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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Zum Kapitel der Friedhofsdenkma'ter.

reicht; jeder richte den Raum, wo er sein Liebstes bestattet hat, so ein, wie es
seinem Herzen Bedürfnis ist.

Und doch nicht in solcher Weise, daß etwas dagegen einzuwenden ist? Das
scheint ein Widerspruch. Ohne allen Zweifel. Damit aber dieser Widerspruch
als solcher verschwinde, bedarf es eben der Erweckung des Interesses der ästhetisch
Empfindenden für die Friedhöfe und der Verbreitung der dann aus solchem
allseitiger werdenden Interesse sich nach und nach herausarbeitenden Grundsätze.
Somit soll im Nachstehenden die Wiedergabe einiger wenigen Anblicke unter
den Grabmälern der erwähnten beiden vielbesuchten und mit Recht oft gepriesenen
Friedhöfe zum Nachdenken über den Gegenstand anregen. Dabei verbietet
sich's, Namen zu nennen, es sei denn im Zusammenhange mit Grabmälern, auf
welche die Aufmerksamkeit im günstigen Sinne zu lenken ist, und welche daher
öfter betrachtet und in ihrem Gegensatze zu den verfehlteren Arbeiten dieser Art
gewürdigt werden sollten.

Um mit dieser angenehmeren Seite der Aufgabe zu beginnen, hebe ich aus
der Reihe umfangreicher Denkmäler dasjenige hervor, welches eiuer jungen
Mutter gewidmet ist, der Freir Charlotte Säger geb. Könick, geb. 1842, geht. 1874.
Es ist in weißem Marmor ausgeführt und stellt eine weibliche Gestalt dar, die
schon mit der einen Hand die Klinke der schwarzen Grabthür berührt und sich
dabei schmerzensvoll von einem sie zurückhaltender Töchterchen losmacht, während
ein am Boden sitzendes nacktes Kindchen vergebens die Füße der Scheidenden
zu umklammern sucht. Die Ausführung ist in hohem Grade löblich, die Wirkung
des Ganzen tief ergreifend. Eine nicht minder beachtenswerte Arbeit, in großen
Verhältnissen ausgeführt, ist eine Bronzegruppe: eine Knieende, welche ein herab¬
schwebender Engel küßt. Ob in der Auffassung des Künstlers die Knieende
abgerufen wird, oder ob es eine Trauernde ist, welcher aus seligen Höhen ein
Trostgruß wird, blieb mir zweifelhaft, da sich wegen örtlicher Hindernisse die
Grabschrift zur Zeit nicht prüfen ließ. Weiter verdient ein im Jahre 1882
errichtetes Denkmal mit Muße betrachtet zu werden: ein trauerndes junges
Mädchen, das sich auf eine trümmerhafte Säule stützt; die Inschrift gilt der im
sechzehnten Jahre aus dem Leben abgerufenen Emilie Mine Merole. Wiederum
von edler Wirkung ist eine wie im Schlummer ruhende weibliche Gestalt. Das
Grabmal ist dem Andenken der im Alter von vierundzwanzig Jahren verstorbenen
Frau Antonie Sutuer geb. Vogel gewidmet, geht. 1820. Auch einer im neun¬
zehnten Jahre Entschlafenen -- Mcigdalene Beckers -- ist durch eine schwebende
weibliche Gestalt (Relief) mit dem Mohnstengel in der Hand ein künstlerischer
Nachruf von schöner Einfachheit geworden. Minder einfach, aber nicht ohne
Schönheit und Würde, ist das der Nieslerschen Familiengrabstätte zugehörige
Marmorrelief: ein ungeflügelter Engel hebt eine weibliche Gestalt, deren einer
Fuß noch den Sarg berührt, gen Himmel. Aus den Wolken ruft ihr eine
Posaune den Willkommengruß entgegen. Hoch darüber das Jesuskind mit dem


Zum Kapitel der Friedhofsdenkma'ter.

reicht; jeder richte den Raum, wo er sein Liebstes bestattet hat, so ein, wie es
seinem Herzen Bedürfnis ist.

Und doch nicht in solcher Weise, daß etwas dagegen einzuwenden ist? Das
scheint ein Widerspruch. Ohne allen Zweifel. Damit aber dieser Widerspruch
als solcher verschwinde, bedarf es eben der Erweckung des Interesses der ästhetisch
Empfindenden für die Friedhöfe und der Verbreitung der dann aus solchem
allseitiger werdenden Interesse sich nach und nach herausarbeitenden Grundsätze.
Somit soll im Nachstehenden die Wiedergabe einiger wenigen Anblicke unter
den Grabmälern der erwähnten beiden vielbesuchten und mit Recht oft gepriesenen
Friedhöfe zum Nachdenken über den Gegenstand anregen. Dabei verbietet
sich's, Namen zu nennen, es sei denn im Zusammenhange mit Grabmälern, auf
welche die Aufmerksamkeit im günstigen Sinne zu lenken ist, und welche daher
öfter betrachtet und in ihrem Gegensatze zu den verfehlteren Arbeiten dieser Art
gewürdigt werden sollten.

Um mit dieser angenehmeren Seite der Aufgabe zu beginnen, hebe ich aus
der Reihe umfangreicher Denkmäler dasjenige hervor, welches eiuer jungen
Mutter gewidmet ist, der Freir Charlotte Säger geb. Könick, geb. 1842, geht. 1874.
Es ist in weißem Marmor ausgeführt und stellt eine weibliche Gestalt dar, die
schon mit der einen Hand die Klinke der schwarzen Grabthür berührt und sich
dabei schmerzensvoll von einem sie zurückhaltender Töchterchen losmacht, während
ein am Boden sitzendes nacktes Kindchen vergebens die Füße der Scheidenden
zu umklammern sucht. Die Ausführung ist in hohem Grade löblich, die Wirkung
des Ganzen tief ergreifend. Eine nicht minder beachtenswerte Arbeit, in großen
Verhältnissen ausgeführt, ist eine Bronzegruppe: eine Knieende, welche ein herab¬
schwebender Engel küßt. Ob in der Auffassung des Künstlers die Knieende
abgerufen wird, oder ob es eine Trauernde ist, welcher aus seligen Höhen ein
Trostgruß wird, blieb mir zweifelhaft, da sich wegen örtlicher Hindernisse die
Grabschrift zur Zeit nicht prüfen ließ. Weiter verdient ein im Jahre 1882
errichtetes Denkmal mit Muße betrachtet zu werden: ein trauerndes junges
Mädchen, das sich auf eine trümmerhafte Säule stützt; die Inschrift gilt der im
sechzehnten Jahre aus dem Leben abgerufenen Emilie Mine Merole. Wiederum
von edler Wirkung ist eine wie im Schlummer ruhende weibliche Gestalt. Das
Grabmal ist dem Andenken der im Alter von vierundzwanzig Jahren verstorbenen
Frau Antonie Sutuer geb. Vogel gewidmet, geht. 1820. Auch einer im neun¬
zehnten Jahre Entschlafenen — Mcigdalene Beckers — ist durch eine schwebende
weibliche Gestalt (Relief) mit dem Mohnstengel in der Hand ein künstlerischer
Nachruf von schöner Einfachheit geworden. Minder einfach, aber nicht ohne
Schönheit und Würde, ist das der Nieslerschen Familiengrabstätte zugehörige
Marmorrelief: ein ungeflügelter Engel hebt eine weibliche Gestalt, deren einer
Fuß noch den Sarg berührt, gen Himmel. Aus den Wolken ruft ihr eine
Posaune den Willkommengruß entgegen. Hoch darüber das Jesuskind mit dem


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[0431] Zum Kapitel der Friedhofsdenkma'ter. reicht; jeder richte den Raum, wo er sein Liebstes bestattet hat, so ein, wie es seinem Herzen Bedürfnis ist. Und doch nicht in solcher Weise, daß etwas dagegen einzuwenden ist? Das scheint ein Widerspruch. Ohne allen Zweifel. Damit aber dieser Widerspruch als solcher verschwinde, bedarf es eben der Erweckung des Interesses der ästhetisch Empfindenden für die Friedhöfe und der Verbreitung der dann aus solchem allseitiger werdenden Interesse sich nach und nach herausarbeitenden Grundsätze. Somit soll im Nachstehenden die Wiedergabe einiger wenigen Anblicke unter den Grabmälern der erwähnten beiden vielbesuchten und mit Recht oft gepriesenen Friedhöfe zum Nachdenken über den Gegenstand anregen. Dabei verbietet sich's, Namen zu nennen, es sei denn im Zusammenhange mit Grabmälern, auf welche die Aufmerksamkeit im günstigen Sinne zu lenken ist, und welche daher öfter betrachtet und in ihrem Gegensatze zu den verfehlteren Arbeiten dieser Art gewürdigt werden sollten. Um mit dieser angenehmeren Seite der Aufgabe zu beginnen, hebe ich aus der Reihe umfangreicher Denkmäler dasjenige hervor, welches eiuer jungen Mutter gewidmet ist, der Freir Charlotte Säger geb. Könick, geb. 1842, geht. 1874. Es ist in weißem Marmor ausgeführt und stellt eine weibliche Gestalt dar, die schon mit der einen Hand die Klinke der schwarzen Grabthür berührt und sich dabei schmerzensvoll von einem sie zurückhaltender Töchterchen losmacht, während ein am Boden sitzendes nacktes Kindchen vergebens die Füße der Scheidenden zu umklammern sucht. Die Ausführung ist in hohem Grade löblich, die Wirkung des Ganzen tief ergreifend. Eine nicht minder beachtenswerte Arbeit, in großen Verhältnissen ausgeführt, ist eine Bronzegruppe: eine Knieende, welche ein herab¬ schwebender Engel küßt. Ob in der Auffassung des Künstlers die Knieende abgerufen wird, oder ob es eine Trauernde ist, welcher aus seligen Höhen ein Trostgruß wird, blieb mir zweifelhaft, da sich wegen örtlicher Hindernisse die Grabschrift zur Zeit nicht prüfen ließ. Weiter verdient ein im Jahre 1882 errichtetes Denkmal mit Muße betrachtet zu werden: ein trauerndes junges Mädchen, das sich auf eine trümmerhafte Säule stützt; die Inschrift gilt der im sechzehnten Jahre aus dem Leben abgerufenen Emilie Mine Merole. Wiederum von edler Wirkung ist eine wie im Schlummer ruhende weibliche Gestalt. Das Grabmal ist dem Andenken der im Alter von vierundzwanzig Jahren verstorbenen Frau Antonie Sutuer geb. Vogel gewidmet, geht. 1820. Auch einer im neun¬ zehnten Jahre Entschlafenen — Mcigdalene Beckers — ist durch eine schwebende weibliche Gestalt (Relief) mit dem Mohnstengel in der Hand ein künstlerischer Nachruf von schöner Einfachheit geworden. Minder einfach, aber nicht ohne Schönheit und Würde, ist das der Nieslerschen Familiengrabstätte zugehörige Marmorrelief: ein ungeflügelter Engel hebt eine weibliche Gestalt, deren einer Fuß noch den Sarg berührt, gen Himmel. Aus den Wolken ruft ihr eine Posaune den Willkommengruß entgegen. Hoch darüber das Jesuskind mit dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/431>, abgerufen am 23.07.2024.