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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Goethes Frau.

schaft ihr inmitten der vielen Anfeindungen und Anfechtungen ein Trost war.
Daß diese Anfeindungen unverdient waren, wird nun immer mehr erkannt und
anerkannt werden. Goethe hätte dieses Wesen nie zu seiner Frau erhoben,
wenn sie es nicht verdient hätte; sie verdiente es durch ihre treue Sorge um
ihn, für dessen leibliches und geistiges Wohl sie unermüdlich thätig war. Auch
für sein geistiges Wohl: ihre harmonische Natur schuf ihm eine angenehme
Atmosphäre im Hause; sie trug seine Launen und heiterte ihn auf. So schreibt
sie am 21. April 1802: "Ich lebe wegen des Geheime Rats sehr in Sorge,
er ist manchmal sehr Hypochonder, und ich stehe viel aus; weil es aber Krank¬
heit, so thue ich alles gern." Sie konnte das nur, weil sie neben den schönen
Eigenschaften ihres Herzens auch "vielen natürlichen Verstand" besaß, wie Meyer
von ihr rühmt. Die Frau Rat nannte sie ihre "liebe Tochter"; alle, welche
sie persönlich kannten, loben sie in jeder Hinsicht; uur diejenigen, welche sie
nicht kennen und welche sie beneiden, klagen sie an und verleumden sie. Am
wenigsten schön hat sich Frau von Stein in diesem Punkte benommen: wäre
ihre Freundschaft für Goethe weniger selbstsüchtig gewesen, so hätte sie ganz
anders gehandelt; sie hätte als erfahrene Frau Goethes Verhalten verstehen
und billigen sollen -- dann hätte sie sich wahrhaft als seiner Freundschaft
würdig bewiesen. Goethe aber hat sich auch in diesem Punkte als der große
"Lebenskünstler" bewiesen, als der er sich immer zeigte. Er verschaffte sich die
Annehmlichkeiten eines häuslichen Lebeus, ohne die vielen lästigen Pflichten einer
"fatalen Ehe" -- wie seine Mutter sagte -- auf sich nehmen zu müssen, welche
ihn in seinem Schaffen gehindert hätten. Daß er das weibliche Wesen, das ihm
in uneigennütziger Hingebung jene angenehme Situation schuf, dann nach achtzehn
Jahren zu seiner Frau erhob, zeigt, daß er bei der Wahl seiner "Hausfreuudiu"
ein glückliches Auge bewies.


An dem Meere ging ich und suchte mir Muscheln, In einer
Feind ich ein Perlchen; es bleibt nun mir am Herzen verwahrt.

Aber freilich: er brachte dies "Perlchen" auf illegitimem Wege in seinen Besitz,
und die Sittenrichter alter und neuer Zeit haben denn auch tausendfach die
"Unsittlichkeit" des Mannes herausgestrichen, dessen geistige Größe sie nicht
leugnen konnten, auch wenn sie ihnen unsympathisch und unfaßbar blieb. Über
diese "Unsittlichkeit" nur so vieles. Es ist allgemein bekannt, daß das vorige
Jahrhundert in diesen Dingen viel weitherzigere Anschauungen hatte, als die
Zeit nach den Befreiungskriegen; Riemer sagt mit Recht: "Keine Zeit begreift
die frühere, noch will sie als eine andre gelten lassen; und doch besteht in
dieser verschiednen Möglichkeit des Verschiedenen alles Leben und Dasein, die
Welt selbst." Wir sollen also nicht den Maßstab unsrer Zeit auf jene Zeit
übertragen; wohl aber können wir Goethes Verhalten messend vergleichen mit
dem Verhalten seiner Zeitgenossen. Und da sei doch daran erinnert, daß solche


Grenzboten III. 1337. 59
Goethes Frau.

schaft ihr inmitten der vielen Anfeindungen und Anfechtungen ein Trost war.
Daß diese Anfeindungen unverdient waren, wird nun immer mehr erkannt und
anerkannt werden. Goethe hätte dieses Wesen nie zu seiner Frau erhoben,
wenn sie es nicht verdient hätte; sie verdiente es durch ihre treue Sorge um
ihn, für dessen leibliches und geistiges Wohl sie unermüdlich thätig war. Auch
für sein geistiges Wohl: ihre harmonische Natur schuf ihm eine angenehme
Atmosphäre im Hause; sie trug seine Launen und heiterte ihn auf. So schreibt
sie am 21. April 1802: „Ich lebe wegen des Geheime Rats sehr in Sorge,
er ist manchmal sehr Hypochonder, und ich stehe viel aus; weil es aber Krank¬
heit, so thue ich alles gern." Sie konnte das nur, weil sie neben den schönen
Eigenschaften ihres Herzens auch „vielen natürlichen Verstand" besaß, wie Meyer
von ihr rühmt. Die Frau Rat nannte sie ihre „liebe Tochter"; alle, welche
sie persönlich kannten, loben sie in jeder Hinsicht; uur diejenigen, welche sie
nicht kennen und welche sie beneiden, klagen sie an und verleumden sie. Am
wenigsten schön hat sich Frau von Stein in diesem Punkte benommen: wäre
ihre Freundschaft für Goethe weniger selbstsüchtig gewesen, so hätte sie ganz
anders gehandelt; sie hätte als erfahrene Frau Goethes Verhalten verstehen
und billigen sollen — dann hätte sie sich wahrhaft als seiner Freundschaft
würdig bewiesen. Goethe aber hat sich auch in diesem Punkte als der große
„Lebenskünstler" bewiesen, als der er sich immer zeigte. Er verschaffte sich die
Annehmlichkeiten eines häuslichen Lebeus, ohne die vielen lästigen Pflichten einer
„fatalen Ehe" — wie seine Mutter sagte — auf sich nehmen zu müssen, welche
ihn in seinem Schaffen gehindert hätten. Daß er das weibliche Wesen, das ihm
in uneigennütziger Hingebung jene angenehme Situation schuf, dann nach achtzehn
Jahren zu seiner Frau erhob, zeigt, daß er bei der Wahl seiner „Hausfreuudiu"
ein glückliches Auge bewies.


An dem Meere ging ich und suchte mir Muscheln, In einer
Feind ich ein Perlchen; es bleibt nun mir am Herzen verwahrt.

Aber freilich: er brachte dies „Perlchen" auf illegitimem Wege in seinen Besitz,
und die Sittenrichter alter und neuer Zeit haben denn auch tausendfach die
„Unsittlichkeit" des Mannes herausgestrichen, dessen geistige Größe sie nicht
leugnen konnten, auch wenn sie ihnen unsympathisch und unfaßbar blieb. Über
diese „Unsittlichkeit" nur so vieles. Es ist allgemein bekannt, daß das vorige
Jahrhundert in diesen Dingen viel weitherzigere Anschauungen hatte, als die
Zeit nach den Befreiungskriegen; Riemer sagt mit Recht: „Keine Zeit begreift
die frühere, noch will sie als eine andre gelten lassen; und doch besteht in
dieser verschiednen Möglichkeit des Verschiedenen alles Leben und Dasein, die
Welt selbst." Wir sollen also nicht den Maßstab unsrer Zeit auf jene Zeit
übertragen; wohl aber können wir Goethes Verhalten messend vergleichen mit
dem Verhalten seiner Zeitgenossen. Und da sei doch daran erinnert, daß solche


Grenzboten III. 1337. 59
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/473>, abgerufen am 23.07.2024.