Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.Die Bedeutung des Religionsunterrichts in den oberen Klaffen des Gymnasiums. Daß es mit dem Religionsunterricht anders steht, hoffe ich in dem Ge¬ Unser Volk trennt eine tiefgehende, alte Glaubensspaltnng. Man darf Die Bedeutung des Religionsunterrichts in den oberen Klaffen des Gymnasiums. Daß es mit dem Religionsunterricht anders steht, hoffe ich in dem Ge¬ Unser Volk trennt eine tiefgehende, alte Glaubensspaltnng. Man darf <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0421" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/201200"/> <fw type="header" place="top"> Die Bedeutung des Religionsunterrichts in den oberen Klaffen des Gymnasiums. </fw><lb/> <p xml:id="ID_1311"> Daß es mit dem Religionsunterricht anders steht, hoffe ich in dem Ge¬<lb/> sagten nachgewiesen zu haben. Ich will aber, um die Bedeutung desselben<lb/> nachzuweisen, noch einen Punkt erwähnen, der von dem größten Gewicht für<lb/> unser Volksleben ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_1312" next="#ID_1313"> Unser Volk trennt eine tiefgehende, alte Glaubensspaltnng. Man darf<lb/> nicht denken, daß man diese beseitige durch Nichtberücksichtigung des religiösen<lb/> Gebietes. Die liberale Partei hat seit fast zwei Geschlechtern den großen Fehler<lb/> begangen, daß sie die Kirche sich selber überlassen wollte, weil sie damit den<lb/> Staat von ihrem Einfluß frei zu machen glaubte. Das ist die unheilvollste<lb/> politische Lehre gewesen, die seit 1348 befolgt worden ist. Die Kirche wird<lb/> für den Staat stets eine ungeheure Bedeutung haben, und eine Bedeutung, die<lb/> umso unheilvoller werden kann, je mehr der Staat sie frei läßt. Denn die Kirche<lb/> giebt mit ihrer Lehre ein bestimmtes System, und für viele Millionen, für die<lb/> Masse des Volkes ist das das einzige System, das sie in sich aufnehmen;<lb/> darum hängen sie mit allen Fasern der Seele daran, und je mehr sie daran<lb/> hängen, desto mehr werde» sie im Streitfall für die Kirche gegen den Staat<lb/> Partei nehmen. Kritik, die das Urteil geschärft hat, kennen sie nicht. Nehmen<lb/> wir nun auch den Gebildeten unsers Volkes, deuen, die einst seine Führer werden<lb/> sollen, den zukünftigen Richtern, Verwaltern, Staatsmännern, Abgeordneten,<lb/> Ärzten, ja selbst den Lehrern an höheren Anstalten, die für viele einzige Ge¬<lb/> legenheit, wo sie mit einer genauen Kenntnis der Bibel, und zwar auch einer<lb/> literarhistorischen, und mit einer genügenden Kenntnis der Geschichte und be¬<lb/> sonders der Lehren der Kirche in deren Werden und Gewordensein ausgerüstet<lb/> werden, so nehmen wir ihnen die beste Gelegenheit, sich ein selbständiges Urteil<lb/> in Fragen zu bilden, über deren Belang ich heutzutage Wohl nicht zu sprechen<lb/> brauche. Damit sind dann auch diese einst, wie gesagt, zu Leitern des Volkes<lb/> bestimmten jungen Männer für ihre weitere Entwicklung dem Zufall preis¬<lb/> gegeben. Ob sie je zu solcher Kenntnis kommen, die sie auf dem Gebiete der<lb/> Religion orientirt, ob sie urteilslos in diesen Dingen sich einer fanatischen<lb/> Partei ergeben — die Partei empfängt aber heutzutage die jungen Leute schon<lb/> bei ihrem Eintritt in das akademische Leben —, ob sie also, bald zu Fanatikern<lb/> geworden, in deren Fahrwasser dahin segeln, oder ob sie mit Einsicht und<lb/> Weisheit sich zurecht finden, dafür ist dann keine Gelegenheit geboten. Gerade<lb/> die tüchtigsten, die energischsten Naturen verfallen dann der Partei der Ent¬<lb/> schiedener, d. h. der Fanatiker. Daran denken die Liberalen nicht, die für Ab¬<lb/> schaffung des Religionsunterrichts in den oberen Klassen des Gymnasiums sprechen.<lb/> Diese Liberalen arbeiten für die Klerikalen. Unserm modernen, unserm deutschen<lb/> Staate zumal kaun um solcher Urteilslosigkeit seiner einstigen Diener gar nichts<lb/> gelegen sein. Sein erster Gedanke muß auf die Einheit der Geister gerichtet<lb/> sein, die die Grundlage des Volkstums ist. Die Kirche, die katholische wie die<lb/> protestantische, wenigstens soweit sie konfessionell gerichtet ist, wird nie etwas</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0421]
Die Bedeutung des Religionsunterrichts in den oberen Klaffen des Gymnasiums.
Daß es mit dem Religionsunterricht anders steht, hoffe ich in dem Ge¬
sagten nachgewiesen zu haben. Ich will aber, um die Bedeutung desselben
nachzuweisen, noch einen Punkt erwähnen, der von dem größten Gewicht für
unser Volksleben ist.
Unser Volk trennt eine tiefgehende, alte Glaubensspaltnng. Man darf
nicht denken, daß man diese beseitige durch Nichtberücksichtigung des religiösen
Gebietes. Die liberale Partei hat seit fast zwei Geschlechtern den großen Fehler
begangen, daß sie die Kirche sich selber überlassen wollte, weil sie damit den
Staat von ihrem Einfluß frei zu machen glaubte. Das ist die unheilvollste
politische Lehre gewesen, die seit 1348 befolgt worden ist. Die Kirche wird
für den Staat stets eine ungeheure Bedeutung haben, und eine Bedeutung, die
umso unheilvoller werden kann, je mehr der Staat sie frei läßt. Denn die Kirche
giebt mit ihrer Lehre ein bestimmtes System, und für viele Millionen, für die
Masse des Volkes ist das das einzige System, das sie in sich aufnehmen;
darum hängen sie mit allen Fasern der Seele daran, und je mehr sie daran
hängen, desto mehr werde» sie im Streitfall für die Kirche gegen den Staat
Partei nehmen. Kritik, die das Urteil geschärft hat, kennen sie nicht. Nehmen
wir nun auch den Gebildeten unsers Volkes, deuen, die einst seine Führer werden
sollen, den zukünftigen Richtern, Verwaltern, Staatsmännern, Abgeordneten,
Ärzten, ja selbst den Lehrern an höheren Anstalten, die für viele einzige Ge¬
legenheit, wo sie mit einer genauen Kenntnis der Bibel, und zwar auch einer
literarhistorischen, und mit einer genügenden Kenntnis der Geschichte und be¬
sonders der Lehren der Kirche in deren Werden und Gewordensein ausgerüstet
werden, so nehmen wir ihnen die beste Gelegenheit, sich ein selbständiges Urteil
in Fragen zu bilden, über deren Belang ich heutzutage Wohl nicht zu sprechen
brauche. Damit sind dann auch diese einst, wie gesagt, zu Leitern des Volkes
bestimmten jungen Männer für ihre weitere Entwicklung dem Zufall preis¬
gegeben. Ob sie je zu solcher Kenntnis kommen, die sie auf dem Gebiete der
Religion orientirt, ob sie urteilslos in diesen Dingen sich einer fanatischen
Partei ergeben — die Partei empfängt aber heutzutage die jungen Leute schon
bei ihrem Eintritt in das akademische Leben —, ob sie also, bald zu Fanatikern
geworden, in deren Fahrwasser dahin segeln, oder ob sie mit Einsicht und
Weisheit sich zurecht finden, dafür ist dann keine Gelegenheit geboten. Gerade
die tüchtigsten, die energischsten Naturen verfallen dann der Partei der Ent¬
schiedener, d. h. der Fanatiker. Daran denken die Liberalen nicht, die für Ab¬
schaffung des Religionsunterrichts in den oberen Klassen des Gymnasiums sprechen.
Diese Liberalen arbeiten für die Klerikalen. Unserm modernen, unserm deutschen
Staate zumal kaun um solcher Urteilslosigkeit seiner einstigen Diener gar nichts
gelegen sein. Sein erster Gedanke muß auf die Einheit der Geister gerichtet
sein, die die Grundlage des Volkstums ist. Die Kirche, die katholische wie die
protestantische, wenigstens soweit sie konfessionell gerichtet ist, wird nie etwas
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