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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Die Alters- und Invalidenversicherung der Arbeiter.

gegen die äußerste Not bei Erkrankungen und Betriebsunfällen gesetzlich geschützt
sein wird.

Es bleibt nun noch ein Punkt des kaiserlichen Programms zu erfüllen:
die Alters- und Invalidenversicherung der Arbeiter. Aber auch diese sieht ihrer
baldigen gesetzlichen Regelung entgegen. Die betreffenden Entwürfe sind von
der Regierung bereits durchberateu worden und sollen nach Eröffnung der neuen
Session an den Reichstag zur Vorlage gelangen. Die augenblickliche Zusammen¬
setzung des letztern aber bürgt dafür, daß die Bemühungen der Regierung nicht
vergeblich gewesen sein werden, daß zwischen den verschiednen Parteien vielmehr
eine Einigung erzielt werden und ein brauchbares Gesetz aus den Beratungen
des Hauses hervorgehen wird.

Den im ganzen wenig bekannten und auch praktischen Politikern fern¬
liegenden Gegenstand der Alters- und Invalidenversicherung der Arbeiter zu be¬
sprechen und einige wesentliche Punkte, über die man sich bei Durchführung der¬
selben wird schlüssig machen müssen, einer Untersuchung zu unterziehen, ist der
Zweck des vorliegenden Aufsatzes. Ins Auge fassen wollen wir namentlich den
Gegenstand der Versicherung, die Technik ihres Betriebes, die Höhe der Kosten
und die Aufbringung derselbe" bei den Beteiligten, endlich die Organisation und
Verwaltung.

Zweck der Invaliden- und Altersversorgnngsversicherung ist, den Arbeitern
für den Fall der Invalidität oder mit Erreichung eines bestimmten Lebens¬
alters, vielleicht des fünfundsechzigsten Jahres, bis zu ihrem Tode eine jähr¬
liche Rente zu sichern. Wer, so lange er arbeitsfähig war, für sich und seine
Familie gesorgt und seine Kräfte im Dienste der menschlichen Gesellschaft ver¬
braucht hat, der soll im Alter und bei vorzeitiger Invalidität vor der äußersten
Not geschützt werden. Fassen wir den Satz in dieser allgemeinen Form, so
werden wir keinen Arbeiter männlichen oder weiblichen Geschlechts von den
Wohlthaten der Versicherung ausschließen können. Es wird sich also die Ver¬
hinderungspflicht zu erstrecken haben ans sämtliche Fabrikarbeiter, auf die unselb¬
ständigen Handwerker, auf die Hilfsarbeiter, die Ort und Arbeitsgelegenheit
wechseln, auf alle gegen Stücklohn bei sich zu Hause beschäftigten Personen,
vorausgesetzt, daß ihr Arbeitsverdienst einen gewissen höchsten Satz nicht über¬
schreitet, endlich auf die Dienstboten. Bei der Schwierigkeit der Organisation
wird man indes wie bei der Kranken- und Unfallversicherung auch hier nur
schrittweise vorgehen können und einzelne Arbeiterklassen von den Wohlthaten
der Versicherung ausschließen müssen. Die Ausdehnung derselben auf immer
weitere streife wird dann einer spätern Gesetzgebung zufallen.

Es ist natürlich, daß das Recht auf Invaliden- und Altersrente erst durch
eine gewisse Arbeitszeit erworben werden muß, dem: man kann Industriellen
und Arbeitern, die vorzugsweise die Lasten der Versicherung zu tragen haben
werden, nicht zumuten, daß sie Lehrlinge und schwächliche oder kränkliche, bisher


Die Alters- und Invalidenversicherung der Arbeiter.

gegen die äußerste Not bei Erkrankungen und Betriebsunfällen gesetzlich geschützt
sein wird.

Es bleibt nun noch ein Punkt des kaiserlichen Programms zu erfüllen:
die Alters- und Invalidenversicherung der Arbeiter. Aber auch diese sieht ihrer
baldigen gesetzlichen Regelung entgegen. Die betreffenden Entwürfe sind von
der Regierung bereits durchberateu worden und sollen nach Eröffnung der neuen
Session an den Reichstag zur Vorlage gelangen. Die augenblickliche Zusammen¬
setzung des letztern aber bürgt dafür, daß die Bemühungen der Regierung nicht
vergeblich gewesen sein werden, daß zwischen den verschiednen Parteien vielmehr
eine Einigung erzielt werden und ein brauchbares Gesetz aus den Beratungen
des Hauses hervorgehen wird.

Den im ganzen wenig bekannten und auch praktischen Politikern fern¬
liegenden Gegenstand der Alters- und Invalidenversicherung der Arbeiter zu be¬
sprechen und einige wesentliche Punkte, über die man sich bei Durchführung der¬
selben wird schlüssig machen müssen, einer Untersuchung zu unterziehen, ist der
Zweck des vorliegenden Aufsatzes. Ins Auge fassen wollen wir namentlich den
Gegenstand der Versicherung, die Technik ihres Betriebes, die Höhe der Kosten
und die Aufbringung derselbe» bei den Beteiligten, endlich die Organisation und
Verwaltung.

Zweck der Invaliden- und Altersversorgnngsversicherung ist, den Arbeitern
für den Fall der Invalidität oder mit Erreichung eines bestimmten Lebens¬
alters, vielleicht des fünfundsechzigsten Jahres, bis zu ihrem Tode eine jähr¬
liche Rente zu sichern. Wer, so lange er arbeitsfähig war, für sich und seine
Familie gesorgt und seine Kräfte im Dienste der menschlichen Gesellschaft ver¬
braucht hat, der soll im Alter und bei vorzeitiger Invalidität vor der äußersten
Not geschützt werden. Fassen wir den Satz in dieser allgemeinen Form, so
werden wir keinen Arbeiter männlichen oder weiblichen Geschlechts von den
Wohlthaten der Versicherung ausschließen können. Es wird sich also die Ver¬
hinderungspflicht zu erstrecken haben ans sämtliche Fabrikarbeiter, auf die unselb¬
ständigen Handwerker, auf die Hilfsarbeiter, die Ort und Arbeitsgelegenheit
wechseln, auf alle gegen Stücklohn bei sich zu Hause beschäftigten Personen,
vorausgesetzt, daß ihr Arbeitsverdienst einen gewissen höchsten Satz nicht über¬
schreitet, endlich auf die Dienstboten. Bei der Schwierigkeit der Organisation
wird man indes wie bei der Kranken- und Unfallversicherung auch hier nur
schrittweise vorgehen können und einzelne Arbeiterklassen von den Wohlthaten
der Versicherung ausschließen müssen. Die Ausdehnung derselben auf immer
weitere streife wird dann einer spätern Gesetzgebung zufallen.

Es ist natürlich, daß das Recht auf Invaliden- und Altersrente erst durch
eine gewisse Arbeitszeit erworben werden muß, dem: man kann Industriellen
und Arbeitern, die vorzugsweise die Lasten der Versicherung zu tragen haben
werden, nicht zumuten, daß sie Lehrlinge und schwächliche oder kränkliche, bisher


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/507>, abgerufen am 23.07.2024.