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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Die Alters- und Invalidenversicherung der Arbeiter.

müssen endlich die für die einzelnen Einleger angesammelten Gelder von Jahr
zu Jahr von neuem berechnet werden. Nun denke man an die Unmenge von
Mühe und Arbeit, die allein hierdurch der Verwaltung der Sammelstellen er¬
wachsen würde. Bei Lebensvcrsichernugs-Gesellschaften auch nur mäßigen Um¬
fanges, bei denen vielleicht 25000 Versicherungen in Kraft bestehen, sind jahr¬
aus jahrein drei Beamte nur mit Ausfertigen der Versicherungsscheine (Policen),
drei weitere mit Ausschreibe" der Quittungen, fernere drei mit Erledigung der
reinen Nechnungsarbeiten beschäftigt. Das ganze Personal setzt sich zusammen
aus fünfundzwanzig bis dreißig Mann, und berechnen wir für jeden 2000 Mark
Gehalt, so ergiebt das schon Verwaltungskosten von 55000 Mark jährlich.

Bei der staatlichen Organisation handelt es sich aber um dreizehn Millionen
Versicherungen. Das würde allein für Beamtengehalte 28^ Millionen Mark
ergeben!

Und doch liegen bei den Versicherungsgesellschaften die Verhältnisse noch
einfacher! Hier hat man es mit Versicherungen zu thun, die freiwillig abge¬
schlossen werden, deren Inhaber ein eignes Interesse daran haben, die Prämien
pünktlich zu zahlen. Thun sie dies nicht, so erlöschen die Versicherungen einfach,
die Gesellschaft hat ihren Gewinn dabei; ihr kann es gleichgiltig sein, ob in
jedem Falle der Zweck der Altersversorgung erreicht wird, wenn nur gleichzeitig
durch Ausdehnung des Geschäfts für immer neuen Zugang an Versicherungen
Sorge getragen wird.

Bei der staatlich organisirten Versicherung liegt die Sache anders. Hier
soll der Zweck der Versorgung in jedem einzelnen Falle erreicht werden. Demnach
sind anch für alle Versichernngspslichtigen Beiträge einzuziehen, und zwar regel¬
mäßig. So lange der einzelne Arbeiter in einundderselben Fabrik beschäftigt
bleibt, kommt der Arbeitgeber für den Beitrag auf. Das wäre ja noch einfach.
Nun aber wechselt der Arbeiter seinen Brodherrn. Da sind Schreibereien er¬
forderlich. Lange andauernde Arbeitslosigkeit bei wirtschaftlichen Krisen machen
eine Prämienzahlung zur Unmöglichkeit. In solchen Fällen sollen die Alters-
versorgnugskassen die fehlenden Beträge decken. Aber es wird sich oft um eine
namhafte Summe handeln, die die einzelnen Kassen nicht so gutwillig werden
hergeben wollen. Untersuchungen in jedem Falle, vielleicht für den einzelnen
Arbeiter, Streitigkeiten, Prozesse werden die Folge sein.

Kurz, soll das Sparsystcm für die staatliche Organisation grundlegend
werden, so wird für jeden einzelnen Arbeiter eine besondre Kontrole erforder¬
lich werden, und bei dreizehn Millionen getrennt zu hunderten Versicherungen mit
ihren ständig Ort und Arbeitsgelegenheit wechselnden, oft arbeitslosen Inhabern
wird der Verwaltungsapparat umfangreich und schwerfällig werden, und die
Kosten dafür werden ins Unermeßliche steigen.

Aber noch ein Punkt läßt die Einführung des Sparsystems bei der staat¬
lichen Altersversorgung mindestens bedenklich erscheinen. Der Zweck der Ver-


Die Alters- und Invalidenversicherung der Arbeiter.

müssen endlich die für die einzelnen Einleger angesammelten Gelder von Jahr
zu Jahr von neuem berechnet werden. Nun denke man an die Unmenge von
Mühe und Arbeit, die allein hierdurch der Verwaltung der Sammelstellen er¬
wachsen würde. Bei Lebensvcrsichernugs-Gesellschaften auch nur mäßigen Um¬
fanges, bei denen vielleicht 25000 Versicherungen in Kraft bestehen, sind jahr¬
aus jahrein drei Beamte nur mit Ausfertigen der Versicherungsscheine (Policen),
drei weitere mit Ausschreibe» der Quittungen, fernere drei mit Erledigung der
reinen Nechnungsarbeiten beschäftigt. Das ganze Personal setzt sich zusammen
aus fünfundzwanzig bis dreißig Mann, und berechnen wir für jeden 2000 Mark
Gehalt, so ergiebt das schon Verwaltungskosten von 55000 Mark jährlich.

Bei der staatlichen Organisation handelt es sich aber um dreizehn Millionen
Versicherungen. Das würde allein für Beamtengehalte 28^ Millionen Mark
ergeben!

Und doch liegen bei den Versicherungsgesellschaften die Verhältnisse noch
einfacher! Hier hat man es mit Versicherungen zu thun, die freiwillig abge¬
schlossen werden, deren Inhaber ein eignes Interesse daran haben, die Prämien
pünktlich zu zahlen. Thun sie dies nicht, so erlöschen die Versicherungen einfach,
die Gesellschaft hat ihren Gewinn dabei; ihr kann es gleichgiltig sein, ob in
jedem Falle der Zweck der Altersversorgung erreicht wird, wenn nur gleichzeitig
durch Ausdehnung des Geschäfts für immer neuen Zugang an Versicherungen
Sorge getragen wird.

Bei der staatlich organisirten Versicherung liegt die Sache anders. Hier
soll der Zweck der Versorgung in jedem einzelnen Falle erreicht werden. Demnach
sind anch für alle Versichernngspslichtigen Beiträge einzuziehen, und zwar regel¬
mäßig. So lange der einzelne Arbeiter in einundderselben Fabrik beschäftigt
bleibt, kommt der Arbeitgeber für den Beitrag auf. Das wäre ja noch einfach.
Nun aber wechselt der Arbeiter seinen Brodherrn. Da sind Schreibereien er¬
forderlich. Lange andauernde Arbeitslosigkeit bei wirtschaftlichen Krisen machen
eine Prämienzahlung zur Unmöglichkeit. In solchen Fällen sollen die Alters-
versorgnugskassen die fehlenden Beträge decken. Aber es wird sich oft um eine
namhafte Summe handeln, die die einzelnen Kassen nicht so gutwillig werden
hergeben wollen. Untersuchungen in jedem Falle, vielleicht für den einzelnen
Arbeiter, Streitigkeiten, Prozesse werden die Folge sein.

Kurz, soll das Sparsystcm für die staatliche Organisation grundlegend
werden, so wird für jeden einzelnen Arbeiter eine besondre Kontrole erforder¬
lich werden, und bei dreizehn Millionen getrennt zu hunderten Versicherungen mit
ihren ständig Ort und Arbeitsgelegenheit wechselnden, oft arbeitslosen Inhabern
wird der Verwaltungsapparat umfangreich und schwerfällig werden, und die
Kosten dafür werden ins Unermeßliche steigen.

Aber noch ein Punkt läßt die Einführung des Sparsystems bei der staat¬
lichen Altersversorgung mindestens bedenklich erscheinen. Der Zweck der Ver-


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[0510] Die Alters- und Invalidenversicherung der Arbeiter. müssen endlich die für die einzelnen Einleger angesammelten Gelder von Jahr zu Jahr von neuem berechnet werden. Nun denke man an die Unmenge von Mühe und Arbeit, die allein hierdurch der Verwaltung der Sammelstellen er¬ wachsen würde. Bei Lebensvcrsichernugs-Gesellschaften auch nur mäßigen Um¬ fanges, bei denen vielleicht 25000 Versicherungen in Kraft bestehen, sind jahr¬ aus jahrein drei Beamte nur mit Ausfertigen der Versicherungsscheine (Policen), drei weitere mit Ausschreibe» der Quittungen, fernere drei mit Erledigung der reinen Nechnungsarbeiten beschäftigt. Das ganze Personal setzt sich zusammen aus fünfundzwanzig bis dreißig Mann, und berechnen wir für jeden 2000 Mark Gehalt, so ergiebt das schon Verwaltungskosten von 55000 Mark jährlich. Bei der staatlichen Organisation handelt es sich aber um dreizehn Millionen Versicherungen. Das würde allein für Beamtengehalte 28^ Millionen Mark ergeben! Und doch liegen bei den Versicherungsgesellschaften die Verhältnisse noch einfacher! Hier hat man es mit Versicherungen zu thun, die freiwillig abge¬ schlossen werden, deren Inhaber ein eignes Interesse daran haben, die Prämien pünktlich zu zahlen. Thun sie dies nicht, so erlöschen die Versicherungen einfach, die Gesellschaft hat ihren Gewinn dabei; ihr kann es gleichgiltig sein, ob in jedem Falle der Zweck der Altersversorgung erreicht wird, wenn nur gleichzeitig durch Ausdehnung des Geschäfts für immer neuen Zugang an Versicherungen Sorge getragen wird. Bei der staatlich organisirten Versicherung liegt die Sache anders. Hier soll der Zweck der Versorgung in jedem einzelnen Falle erreicht werden. Demnach sind anch für alle Versichernngspslichtigen Beiträge einzuziehen, und zwar regel¬ mäßig. So lange der einzelne Arbeiter in einundderselben Fabrik beschäftigt bleibt, kommt der Arbeitgeber für den Beitrag auf. Das wäre ja noch einfach. Nun aber wechselt der Arbeiter seinen Brodherrn. Da sind Schreibereien er¬ forderlich. Lange andauernde Arbeitslosigkeit bei wirtschaftlichen Krisen machen eine Prämienzahlung zur Unmöglichkeit. In solchen Fällen sollen die Alters- versorgnugskassen die fehlenden Beträge decken. Aber es wird sich oft um eine namhafte Summe handeln, die die einzelnen Kassen nicht so gutwillig werden hergeben wollen. Untersuchungen in jedem Falle, vielleicht für den einzelnen Arbeiter, Streitigkeiten, Prozesse werden die Folge sein. Kurz, soll das Sparsystcm für die staatliche Organisation grundlegend werden, so wird für jeden einzelnen Arbeiter eine besondre Kontrole erforder¬ lich werden, und bei dreizehn Millionen getrennt zu hunderten Versicherungen mit ihren ständig Ort und Arbeitsgelegenheit wechselnden, oft arbeitslosen Inhabern wird der Verwaltungsapparat umfangreich und schwerfällig werden, und die Kosten dafür werden ins Unermeßliche steigen. Aber noch ein Punkt läßt die Einführung des Sparsystems bei der staat¬ lichen Altersversorgung mindestens bedenklich erscheinen. Der Zweck der Ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/510>, abgerufen am 25.08.2024.