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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Aus den hinterlassenen Papieren eines preußischen Staatsministers,

Stellen, die uns für ein größeres Publikum unwesentlich erschienen, haben wir
ausgeschieden, und mir hie und da ist eine kleine formale Änderung der flüchtigen,
ursprünglich nicht für die Öffentlichkeit bestimmten Niederschrift vorgenommen
worden.

Wir lassen nun den Verfasser selbst erzählen.




Jm April 1848 hatte der König befohlen, daß ein aus allgemeinen Volks¬
wahlen hervorgegangener Reichstag in Frankfurt a. M. zusammentreten sollte;
die dort zu beratende Verfassung für Deutschland sollte später mit den deutschen
Regierungen vereinbart werden. Um diese allgemeinen Volkswahlen zu ermög¬
lichen, wurde das System der UrWahlen eingeführt und so die unterste Volks¬
schicht in den Kreis der Wähler hineingezogen. Die diese Schicht bildenden
Elemente hatten bisher der Politik so fern gestanden, daß sie sich auch nicht
annähernd eine richtige Vorstellung von der Aufgabe der Versammlung zu
machen imstande waren, für welche sie wählen sollten. Sie glaubten fest, es
handle sich um eine Gesetzgebung, wonach jeder Besitzlose ein Stück Land er¬
halten solle. So wenigstens im L.schen Kreise, wo das Volk von dieser tollen
Idee auf keine Weise abzubringen war -- ich fürchte, in vielen andern Kreisen
des Landes wird es nicht besser ausgesehen haben. Aus einem solchen Wahl-
körper ist meine Wahl hervorgegangen. Zwar war ich bereits von dem Ver¬
einigten Landtage in Berlin, welcher zuerst mit der Wahl beauftragt war, für
diese Mission gewählt worden; allein alle diese Wahlen wurden für ungiltig er¬
klärt, denn nicht privilegirte Körperschaften, sondern das Volk selbst sollte fortan
wählen. Mich traf das Schicksal, auch von dieser Seite gerufen zu werden.
Die auf solche Weise zu stände gekommene Versammlung in Frankfurt nannte
sich selbst das "Neichsparlament," wurde aber vom Publikum nach ihrem Ver¬
sammlungsorte kurzweg die "Paulskirche" genannt. In diese Paulskirche sollte
ich nun eintreten und einen Kreis verlassen, den ich bisher mit Liebe verwaltet
hatte. Über elf Monate lang habe ich dem Reichsparlament angehört; nur von
dem, was mir persönlich begegnet oder aufgefallen ist, soll hier flüchtig die
Rede sein.

Es war an einem Sonntage des Monats Mai, als ich vormittags in
Frankfurt eintraf. Ein bescheidenes Quartier war schnell beschafft. Nachmittags
sollte eine Art Eröffnungsfeierlichkeit stattfinden. Man versammelte sich im alten
Nömcrsaale, an dessen Wänden die Bilder aller deutschen Kaiser seit Karl dem
Großen hingen. Hier hielt Soiron, ein badischer Abgeordneter, auf einem
Stuhle bequem ausgestreckt, in einem abgetragenen Überröcke mit schwarz-wei߬
goldener Schleife und bunten Beinkleidern eine Ansprache an die Versammlung, die
jedes preußische Herz zuschnüren mußte. Dann ging es unter Glockeugeläut in
feierlichem Zuge in die Paulskirche, wo ein jeder nach Belieben -- ich etwas


Aus den hinterlassenen Papieren eines preußischen Staatsministers,

Stellen, die uns für ein größeres Publikum unwesentlich erschienen, haben wir
ausgeschieden, und mir hie und da ist eine kleine formale Änderung der flüchtigen,
ursprünglich nicht für die Öffentlichkeit bestimmten Niederschrift vorgenommen
worden.

Wir lassen nun den Verfasser selbst erzählen.




Jm April 1848 hatte der König befohlen, daß ein aus allgemeinen Volks¬
wahlen hervorgegangener Reichstag in Frankfurt a. M. zusammentreten sollte;
die dort zu beratende Verfassung für Deutschland sollte später mit den deutschen
Regierungen vereinbart werden. Um diese allgemeinen Volkswahlen zu ermög¬
lichen, wurde das System der UrWahlen eingeführt und so die unterste Volks¬
schicht in den Kreis der Wähler hineingezogen. Die diese Schicht bildenden
Elemente hatten bisher der Politik so fern gestanden, daß sie sich auch nicht
annähernd eine richtige Vorstellung von der Aufgabe der Versammlung zu
machen imstande waren, für welche sie wählen sollten. Sie glaubten fest, es
handle sich um eine Gesetzgebung, wonach jeder Besitzlose ein Stück Land er¬
halten solle. So wenigstens im L.schen Kreise, wo das Volk von dieser tollen
Idee auf keine Weise abzubringen war — ich fürchte, in vielen andern Kreisen
des Landes wird es nicht besser ausgesehen haben. Aus einem solchen Wahl-
körper ist meine Wahl hervorgegangen. Zwar war ich bereits von dem Ver¬
einigten Landtage in Berlin, welcher zuerst mit der Wahl beauftragt war, für
diese Mission gewählt worden; allein alle diese Wahlen wurden für ungiltig er¬
klärt, denn nicht privilegirte Körperschaften, sondern das Volk selbst sollte fortan
wählen. Mich traf das Schicksal, auch von dieser Seite gerufen zu werden.
Die auf solche Weise zu stände gekommene Versammlung in Frankfurt nannte
sich selbst das „Neichsparlament," wurde aber vom Publikum nach ihrem Ver¬
sammlungsorte kurzweg die „Paulskirche" genannt. In diese Paulskirche sollte
ich nun eintreten und einen Kreis verlassen, den ich bisher mit Liebe verwaltet
hatte. Über elf Monate lang habe ich dem Reichsparlament angehört; nur von
dem, was mir persönlich begegnet oder aufgefallen ist, soll hier flüchtig die
Rede sein.

Es war an einem Sonntage des Monats Mai, als ich vormittags in
Frankfurt eintraf. Ein bescheidenes Quartier war schnell beschafft. Nachmittags
sollte eine Art Eröffnungsfeierlichkeit stattfinden. Man versammelte sich im alten
Nömcrsaale, an dessen Wänden die Bilder aller deutschen Kaiser seit Karl dem
Großen hingen. Hier hielt Soiron, ein badischer Abgeordneter, auf einem
Stuhle bequem ausgestreckt, in einem abgetragenen Überröcke mit schwarz-wei߬
goldener Schleife und bunten Beinkleidern eine Ansprache an die Versammlung, die
jedes preußische Herz zuschnüren mußte. Dann ging es unter Glockeugeläut in
feierlichem Zuge in die Paulskirche, wo ein jeder nach Belieben — ich etwas


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[0442] Aus den hinterlassenen Papieren eines preußischen Staatsministers, Stellen, die uns für ein größeres Publikum unwesentlich erschienen, haben wir ausgeschieden, und mir hie und da ist eine kleine formale Änderung der flüchtigen, ursprünglich nicht für die Öffentlichkeit bestimmten Niederschrift vorgenommen worden. Wir lassen nun den Verfasser selbst erzählen. Jm April 1848 hatte der König befohlen, daß ein aus allgemeinen Volks¬ wahlen hervorgegangener Reichstag in Frankfurt a. M. zusammentreten sollte; die dort zu beratende Verfassung für Deutschland sollte später mit den deutschen Regierungen vereinbart werden. Um diese allgemeinen Volkswahlen zu ermög¬ lichen, wurde das System der UrWahlen eingeführt und so die unterste Volks¬ schicht in den Kreis der Wähler hineingezogen. Die diese Schicht bildenden Elemente hatten bisher der Politik so fern gestanden, daß sie sich auch nicht annähernd eine richtige Vorstellung von der Aufgabe der Versammlung zu machen imstande waren, für welche sie wählen sollten. Sie glaubten fest, es handle sich um eine Gesetzgebung, wonach jeder Besitzlose ein Stück Land er¬ halten solle. So wenigstens im L.schen Kreise, wo das Volk von dieser tollen Idee auf keine Weise abzubringen war — ich fürchte, in vielen andern Kreisen des Landes wird es nicht besser ausgesehen haben. Aus einem solchen Wahl- körper ist meine Wahl hervorgegangen. Zwar war ich bereits von dem Ver¬ einigten Landtage in Berlin, welcher zuerst mit der Wahl beauftragt war, für diese Mission gewählt worden; allein alle diese Wahlen wurden für ungiltig er¬ klärt, denn nicht privilegirte Körperschaften, sondern das Volk selbst sollte fortan wählen. Mich traf das Schicksal, auch von dieser Seite gerufen zu werden. Die auf solche Weise zu stände gekommene Versammlung in Frankfurt nannte sich selbst das „Neichsparlament," wurde aber vom Publikum nach ihrem Ver¬ sammlungsorte kurzweg die „Paulskirche" genannt. In diese Paulskirche sollte ich nun eintreten und einen Kreis verlassen, den ich bisher mit Liebe verwaltet hatte. Über elf Monate lang habe ich dem Reichsparlament angehört; nur von dem, was mir persönlich begegnet oder aufgefallen ist, soll hier flüchtig die Rede sein. Es war an einem Sonntage des Monats Mai, als ich vormittags in Frankfurt eintraf. Ein bescheidenes Quartier war schnell beschafft. Nachmittags sollte eine Art Eröffnungsfeierlichkeit stattfinden. Man versammelte sich im alten Nömcrsaale, an dessen Wänden die Bilder aller deutschen Kaiser seit Karl dem Großen hingen. Hier hielt Soiron, ein badischer Abgeordneter, auf einem Stuhle bequem ausgestreckt, in einem abgetragenen Überröcke mit schwarz-wei߬ goldener Schleife und bunten Beinkleidern eine Ansprache an die Versammlung, die jedes preußische Herz zuschnüren mußte. Dann ging es unter Glockeugeläut in feierlichem Zuge in die Paulskirche, wo ein jeder nach Belieben — ich etwas

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/442>, abgerufen am 23.07.2024.