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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Die Weisheit Salomos.

Werkzeug eines andern, gehandelt, er habe bloß des Königs Gebot, der Un¬
berufenen Hände von seines Gartens Früchten abzuwehren, ausgeführt.


Mein aber ist die Schuld, daß ich ihm nicht
Gesagt: die edeln Gäste meines Hauses
Sind frei, darin zu schalten nach Gelüst.

Dem Beschimpften bietet Salomo mit gut gespieltem Ernst die Genugthuung,
ihn, den König, an derselben Körperstelle und mit demselben Stäbe schlagen
zu dürfen, wo er selbst geschlagen worden ist. Ben Jsbcch läßt sich von diesem
Edelsinn bezwingen und bietet dem königlichen Richter versöhnt die Hand. Nun
brechen sie alle zum Mahle auf. "Unser Herz soll fröhlich sein," ruft Salomo
und wendet das letzte Wort an die schöne Gärtnerin: "Auch deines. Sulamith!"
Und wie in Grillparzers Liebestragödie die abgehende Hero durch ihr Um¬
wenden nach dem blitzartig liebgewonnenen Leander ihr Gefühl verrät, so dient
auch hier die gleiche Bewegung dazu, den Sinu Salomos zu verraten.

Nach diesem schönen ersten Akte können wir uns kürzer fassen. Der König
liebt Sulamith, Bailis liebt den König. Warum der König Sulamith liebt,
erklärt er selbst im Gespräche mit ihr.


Weisheit hab' ich selbst. Am Weibe
Dünkt uns ein lieblich Schweigen tausendfach
Beredter, als eine wohlgefügte Rede. . . .
Sie MalkisZ kam in Pracht, mit ihrem Geist zu prunken,
Und ihr antwortete mein Geist, du sprachst
Zu meinen: Herzen, und mein Herz vernahm
Den holden Seelcnlaut und gab ihm Antwort.

Allein Sulamith liebt schon einen andern, sie liebt den Hirten Hadad, mit
dem sie bis vor kurzem die Lämmer geweidet hat. Zwar ist er arm, ein
reicher Oheim quält ihn durch seinen Geiz, Sulamiths Vater will deshalb
von diesem Bräutigam nichts wissen, und das schöne Töchterchen hat schwer
zu kämpfen, um Liebe und Gehorsam in Einklang zu bringen. Die Liebe ist
indes stärker; Sulamith läßt sich an den Abenden von Hadad im Garten finden,
und wenn sie es auch nach keuscher Mädchenart nicht zugestehen will, den
armen Hirten wegen seiner Armut boshaft zappeln läßt, ihm mit dem Ab¬
schiede droht, so ist sie doch aufrichtig treu. Dann findet sie der so schnell ver-
verlicbte König im Garten. Ihre muntern Antworten auf seine Schmeicheleien,
ihre von jeder Koketterie freie Bescheidenheit entzücken ihn. Sie hat natürlich
schon darüber nachgedacht, ob wohl die Königin von Saba den König Salomo
heiraten werde, sie weist immer auf diese als die schönere und tingere hin, was
den werbenden König nur noch mehr für das schöne Kind einnimmt. Aber
Sulamith kann nicht Gefühle heucheln, die sie nicht besitzt. Als der König
einen Kuß von ihr wünscht, da sagt sie "ergeben und mit einem Seufzer":
"Wenn du es wünschest, Herr, so küsse mich! Was dürft' ich dir verweigern,


Die Weisheit Salomos.

Werkzeug eines andern, gehandelt, er habe bloß des Königs Gebot, der Un¬
berufenen Hände von seines Gartens Früchten abzuwehren, ausgeführt.


Mein aber ist die Schuld, daß ich ihm nicht
Gesagt: die edeln Gäste meines Hauses
Sind frei, darin zu schalten nach Gelüst.

Dem Beschimpften bietet Salomo mit gut gespieltem Ernst die Genugthuung,
ihn, den König, an derselben Körperstelle und mit demselben Stäbe schlagen
zu dürfen, wo er selbst geschlagen worden ist. Ben Jsbcch läßt sich von diesem
Edelsinn bezwingen und bietet dem königlichen Richter versöhnt die Hand. Nun
brechen sie alle zum Mahle auf. „Unser Herz soll fröhlich sein," ruft Salomo
und wendet das letzte Wort an die schöne Gärtnerin: „Auch deines. Sulamith!"
Und wie in Grillparzers Liebestragödie die abgehende Hero durch ihr Um¬
wenden nach dem blitzartig liebgewonnenen Leander ihr Gefühl verrät, so dient
auch hier die gleiche Bewegung dazu, den Sinu Salomos zu verraten.

Nach diesem schönen ersten Akte können wir uns kürzer fassen. Der König
liebt Sulamith, Bailis liebt den König. Warum der König Sulamith liebt,
erklärt er selbst im Gespräche mit ihr.


Weisheit hab' ich selbst. Am Weibe
Dünkt uns ein lieblich Schweigen tausendfach
Beredter, als eine wohlgefügte Rede. . . .
Sie MalkisZ kam in Pracht, mit ihrem Geist zu prunken,
Und ihr antwortete mein Geist, du sprachst
Zu meinen: Herzen, und mein Herz vernahm
Den holden Seelcnlaut und gab ihm Antwort.

Allein Sulamith liebt schon einen andern, sie liebt den Hirten Hadad, mit
dem sie bis vor kurzem die Lämmer geweidet hat. Zwar ist er arm, ein
reicher Oheim quält ihn durch seinen Geiz, Sulamiths Vater will deshalb
von diesem Bräutigam nichts wissen, und das schöne Töchterchen hat schwer
zu kämpfen, um Liebe und Gehorsam in Einklang zu bringen. Die Liebe ist
indes stärker; Sulamith läßt sich an den Abenden von Hadad im Garten finden,
und wenn sie es auch nach keuscher Mädchenart nicht zugestehen will, den
armen Hirten wegen seiner Armut boshaft zappeln läßt, ihm mit dem Ab¬
schiede droht, so ist sie doch aufrichtig treu. Dann findet sie der so schnell ver-
verlicbte König im Garten. Ihre muntern Antworten auf seine Schmeicheleien,
ihre von jeder Koketterie freie Bescheidenheit entzücken ihn. Sie hat natürlich
schon darüber nachgedacht, ob wohl die Königin von Saba den König Salomo
heiraten werde, sie weist immer auf diese als die schönere und tingere hin, was
den werbenden König nur noch mehr für das schöne Kind einnimmt. Aber
Sulamith kann nicht Gefühle heucheln, die sie nicht besitzt. Als der König
einen Kuß von ihr wünscht, da sagt sie „ergeben und mit einem Seufzer":
„Wenn du es wünschest, Herr, so küsse mich! Was dürft' ich dir verweigern,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/480>, abgerufen am 23.07.2024.