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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Aus den hinterlassenen papieren eines preußischen Staatsministers.

seien. Um Truppen in die Stadt zu führen, waren sie fortgeritten, aber schon
vom Thore aus von rohen Pöbelhaufen verfolgt worden, die, wie man uns
versicherte, ein hervorragendes Mitglied der Linken hinterhergehetzt hatte.
Wären sie auf der großen Straße schnell vorwärts geritten, so wären sie sicher
der Gefahr entgangen; leider hatten sie sich in Seitengassen begeben, jagten
dort, von Schüssen und Steinwürfen verfolgt, zwischen hohen Gartenzäunen
hin und her und sprengten endlich in einen offenstehenden Garten hinein. Der
Besitzer stand vor der Thür seines im Garten gelegenen Häuschens; er stellte
schnell die Pferde in seinen Kuhstall und nahm die Verfolgten unter sein Dach.
Lichnowski verbarg sich im Keller; Auerswald begab sich auf den Boden, legte
sich dort in das Bett eines Lehrlings, zog eine Schlafmütze über die Ohren
und spielte den Kranken. Beide wurden gefunden, heraufgeschleppt und, ob¬
gleich sie keine Waffen bei sich geführt hatten, in scheußlicher Weise ermordet.
Lichnowski wurde an einen Baum gebunden und so als Zielscheibe für Sensen-
Hiebe und Schüsse benutzt. Auerswald erhielt zuerst von einem Weibe einen
Schlag mit dem Sonnenschirm ins Gesicht und dann aus nächster Nähe einen
Schuß durch den Kopf; er blieb auf der Stelle tot; seine Leiche wurde nach
mehreren Stunden gefunden. Lichnowski starb nicht so schnell. Er ließ sich
noch in das Bethmannsche Gartenhaus tragen, wo er im Beisein mehrerer schnell
herbeigerufenen Priester verschied. Dort hatte ihn unser Berichterstatter als
noch nicht erkaltete Leiche gefunden.

Nach dieser Mitteilung konnten wir an der Wahrheit derselben nicht mehr
zweifeln. Wir waren alle sehr ergriffen und blieben noch länger zusammen,
um unsern Gefühlen durch gegenseitige Aussprache Luft zu machen. Die Be¬
weggründe zu diesem empörenden Doppelmorde erschienen uns umso weniger
begreiflich, als die Ermordete" keineswegs hervorragende Mitglieder der Versamm¬
lung gewesen waren, ja nicht einmal der entschiedenen Rechten angehört hatten.

Am folgenden Morgen früh ging ich zu der unheilvollen Stelle hin und
ließ mir von dem Gärtner den vollständigen Hergang der traurigen Begebenheit
noch einmal ausführlich erzählen. Der Bericht entsprach völlig dem uns schon
gestern mitgeteilten. Ich trat an den Platz, wo Auerswald gefallen war. Der
Schuß durch den Kopf hatte ihn sofort getötet; er hatte also nach dem Falle
gleich stillgelegen. Deshalb war auch nur eine und zwar eine ganz kleine Blut¬
lache vorhanden. Das Blut war nicht in die Erde gezogen, sondern auf dem
dichten Lehmboden geronnen und zu einem festen Körper erstarrt. Ich nahm
ein Teilchen davon auf ein Stück Papier und schickte es in meinem nächsten
Briefe in die Heimat.

Einige Tage später wurden beide Opfer beerdigt, gleichzeitig mit den ge¬
fallenen Soldaten (einem Offizier und vier Gemeinen). Von den Aufständischen
waren, wenn ich nicht irre, siebzehn geblieben, deren Leichen ich mir im städ¬
tischen Hospital ansah; die Anzahl der Verwundeten wurde nicht bekannt gemacht.


Aus den hinterlassenen papieren eines preußischen Staatsministers.

seien. Um Truppen in die Stadt zu führen, waren sie fortgeritten, aber schon
vom Thore aus von rohen Pöbelhaufen verfolgt worden, die, wie man uns
versicherte, ein hervorragendes Mitglied der Linken hinterhergehetzt hatte.
Wären sie auf der großen Straße schnell vorwärts geritten, so wären sie sicher
der Gefahr entgangen; leider hatten sie sich in Seitengassen begeben, jagten
dort, von Schüssen und Steinwürfen verfolgt, zwischen hohen Gartenzäunen
hin und her und sprengten endlich in einen offenstehenden Garten hinein. Der
Besitzer stand vor der Thür seines im Garten gelegenen Häuschens; er stellte
schnell die Pferde in seinen Kuhstall und nahm die Verfolgten unter sein Dach.
Lichnowski verbarg sich im Keller; Auerswald begab sich auf den Boden, legte
sich dort in das Bett eines Lehrlings, zog eine Schlafmütze über die Ohren
und spielte den Kranken. Beide wurden gefunden, heraufgeschleppt und, ob¬
gleich sie keine Waffen bei sich geführt hatten, in scheußlicher Weise ermordet.
Lichnowski wurde an einen Baum gebunden und so als Zielscheibe für Sensen-
Hiebe und Schüsse benutzt. Auerswald erhielt zuerst von einem Weibe einen
Schlag mit dem Sonnenschirm ins Gesicht und dann aus nächster Nähe einen
Schuß durch den Kopf; er blieb auf der Stelle tot; seine Leiche wurde nach
mehreren Stunden gefunden. Lichnowski starb nicht so schnell. Er ließ sich
noch in das Bethmannsche Gartenhaus tragen, wo er im Beisein mehrerer schnell
herbeigerufenen Priester verschied. Dort hatte ihn unser Berichterstatter als
noch nicht erkaltete Leiche gefunden.

Nach dieser Mitteilung konnten wir an der Wahrheit derselben nicht mehr
zweifeln. Wir waren alle sehr ergriffen und blieben noch länger zusammen,
um unsern Gefühlen durch gegenseitige Aussprache Luft zu machen. Die Be¬
weggründe zu diesem empörenden Doppelmorde erschienen uns umso weniger
begreiflich, als die Ermordete» keineswegs hervorragende Mitglieder der Versamm¬
lung gewesen waren, ja nicht einmal der entschiedenen Rechten angehört hatten.

Am folgenden Morgen früh ging ich zu der unheilvollen Stelle hin und
ließ mir von dem Gärtner den vollständigen Hergang der traurigen Begebenheit
noch einmal ausführlich erzählen. Der Bericht entsprach völlig dem uns schon
gestern mitgeteilten. Ich trat an den Platz, wo Auerswald gefallen war. Der
Schuß durch den Kopf hatte ihn sofort getötet; er hatte also nach dem Falle
gleich stillgelegen. Deshalb war auch nur eine und zwar eine ganz kleine Blut¬
lache vorhanden. Das Blut war nicht in die Erde gezogen, sondern auf dem
dichten Lehmboden geronnen und zu einem festen Körper erstarrt. Ich nahm
ein Teilchen davon auf ein Stück Papier und schickte es in meinem nächsten
Briefe in die Heimat.

Einige Tage später wurden beide Opfer beerdigt, gleichzeitig mit den ge¬
fallenen Soldaten (einem Offizier und vier Gemeinen). Von den Aufständischen
waren, wenn ich nicht irre, siebzehn geblieben, deren Leichen ich mir im städ¬
tischen Hospital ansah; die Anzahl der Verwundeten wurde nicht bekannt gemacht.


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[0500] Aus den hinterlassenen papieren eines preußischen Staatsministers. seien. Um Truppen in die Stadt zu führen, waren sie fortgeritten, aber schon vom Thore aus von rohen Pöbelhaufen verfolgt worden, die, wie man uns versicherte, ein hervorragendes Mitglied der Linken hinterhergehetzt hatte. Wären sie auf der großen Straße schnell vorwärts geritten, so wären sie sicher der Gefahr entgangen; leider hatten sie sich in Seitengassen begeben, jagten dort, von Schüssen und Steinwürfen verfolgt, zwischen hohen Gartenzäunen hin und her und sprengten endlich in einen offenstehenden Garten hinein. Der Besitzer stand vor der Thür seines im Garten gelegenen Häuschens; er stellte schnell die Pferde in seinen Kuhstall und nahm die Verfolgten unter sein Dach. Lichnowski verbarg sich im Keller; Auerswald begab sich auf den Boden, legte sich dort in das Bett eines Lehrlings, zog eine Schlafmütze über die Ohren und spielte den Kranken. Beide wurden gefunden, heraufgeschleppt und, ob¬ gleich sie keine Waffen bei sich geführt hatten, in scheußlicher Weise ermordet. Lichnowski wurde an einen Baum gebunden und so als Zielscheibe für Sensen- Hiebe und Schüsse benutzt. Auerswald erhielt zuerst von einem Weibe einen Schlag mit dem Sonnenschirm ins Gesicht und dann aus nächster Nähe einen Schuß durch den Kopf; er blieb auf der Stelle tot; seine Leiche wurde nach mehreren Stunden gefunden. Lichnowski starb nicht so schnell. Er ließ sich noch in das Bethmannsche Gartenhaus tragen, wo er im Beisein mehrerer schnell herbeigerufenen Priester verschied. Dort hatte ihn unser Berichterstatter als noch nicht erkaltete Leiche gefunden. Nach dieser Mitteilung konnten wir an der Wahrheit derselben nicht mehr zweifeln. Wir waren alle sehr ergriffen und blieben noch länger zusammen, um unsern Gefühlen durch gegenseitige Aussprache Luft zu machen. Die Be¬ weggründe zu diesem empörenden Doppelmorde erschienen uns umso weniger begreiflich, als die Ermordete» keineswegs hervorragende Mitglieder der Versamm¬ lung gewesen waren, ja nicht einmal der entschiedenen Rechten angehört hatten. Am folgenden Morgen früh ging ich zu der unheilvollen Stelle hin und ließ mir von dem Gärtner den vollständigen Hergang der traurigen Begebenheit noch einmal ausführlich erzählen. Der Bericht entsprach völlig dem uns schon gestern mitgeteilten. Ich trat an den Platz, wo Auerswald gefallen war. Der Schuß durch den Kopf hatte ihn sofort getötet; er hatte also nach dem Falle gleich stillgelegen. Deshalb war auch nur eine und zwar eine ganz kleine Blut¬ lache vorhanden. Das Blut war nicht in die Erde gezogen, sondern auf dem dichten Lehmboden geronnen und zu einem festen Körper erstarrt. Ich nahm ein Teilchen davon auf ein Stück Papier und schickte es in meinem nächsten Briefe in die Heimat. Einige Tage später wurden beide Opfer beerdigt, gleichzeitig mit den ge¬ fallenen Soldaten (einem Offizier und vier Gemeinen). Von den Aufständischen waren, wenn ich nicht irre, siebzehn geblieben, deren Leichen ich mir im städ¬ tischen Hospital ansah; die Anzahl der Verwundeten wurde nicht bekannt gemacht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/500>, abgerufen am 23.07.2024.