aber können immer durch häuslichen Unter¬ richt ihre Kinder von der Volksschule fernhalten. Man hat noch eine ganze Reihe sozialer Gründe für Beseitigung des Schul¬ geldes angeführt, die zum Teil sehr gewichtig klingen, sich aber bei näherer Betrachtung als mehr oder weniger verfehlt erweisen. Da ist zunächst der Vorwurf gegen das Schulgeld, daß dadurch ein großer Teil der Bevölkerung, nämlich alle, welche Schulgelderlaß wegen Armut genössen, zu Almosencmpfängcrn herabgewürdigt würden und hierdurch in ihnen Haß gegen die Besitzenden gesäet oder bei schwächeren Charakteren der Grund zu gewerbsmäßiger Bettelhaftigkeit gelegt werde. Aus diesem Grunde die Abschaffung des Schulgeldes verlangen, heißt denn doch das Kind mit dem Bade ausschütten. Man braucht, um diesem Übelstande zu begegnen, nur nicht mehr, wie es jetzt geschieht, das Erlcchgesnch jedes Einzelnen abzuwarten, sondern von vornherein, wie bei der Steuerein¬ schätzung, Unbemittelte gar nicht zur Zahlung heranzuziehen; dann kann man in der Befreiung vom Schulgeld ebenso wenig ein Almosen sehen wie in dem Steuererlaß. Ebenso schießt auch der Vorwurf über das Ziel hinaus, das Schulgeld führe zur Errichtung besondrer Armen- oder doch in ihren Schuldgeldsätzen verschieden abgestufter Volksschulen mit entsprechend verschieden guten Ein¬ richtungen und scharfe dadurch die sozialen Gegensätze. Solche Einrichtungen zu treffen nötigt das Schulgeld durchaus nicht, es kann vielmehr durch die Auf-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/523>, abgerufen am 23.07.2024.