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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Aus den hinterlassenen Papieren eines preußischen Staatsministers.

der wahren Reichsfreunde in herbster Weise aussprach. Er umgab sich sofort
mit einem zahlreichen Ministerium, Unterstaatssekretären?c., die alle der Mittel¬
partei der Paulskirche angehörten und sich sehr gern in diese hohen Ämter
berufen ließen. Gagern wurde Premierminister, legte daher sein Präsidium
nieder, welches nun Simson aus Königsberg übernahm und mit anerkennens¬
werten Takt und Geschick weiterführte. Von dem neuen Regimente merkte man
nichts, in der Paulskirche blieb alles beim Alten, und die Verhältnisse bewahrten
denselben Fortgang oder vielmehr Stillstand. Nur in der Mitte des September
unterbrach sie ein interessantes, aber freilich wenig erfreuliches Ereignis. Der
Wahnsinn des Volkes hatte in diesen Tagen seinen Höhepunkt erreicht und
konnte bei einer so schwachen Negierung ziemlich ungehindert walten. Unserm
Jahrhundert wird es schwerlich, der Nachwelt sicher nie gelingen, die Beweggründe
für das damalige Verhalten des dentschen Volkes klar zu erkennen; was ich
darüber weiß oder mir kombinire, will ich hier niederschreiben.

Preußen hatte sein Gardckorps nach Schleswig geschickt, um diese Provinz
für Deutschland zu retten. In Berlin schien man zu der Überzeugung gelangt
zu sein, daß sich ohne ein starkes stehendes Heer der Thron nicht schützen lasse.
Einzelne Linienrcgimentcr waren dorthin gezogen worden. Aber solche Be¬
satzungen waren zu schwach für die große Stadt; sie hatten es nicht verhindern
tonnen, daß sogar das Zeughaus geplündert wurde. Die Negierung wollte sich
ermannen, konnte das aber nur, wenn sie einen festen Rückhalt hatte. Man sah
daher sehnsüchtig nach den Garden, die sich uuter Wrcmgels Führung glänzend
geschlagen, das ihnen gesteckte Ziel aber noch lange nicht erreicht hatten. Man
wollte den Frieden, Es wurde ein Waffenstillstand zu Malmö geschlossen, und
dieser sollte von der deutschen Nationalversammlung in der Paulskirche rati-
habirt werden. Die Demokratie wollte das nicht, ja die ganze liberale Partei
war diesem Ansinnen entgegen. Man fürchtete offenbar, daß sich wieder ein
starkes Königtum in Deutschland erheben würde, schützte aber als Grund der
Weigerung die Ausrede vor, daß Schleswig ja noch nicht deutsch wäre. Die
eigentliche Demokratie hatte indessen noch viel weiter gesteckte Ziele im Auge.
Durch einen gewaltigen Stoß, der von Frankfurt aus die Welt erschütter"
sollte, hoffte man die europäische Republik vorzubereiten. Die demokratischen
Mitglieder der Versammlung zogen die Fäden, welche sie über den ganzen Süden
Deutschlands gesponnen hatten, so stark wie möglich an. In jeder kleinen Stadt,
in jedem Dorfe war eine Art Bürgerwehr errichtet, die man "Turner" nannte.
Alle diese Massen, denen es nicht an Bewaffnung fehlte, wurde" von nah und fern
nach Frankfurt herangezogen.

Schon am 16. September, als die Frage des Malmöer Waffenstillstandes
zum erstenmale zur Beratung, aber noch nicht zum Abschlüsse kam, war eine
ungeheure Menge dieser Turner in den Straßen Frankfurts und auf der obersten
Galerie der Paulskirche zu sehen. Um die Leute kennen zu lernen, welche für


Aus den hinterlassenen Papieren eines preußischen Staatsministers.

der wahren Reichsfreunde in herbster Weise aussprach. Er umgab sich sofort
mit einem zahlreichen Ministerium, Unterstaatssekretären?c., die alle der Mittel¬
partei der Paulskirche angehörten und sich sehr gern in diese hohen Ämter
berufen ließen. Gagern wurde Premierminister, legte daher sein Präsidium
nieder, welches nun Simson aus Königsberg übernahm und mit anerkennens¬
werten Takt und Geschick weiterführte. Von dem neuen Regimente merkte man
nichts, in der Paulskirche blieb alles beim Alten, und die Verhältnisse bewahrten
denselben Fortgang oder vielmehr Stillstand. Nur in der Mitte des September
unterbrach sie ein interessantes, aber freilich wenig erfreuliches Ereignis. Der
Wahnsinn des Volkes hatte in diesen Tagen seinen Höhepunkt erreicht und
konnte bei einer so schwachen Negierung ziemlich ungehindert walten. Unserm
Jahrhundert wird es schwerlich, der Nachwelt sicher nie gelingen, die Beweggründe
für das damalige Verhalten des dentschen Volkes klar zu erkennen; was ich
darüber weiß oder mir kombinire, will ich hier niederschreiben.

Preußen hatte sein Gardckorps nach Schleswig geschickt, um diese Provinz
für Deutschland zu retten. In Berlin schien man zu der Überzeugung gelangt
zu sein, daß sich ohne ein starkes stehendes Heer der Thron nicht schützen lasse.
Einzelne Linienrcgimentcr waren dorthin gezogen worden. Aber solche Be¬
satzungen waren zu schwach für die große Stadt; sie hatten es nicht verhindern
tonnen, daß sogar das Zeughaus geplündert wurde. Die Negierung wollte sich
ermannen, konnte das aber nur, wenn sie einen festen Rückhalt hatte. Man sah
daher sehnsüchtig nach den Garden, die sich uuter Wrcmgels Führung glänzend
geschlagen, das ihnen gesteckte Ziel aber noch lange nicht erreicht hatten. Man
wollte den Frieden, Es wurde ein Waffenstillstand zu Malmö geschlossen, und
dieser sollte von der deutschen Nationalversammlung in der Paulskirche rati-
habirt werden. Die Demokratie wollte das nicht, ja die ganze liberale Partei
war diesem Ansinnen entgegen. Man fürchtete offenbar, daß sich wieder ein
starkes Königtum in Deutschland erheben würde, schützte aber als Grund der
Weigerung die Ausrede vor, daß Schleswig ja noch nicht deutsch wäre. Die
eigentliche Demokratie hatte indessen noch viel weiter gesteckte Ziele im Auge.
Durch einen gewaltigen Stoß, der von Frankfurt aus die Welt erschütter»
sollte, hoffte man die europäische Republik vorzubereiten. Die demokratischen
Mitglieder der Versammlung zogen die Fäden, welche sie über den ganzen Süden
Deutschlands gesponnen hatten, so stark wie möglich an. In jeder kleinen Stadt,
in jedem Dorfe war eine Art Bürgerwehr errichtet, die man „Turner" nannte.
Alle diese Massen, denen es nicht an Bewaffnung fehlte, wurde» von nah und fern
nach Frankfurt herangezogen.

Schon am 16. September, als die Frage des Malmöer Waffenstillstandes
zum erstenmale zur Beratung, aber noch nicht zum Abschlüsse kam, war eine
ungeheure Menge dieser Turner in den Straßen Frankfurts und auf der obersten
Galerie der Paulskirche zu sehen. Um die Leute kennen zu lernen, welche für


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[0446] Aus den hinterlassenen Papieren eines preußischen Staatsministers. der wahren Reichsfreunde in herbster Weise aussprach. Er umgab sich sofort mit einem zahlreichen Ministerium, Unterstaatssekretären?c., die alle der Mittel¬ partei der Paulskirche angehörten und sich sehr gern in diese hohen Ämter berufen ließen. Gagern wurde Premierminister, legte daher sein Präsidium nieder, welches nun Simson aus Königsberg übernahm und mit anerkennens¬ werten Takt und Geschick weiterführte. Von dem neuen Regimente merkte man nichts, in der Paulskirche blieb alles beim Alten, und die Verhältnisse bewahrten denselben Fortgang oder vielmehr Stillstand. Nur in der Mitte des September unterbrach sie ein interessantes, aber freilich wenig erfreuliches Ereignis. Der Wahnsinn des Volkes hatte in diesen Tagen seinen Höhepunkt erreicht und konnte bei einer so schwachen Negierung ziemlich ungehindert walten. Unserm Jahrhundert wird es schwerlich, der Nachwelt sicher nie gelingen, die Beweggründe für das damalige Verhalten des dentschen Volkes klar zu erkennen; was ich darüber weiß oder mir kombinire, will ich hier niederschreiben. Preußen hatte sein Gardckorps nach Schleswig geschickt, um diese Provinz für Deutschland zu retten. In Berlin schien man zu der Überzeugung gelangt zu sein, daß sich ohne ein starkes stehendes Heer der Thron nicht schützen lasse. Einzelne Linienrcgimentcr waren dorthin gezogen worden. Aber solche Be¬ satzungen waren zu schwach für die große Stadt; sie hatten es nicht verhindern tonnen, daß sogar das Zeughaus geplündert wurde. Die Negierung wollte sich ermannen, konnte das aber nur, wenn sie einen festen Rückhalt hatte. Man sah daher sehnsüchtig nach den Garden, die sich uuter Wrcmgels Führung glänzend geschlagen, das ihnen gesteckte Ziel aber noch lange nicht erreicht hatten. Man wollte den Frieden, Es wurde ein Waffenstillstand zu Malmö geschlossen, und dieser sollte von der deutschen Nationalversammlung in der Paulskirche rati- habirt werden. Die Demokratie wollte das nicht, ja die ganze liberale Partei war diesem Ansinnen entgegen. Man fürchtete offenbar, daß sich wieder ein starkes Königtum in Deutschland erheben würde, schützte aber als Grund der Weigerung die Ausrede vor, daß Schleswig ja noch nicht deutsch wäre. Die eigentliche Demokratie hatte indessen noch viel weiter gesteckte Ziele im Auge. Durch einen gewaltigen Stoß, der von Frankfurt aus die Welt erschütter» sollte, hoffte man die europäische Republik vorzubereiten. Die demokratischen Mitglieder der Versammlung zogen die Fäden, welche sie über den ganzen Süden Deutschlands gesponnen hatten, so stark wie möglich an. In jeder kleinen Stadt, in jedem Dorfe war eine Art Bürgerwehr errichtet, die man „Turner" nannte. Alle diese Massen, denen es nicht an Bewaffnung fehlte, wurde» von nah und fern nach Frankfurt herangezogen. Schon am 16. September, als die Frage des Malmöer Waffenstillstandes zum erstenmale zur Beratung, aber noch nicht zum Abschlüsse kam, war eine ungeheure Menge dieser Turner in den Straßen Frankfurts und auf der obersten Galerie der Paulskirche zu sehen. Um die Leute kennen zu lernen, welche für

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/446>, abgerufen am 03.07.2024.