Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.Aus den hinterlassenen papieren eines preußischen Staatsministers. Hanse stand und mit der Besatzung der Kratzschen Wohnung ab und zu Schüsse Ich habe dieses an sich geringfügigen Ereignisses ausführlicher gedacht, Noch vor Einbruch des Abends traf darmstädtische Artillerie ein; sie Wir durchwanderten nun ungehindert die Straßen. Die Stadt war in Am späten Abend kehrten wir wieder in unser Hotel zurück. Dort traf Aus den hinterlassenen papieren eines preußischen Staatsministers. Hanse stand und mit der Besatzung der Kratzschen Wohnung ab und zu Schüsse Ich habe dieses an sich geringfügigen Ereignisses ausführlicher gedacht, Noch vor Einbruch des Abends traf darmstädtische Artillerie ein; sie Wir durchwanderten nun ungehindert die Straßen. Die Stadt war in Am späten Abend kehrten wir wieder in unser Hotel zurück. Dort traf <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0499" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/201278"/> <fw type="header" place="top"> Aus den hinterlassenen papieren eines preußischen Staatsministers.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1560" prev="#ID_1559"> Hanse stand und mit der Besatzung der Kratzschen Wohnung ab und zu Schüsse<lb/> wechselte. Der Offizier, der einem Manne das Gewehr abgenommen hatte, lag<lb/> gerade im Anschlage und drückte auf einen „Turner" ab, der sich am Fenster<lb/> zeigte. Als bald darauf das Schießen aufhörte, wagten wir uns gemeinsam<lb/> mit jenem Offizier in das Haus, vor dessen Thür ein Doppelposten gestellt<lb/> worden war. Ohne Hindernis gelangten wir in das zwei Treppen hoch ge¬<lb/> legene Kratzsche Zimmer. Der Schrank, welcher das Geld des Gerichtsdirektors<lb/> enthielt, stand unerbrochen mitten im Zimmer; er war so aufgestellt, daß er<lb/> gegen Kugeln, welche durch das Fenster drangen, einigermaßen als Deckung<lb/> hatte dienen können. Zwischen dem Schrank und dem Fenster lag ein wohl¬<lb/> gekleideter „Turner" auf dem Fußboden; eine Kugel war ihm durchs Herz und<lb/> zum Rücken herausgegangen. Der Österreicher hatte gut getroffen. Die übrige<lb/> Besatzung des Hauses war verschwunden. Der Gerichtsdirektor nahm sein Geld<lb/> an sich, und nun durchsuchten wir das Gebäude und fanden in einem Keller<lb/> die hinter Kisten versteckten Aufständischen, denen der jüdische Hauswirt allerlei<lb/> Vorschub geleistet hatte; sie wurden sämtlich festgenommen und auf die Wache<lb/> gebracht.</p><lb/> <p xml:id="ID_1561"> Ich habe dieses an sich geringfügigen Ereignisses ausführlicher gedacht,<lb/> um zu zeigen, wie wenig Mut und Ausdauer die meisten jener Leute hatten,<lb/> die für eine ihnen selbst ganz unklare Idee und auf den Ruf ihnen gänzlich<lb/> unbekannter Personen, hauptsächlich nur aus Liebe zur Rauferei, die Waffen<lb/> führten, und wie leicht sie einzuschüchtern waren. Auch von andern Seiten ist<lb/> mir diese Ansicht bestätigt worden.</p><lb/> <p xml:id="ID_1562"> Noch vor Einbruch des Abends traf darmstädtische Artillerie ein; sie<lb/> räumte die Barrikaden schnell ans, und damit hatte der Krieg sein Ende er¬<lb/> reicht. Von der Dunkelheit begünstigt, mögen sich wohl die „Turner" zurück¬<lb/> gezogen haben; am folgenden Tage war nichts mehr von ihnen zu sehen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1563"> Wir durchwanderten nun ungehindert die Straßen. Die Stadt war in<lb/> ein großes Kriegslager verwandelt. Infanterie, Kavallerie, Artillerie und Pio¬<lb/> niere lagen bunt durcheinander — Preußen, Österreicher, Baiern, Württem¬<lb/> bergs. Badenser, Darmstädter und Nassauer — es wahr eine wahre Muster-<lb/> karte. Von preußischen Regimentern fanden wir das 35. und 38. vor; obgleich<lb/> die Leute kaum etwas im Leibe hatten und nun auf dem harten Steinpflaster<lb/> bivcckiren mußten, waren sie doch munter und gutes Mutes. Auf Veranlassung<lb/> einiger uns bekannten Offiziere trugen uns die Sänger der Kompagnien, zur<lb/> höchsten Verwunderung der Frankfurter, ein paar Soldatenlieder vor. Wir<lb/> schleppten aus Bäckerladen und Brauereien herbei, was noch irgend aufzutreiben<lb/> war, und bemühten uns, so den braven Leuten ihr hartes Los doch etwas zu<lb/> erleichtern.</p><lb/> <p xml:id="ID_1564" next="#ID_1565"> Am späten Abend kehrten wir wieder in unser Hotel zurück. Dort traf<lb/> uns die anfangs bezweifelte Nachricht, daß Auerswald und Lichnowski ermordet</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0499]
Aus den hinterlassenen papieren eines preußischen Staatsministers.
Hanse stand und mit der Besatzung der Kratzschen Wohnung ab und zu Schüsse
wechselte. Der Offizier, der einem Manne das Gewehr abgenommen hatte, lag
gerade im Anschlage und drückte auf einen „Turner" ab, der sich am Fenster
zeigte. Als bald darauf das Schießen aufhörte, wagten wir uns gemeinsam
mit jenem Offizier in das Haus, vor dessen Thür ein Doppelposten gestellt
worden war. Ohne Hindernis gelangten wir in das zwei Treppen hoch ge¬
legene Kratzsche Zimmer. Der Schrank, welcher das Geld des Gerichtsdirektors
enthielt, stand unerbrochen mitten im Zimmer; er war so aufgestellt, daß er
gegen Kugeln, welche durch das Fenster drangen, einigermaßen als Deckung
hatte dienen können. Zwischen dem Schrank und dem Fenster lag ein wohl¬
gekleideter „Turner" auf dem Fußboden; eine Kugel war ihm durchs Herz und
zum Rücken herausgegangen. Der Österreicher hatte gut getroffen. Die übrige
Besatzung des Hauses war verschwunden. Der Gerichtsdirektor nahm sein Geld
an sich, und nun durchsuchten wir das Gebäude und fanden in einem Keller
die hinter Kisten versteckten Aufständischen, denen der jüdische Hauswirt allerlei
Vorschub geleistet hatte; sie wurden sämtlich festgenommen und auf die Wache
gebracht.
Ich habe dieses an sich geringfügigen Ereignisses ausführlicher gedacht,
um zu zeigen, wie wenig Mut und Ausdauer die meisten jener Leute hatten,
die für eine ihnen selbst ganz unklare Idee und auf den Ruf ihnen gänzlich
unbekannter Personen, hauptsächlich nur aus Liebe zur Rauferei, die Waffen
führten, und wie leicht sie einzuschüchtern waren. Auch von andern Seiten ist
mir diese Ansicht bestätigt worden.
Noch vor Einbruch des Abends traf darmstädtische Artillerie ein; sie
räumte die Barrikaden schnell ans, und damit hatte der Krieg sein Ende er¬
reicht. Von der Dunkelheit begünstigt, mögen sich wohl die „Turner" zurück¬
gezogen haben; am folgenden Tage war nichts mehr von ihnen zu sehen.
Wir durchwanderten nun ungehindert die Straßen. Die Stadt war in
ein großes Kriegslager verwandelt. Infanterie, Kavallerie, Artillerie und Pio¬
niere lagen bunt durcheinander — Preußen, Österreicher, Baiern, Württem¬
bergs. Badenser, Darmstädter und Nassauer — es wahr eine wahre Muster-
karte. Von preußischen Regimentern fanden wir das 35. und 38. vor; obgleich
die Leute kaum etwas im Leibe hatten und nun auf dem harten Steinpflaster
bivcckiren mußten, waren sie doch munter und gutes Mutes. Auf Veranlassung
einiger uns bekannten Offiziere trugen uns die Sänger der Kompagnien, zur
höchsten Verwunderung der Frankfurter, ein paar Soldatenlieder vor. Wir
schleppten aus Bäckerladen und Brauereien herbei, was noch irgend aufzutreiben
war, und bemühten uns, so den braven Leuten ihr hartes Los doch etwas zu
erleichtern.
Am späten Abend kehrten wir wieder in unser Hotel zurück. Dort traf
uns die anfangs bezweifelte Nachricht, daß Auerswald und Lichnowski ermordet
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