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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Aus den hinterlassenen Papieren eines preußischen Staatsministers.

kommen würde -- und dabei harrte das Volk vor der Thür der Antwort.
Unzweifelhaft bestanden Fäden der Verbindung zwischen der äußersten Linken
und der draußen wartenden, aufgestachelter Menge. Letztere wollte eindringen;
einige Abgeordnete, unter denen ich den Oberproknrator vom Rhein, v. Kosteritz,
erkannte, hielten die Thür zu. Das Ringen an der Thür begann. Da erschien
eine preußische Patrouille; der Unteroffizier kommandirte: "Fällt's Gewehr!"
und der Volkshaufe stiebte wie ein Flug Spatzen auseinander. Man erzählte
in der Paulskirche, einer der Aufständischen habe einen Bajonnctstich in den
Schenkel erhalten. Das Gerücht durchlief schnell alle Bänke und hatte den
Antrag der Linken zur Folge, daß es jetzt die höchste Zeit sei, die Truppen
zurückzuziehen; die Preußen fingen an zu morden, es wäre schon Blut geflossen,
und die Wut des Löwen, der einmal Blut geleckt habe, wäre bekanntlich un¬
berechenbar. Aber die Preußen blieben auf ihrem Posten.

Was außerhalb unsers Hauses geschah, erfuhr man im Innern nicht; wir
wähnten sogar, es herrsche draußen Ruhe. Die Sitzung hingegen war sehr
unruhig, sodaß sie der Präsident früher als gewöhnlich schloß. Aber wie hatte
sich inzwischen das Aussehen der Straßen geändert! Überall waren Barrikaden
errichtet. Ich mußte bis zu meiner Wohnung deren fünf Passiren, indem ich
über einige hinüberkletterte, andre durch die Nachbarhäuser umging. Nachdem
ich Toilette gemacht hatte, begab ich mich zum Mittagessen nach dem "Englischen
Hofe," wo ich eine zahlreiche Gesellschaft fand. Ich saß an der Tafel neben
Lichnowski; dieser erzählte mir, daß er gleich nach Tische mit Auerswald fort¬
reiten wolle, um darmstädtische Truppen, welche im Anmärsche seien, auf ihm
bekannten Schleichwegen durch die Gärten in die Stadt zu führen, da eine
Verstärkung unsrer Garnison sehr wünschenswert wäre. Frühzeitig stand er
vom Mittagstisch auf und empfahl sich. Bald darauf klopfte es ans Fenster.
Es war Lichnowski, der schon zu Pferde saß und mich fragte, ob er nicht seine
Zigarrentasche habe liegen lassen. Ich fand sie auf seinem Platze und reichte
sie ihm hinaus. Ein zweiter Herr war mit mir ans Fenster getreten. Neben
Lichnowski hielt Auerswald draußen ebenfalls zu Pferde. "Aber, meine Herren
-- sagte mein Nachbar -- wie können Sie bei diesen Unruhen einen Spazierritt
unternehmen?" -- "Allerhöchster Dienst," war die Antwort. Sie sprengten
davon; wir sahen ihnen nach und ahnten nicht, daß wir sie lebend nicht wieder¬
sehen sollten.

Als ich mich wieder ins Zimmer zurückwandte, stellte mir der Landschaftsrat
Kratz ans Wintershagen einen Gerichtsdirektor vor, der eben aus dem Bade
gekommen war und in der Kratzschen Wohnung, die jetzt von den Aufständischen
besetzt war, eine größere Summe Geldes zurückgelassen hatte. Ich schlug ihm
vor, wir wollten in die Stadt gehen und den Versuch machen, ob wir nicht in
sein Haus gelangen könnten. An der Ecke seiner Straße fanden wir einen
Halbzug österreichischer Infanterie, der gedeckt hinter einem vorspringenden


Aus den hinterlassenen Papieren eines preußischen Staatsministers.

kommen würde — und dabei harrte das Volk vor der Thür der Antwort.
Unzweifelhaft bestanden Fäden der Verbindung zwischen der äußersten Linken
und der draußen wartenden, aufgestachelter Menge. Letztere wollte eindringen;
einige Abgeordnete, unter denen ich den Oberproknrator vom Rhein, v. Kosteritz,
erkannte, hielten die Thür zu. Das Ringen an der Thür begann. Da erschien
eine preußische Patrouille; der Unteroffizier kommandirte: „Fällt's Gewehr!"
und der Volkshaufe stiebte wie ein Flug Spatzen auseinander. Man erzählte
in der Paulskirche, einer der Aufständischen habe einen Bajonnctstich in den
Schenkel erhalten. Das Gerücht durchlief schnell alle Bänke und hatte den
Antrag der Linken zur Folge, daß es jetzt die höchste Zeit sei, die Truppen
zurückzuziehen; die Preußen fingen an zu morden, es wäre schon Blut geflossen,
und die Wut des Löwen, der einmal Blut geleckt habe, wäre bekanntlich un¬
berechenbar. Aber die Preußen blieben auf ihrem Posten.

Was außerhalb unsers Hauses geschah, erfuhr man im Innern nicht; wir
wähnten sogar, es herrsche draußen Ruhe. Die Sitzung hingegen war sehr
unruhig, sodaß sie der Präsident früher als gewöhnlich schloß. Aber wie hatte
sich inzwischen das Aussehen der Straßen geändert! Überall waren Barrikaden
errichtet. Ich mußte bis zu meiner Wohnung deren fünf Passiren, indem ich
über einige hinüberkletterte, andre durch die Nachbarhäuser umging. Nachdem
ich Toilette gemacht hatte, begab ich mich zum Mittagessen nach dem „Englischen
Hofe," wo ich eine zahlreiche Gesellschaft fand. Ich saß an der Tafel neben
Lichnowski; dieser erzählte mir, daß er gleich nach Tische mit Auerswald fort¬
reiten wolle, um darmstädtische Truppen, welche im Anmärsche seien, auf ihm
bekannten Schleichwegen durch die Gärten in die Stadt zu führen, da eine
Verstärkung unsrer Garnison sehr wünschenswert wäre. Frühzeitig stand er
vom Mittagstisch auf und empfahl sich. Bald darauf klopfte es ans Fenster.
Es war Lichnowski, der schon zu Pferde saß und mich fragte, ob er nicht seine
Zigarrentasche habe liegen lassen. Ich fand sie auf seinem Platze und reichte
sie ihm hinaus. Ein zweiter Herr war mit mir ans Fenster getreten. Neben
Lichnowski hielt Auerswald draußen ebenfalls zu Pferde. „Aber, meine Herren
— sagte mein Nachbar — wie können Sie bei diesen Unruhen einen Spazierritt
unternehmen?" — „Allerhöchster Dienst," war die Antwort. Sie sprengten
davon; wir sahen ihnen nach und ahnten nicht, daß wir sie lebend nicht wieder¬
sehen sollten.

Als ich mich wieder ins Zimmer zurückwandte, stellte mir der Landschaftsrat
Kratz ans Wintershagen einen Gerichtsdirektor vor, der eben aus dem Bade
gekommen war und in der Kratzschen Wohnung, die jetzt von den Aufständischen
besetzt war, eine größere Summe Geldes zurückgelassen hatte. Ich schlug ihm
vor, wir wollten in die Stadt gehen und den Versuch machen, ob wir nicht in
sein Haus gelangen könnten. An der Ecke seiner Straße fanden wir einen
Halbzug österreichischer Infanterie, der gedeckt hinter einem vorspringenden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/498>, abgerufen am 23.07.2024.