Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.Aus den hinterlassenen Papieren eines preußischen Staatsininisters. Mit dieser betrübenden Katastrophe war der Kampf vollständig beendet. Auf unsre Verhandlungen hatten diese Ereignisse nur geringen Einfluß. In der Paulskirche herrschte eine schwüle Luft. Die Linke sah, wie Preuße" In dieser Zeit, es mochte in den letzten Tagen des November sein, erhielt Aus den hinterlassenen Papieren eines preußischen Staatsininisters. Mit dieser betrübenden Katastrophe war der Kampf vollständig beendet. Auf unsre Verhandlungen hatten diese Ereignisse nur geringen Einfluß. In der Paulskirche herrschte eine schwüle Luft. Die Linke sah, wie Preuße» In dieser Zeit, es mochte in den letzten Tagen des November sein, erhielt <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0501" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/201280"/> <fw type="header" place="top"> Aus den hinterlassenen Papieren eines preußischen Staatsininisters.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1569"> Mit dieser betrübenden Katastrophe war der Kampf vollständig beendet.<lb/> Die Truppen blieben noch einige Tage in der Stadt, teils um die Trümmer<lb/> der Barrikaden wegzuräumen, teils um für etwaige Fälle zur Hand zu sein.<lb/> Aber diese traten nicht mehr ein. Es war so ruhig in der Stadt geworden,<lb/> daß sich sogar einige Helden der Bürgerwehr auf der Straße zu zeigen wagten.</p><lb/> <p xml:id="ID_1570"> Auf unsre Verhandlungen hatten diese Ereignisse nur geringen Einfluß.<lb/> Die Linke war jetzt ziemlich gedrückt und kleinmütig; aber auch die Rechte<lb/> konnte ihr Haupt nicht sicher erheben, da mehrere Mitglieder aus der Fraktion<lb/> ausschieden, weil diese der Gegenstand der Volksangriffe sei. Unser Häuflein<lb/> wurde sehr klein. Meinerseits konnte ich diese ängstliche Auffassung nicht<lb/> billigen und stellte daher im Hause den Antrag, die intellektuellen Urheber des<lb/> Aufstandes, welche offenbar in unsrer Mitte wären, gerichtlich zu verfolgen,<lb/> was natürlich nicht geschah. Aber dieser Antrag zog mir eine Mißtrauens¬<lb/> adresse der Demokratie meines Heimatskreises zu, wo unsre stenographischen<lb/> Berichte fleißig gelesen wurden; in dieser Adresse war die Aufforderung ent¬<lb/> halten, ich sollte sofort heimkehren. Daß ich solche Stimmen nicht beachtete,<lb/> versteht sich von selbst; einen sehr komischen Eindruck aber machte es auf mich,<lb/> daß ich gleich darauf eine Vertrauensadresfe aus meinem Kreise erhielt, die zum<lb/> Teil dieselben Unterschriften trug wie jene!</p><lb/> <p xml:id="ID_1571"> In der Paulskirche herrschte eine schwüle Luft. Die Linke sah, wie Preuße»<lb/> sich erhob, und konnte dieses Unglück nicht verhindern. Der König hatte die<lb/> Garden zurückberufen; Wrangel war in Berlin eingezogen und hatte das Rumpf-<lb/> Parlament, das gegen den Willen der Negierung tagte, vertrieben. Über Berlin<lb/> war der Belagerungszustand verhängt; der König hatte ein konservatives Mini¬<lb/> sterium berufen, und der an die Spitze dieses Ministeriums gestellte Graf<lb/> Brandenburg hatte das Wort gesprochen: „Bis hierher und nicht weiter." Die<lb/> Demokratie wollte aber noch nicht die Flinte ins Korn werfen. Ein letzter<lb/> Versuch sollte noch gemacht, eine neue Revolution heraufbeschworen werden.<lb/> Robert Vlum wurde nach Wien geschickt, um dort den Aufstand zu organisiren.<lb/> Sein Treiben wurde entdeckt, und der hochbegabte, aber durch blinde Leidenschaft<lb/> üre geleitete Mann fand sein Ende auf dem Sandhaufen in der Brigittenau.</p><lb/> <p xml:id="ID_1572" next="#ID_1573"> In dieser Zeit, es mochte in den letzten Tagen des November sein, erhielt<lb/> ich Plötzlich ein Schreiben vom Grafen Brandenburg: ich solle sofort nach<lb/> Berlin kommen. Was wollte man von mir? Was war der Zweck dieser Be¬<lb/> rufung? Ich grübelte vergebens und ging endlich zu Nadowitz, der, wie ich<lb/> wußte, wenige Tage vorher von Berlin zurückgekommen war. Er war ein<lb/> Vertrauter des Königs und konnte am besten unterrichtet sein. Nadowitz zögerte,<lb/> mit der Sprache herauszurücken, endlich nahm er mir das Wort ab, vorläufig<lb/> noch nicht über die Sache zu sprechen, und erklärte mir dann: der König sei<lb/> entschlossen, eine feste Regierung wieder herzustellen; Wrangel solle mit starker<lb/> Faust alle revolutionären Bestrebungen nicht nur in Berlin, sondern auch in</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0501]
Aus den hinterlassenen Papieren eines preußischen Staatsininisters.
Mit dieser betrübenden Katastrophe war der Kampf vollständig beendet.
Die Truppen blieben noch einige Tage in der Stadt, teils um die Trümmer
der Barrikaden wegzuräumen, teils um für etwaige Fälle zur Hand zu sein.
Aber diese traten nicht mehr ein. Es war so ruhig in der Stadt geworden,
daß sich sogar einige Helden der Bürgerwehr auf der Straße zu zeigen wagten.
Auf unsre Verhandlungen hatten diese Ereignisse nur geringen Einfluß.
Die Linke war jetzt ziemlich gedrückt und kleinmütig; aber auch die Rechte
konnte ihr Haupt nicht sicher erheben, da mehrere Mitglieder aus der Fraktion
ausschieden, weil diese der Gegenstand der Volksangriffe sei. Unser Häuflein
wurde sehr klein. Meinerseits konnte ich diese ängstliche Auffassung nicht
billigen und stellte daher im Hause den Antrag, die intellektuellen Urheber des
Aufstandes, welche offenbar in unsrer Mitte wären, gerichtlich zu verfolgen,
was natürlich nicht geschah. Aber dieser Antrag zog mir eine Mißtrauens¬
adresse der Demokratie meines Heimatskreises zu, wo unsre stenographischen
Berichte fleißig gelesen wurden; in dieser Adresse war die Aufforderung ent¬
halten, ich sollte sofort heimkehren. Daß ich solche Stimmen nicht beachtete,
versteht sich von selbst; einen sehr komischen Eindruck aber machte es auf mich,
daß ich gleich darauf eine Vertrauensadresfe aus meinem Kreise erhielt, die zum
Teil dieselben Unterschriften trug wie jene!
In der Paulskirche herrschte eine schwüle Luft. Die Linke sah, wie Preuße»
sich erhob, und konnte dieses Unglück nicht verhindern. Der König hatte die
Garden zurückberufen; Wrangel war in Berlin eingezogen und hatte das Rumpf-
Parlament, das gegen den Willen der Negierung tagte, vertrieben. Über Berlin
war der Belagerungszustand verhängt; der König hatte ein konservatives Mini¬
sterium berufen, und der an die Spitze dieses Ministeriums gestellte Graf
Brandenburg hatte das Wort gesprochen: „Bis hierher und nicht weiter." Die
Demokratie wollte aber noch nicht die Flinte ins Korn werfen. Ein letzter
Versuch sollte noch gemacht, eine neue Revolution heraufbeschworen werden.
Robert Vlum wurde nach Wien geschickt, um dort den Aufstand zu organisiren.
Sein Treiben wurde entdeckt, und der hochbegabte, aber durch blinde Leidenschaft
üre geleitete Mann fand sein Ende auf dem Sandhaufen in der Brigittenau.
In dieser Zeit, es mochte in den letzten Tagen des November sein, erhielt
ich Plötzlich ein Schreiben vom Grafen Brandenburg: ich solle sofort nach
Berlin kommen. Was wollte man von mir? Was war der Zweck dieser Be¬
rufung? Ich grübelte vergebens und ging endlich zu Nadowitz, der, wie ich
wußte, wenige Tage vorher von Berlin zurückgekommen war. Er war ein
Vertrauter des Königs und konnte am besten unterrichtet sein. Nadowitz zögerte,
mit der Sprache herauszurücken, endlich nahm er mir das Wort ab, vorläufig
noch nicht über die Sache zu sprechen, und erklärte mir dann: der König sei
entschlossen, eine feste Regierung wieder herzustellen; Wrangel solle mit starker
Faust alle revolutionären Bestrebungen nicht nur in Berlin, sondern auch in
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