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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Elisabeths Erinnerungen.

haben würde" nur mit dem Unterschiede, daß sie nicht besoldet wird, daß sie darum
aber auch, sowohl in Betreff ihres Wirkungskreises, wie ihrer Kündigungsfrist,
gegenüber der vorgesetzten Armeubehörde und gegenüber der Diakouissennnstalt
freier dasteht. Solche "Armenpflegerinnen" würden, wie ich glaube, an Orten,
wo es keine Diakonissen giebt, einen bortrefflichen Ersatz derselben, vielleicht auch
eine Vorstufe der Einführung von Diakonissen bilden. Sie würden, um auf die
Analogie eines mir näher bekannten Gebietes zu verweisen, für das Diakonissen-
Wesen eine ähnlich heilsame Ergänzung sein, wie die Polikliniken für ein Hospital,
die Privatdozenten für eine Universität.

Die vorhin erwähnte Prüfung der Angemeldeten und die Korrespondenz,
welche für die Wohlbestandeuen mit den Armenbehörden n. s. w. geführt werden
müßte, find nicht ohne (obwohl nur geringfügige) Kosten möglich. Indes würde
schon das beträchtliche Geschenk, welches Sie, gnädiges Fräulein, wenn ich Sie
recht verstanden habe, der in Anspruch genommenen Diakonissenaustalt zudenken,
hierfür eine Zeit laug aufkommen. Und ich bezweifle nicht, wenn Ihre schütte Idee
breiteren Anklang findet, so würden sich auch für die alsdann natürlich wachsenden
Kosten anderweitige, durch Liberalität gewährte Deckungsmittel einstellen: wie ja
eine solche Hoffnung bei wahrhaft guten Werken selten getäuscht wird.

Dies Schreiben machte mich sehr glücklich. Ich empfand eine der reinsten
Freuden, welche das Leben bieten kann. Von ausgezeichnetster Seite war die
mir ans Herz gewachsene Idee einer Prüfung unterzogen und für gut und
praktisch erklärt worden. Von neuem verkehrte ich eifrig mit dem Pfarrer,
unter dessen Leitung ich Armenpflege geübt hatte. Dieser setzte sich mit dankens¬
werter Bereitwilligkeit rin mehreren größeren Diakonissenanstalten und mit einer
Hauptstelle für die innere Mission in Verbindung. Die Ansicht der ersteren
über die Sache war geteilt; einige verwarfen den ganzen Plan von vornherein,
andre erklärten ihn für eine schützenswerte Idee, zu deren Ausführung ihnen
jedoch schlechterdings die Kräfte fehlten. In ähnlicher Weise begründete auch
die Hauptstelle für innere Mission ihre Ablehnung.

So stand ich wieder hilff- und aussichtslos da. Anderseits erstarkte aber
mein Glaube an meine Idee mit jeder Zurückweisung, die mir zu Teil ward,
mehr und mehr.

Plötzlich, nachdem -ich inzwischen wieder vergeblich an verschiedne Thüren
geklopft hatte, fand ich in einem Mitgliede einer städtischen Armenbehörde einen
Beschützer meiner Bestrebungen. Der Mann hatte durch einen Prediger von
der Sache gehört und war für meine Idee in hohem Maße eingenommen.
Nachdem ich ihn über alle meine bisherigen Bemühungen gründlich unterrichtet
hatte, verhieß er, den ganzen Plan den städtischen Behörden warm zu em¬
pfehlen. Gleichzeitig fragte er mich, ob ich eintretenden Falls mich bereit finden
lassen würde, persönlich die Errichtung und Leitung einer Jnstrultionsschule für
Armenpflegerinnen zu übernehmen. Ich bejahte dies.

Jahrelang hatte ich mich in Geduld gefügt. Nun aber, obgleich ich hoffte,
meine Idee in kürzester Zeit verwirklicht zu sehen, regte mich das Warten derart


Elisabeths Erinnerungen.

haben würde» nur mit dem Unterschiede, daß sie nicht besoldet wird, daß sie darum
aber auch, sowohl in Betreff ihres Wirkungskreises, wie ihrer Kündigungsfrist,
gegenüber der vorgesetzten Armeubehörde und gegenüber der Diakouissennnstalt
freier dasteht. Solche „Armenpflegerinnen" würden, wie ich glaube, an Orten,
wo es keine Diakonissen giebt, einen bortrefflichen Ersatz derselben, vielleicht auch
eine Vorstufe der Einführung von Diakonissen bilden. Sie würden, um auf die
Analogie eines mir näher bekannten Gebietes zu verweisen, für das Diakonissen-
Wesen eine ähnlich heilsame Ergänzung sein, wie die Polikliniken für ein Hospital,
die Privatdozenten für eine Universität.

Die vorhin erwähnte Prüfung der Angemeldeten und die Korrespondenz,
welche für die Wohlbestandeuen mit den Armenbehörden n. s. w. geführt werden
müßte, find nicht ohne (obwohl nur geringfügige) Kosten möglich. Indes würde
schon das beträchtliche Geschenk, welches Sie, gnädiges Fräulein, wenn ich Sie
recht verstanden habe, der in Anspruch genommenen Diakonissenaustalt zudenken,
hierfür eine Zeit laug aufkommen. Und ich bezweifle nicht, wenn Ihre schütte Idee
breiteren Anklang findet, so würden sich auch für die alsdann natürlich wachsenden
Kosten anderweitige, durch Liberalität gewährte Deckungsmittel einstellen: wie ja
eine solche Hoffnung bei wahrhaft guten Werken selten getäuscht wird.

Dies Schreiben machte mich sehr glücklich. Ich empfand eine der reinsten
Freuden, welche das Leben bieten kann. Von ausgezeichnetster Seite war die
mir ans Herz gewachsene Idee einer Prüfung unterzogen und für gut und
praktisch erklärt worden. Von neuem verkehrte ich eifrig mit dem Pfarrer,
unter dessen Leitung ich Armenpflege geübt hatte. Dieser setzte sich mit dankens¬
werter Bereitwilligkeit rin mehreren größeren Diakonissenanstalten und mit einer
Hauptstelle für die innere Mission in Verbindung. Die Ansicht der ersteren
über die Sache war geteilt; einige verwarfen den ganzen Plan von vornherein,
andre erklärten ihn für eine schützenswerte Idee, zu deren Ausführung ihnen
jedoch schlechterdings die Kräfte fehlten. In ähnlicher Weise begründete auch
die Hauptstelle für innere Mission ihre Ablehnung.

So stand ich wieder hilff- und aussichtslos da. Anderseits erstarkte aber
mein Glaube an meine Idee mit jeder Zurückweisung, die mir zu Teil ward,
mehr und mehr.

Plötzlich, nachdem -ich inzwischen wieder vergeblich an verschiedne Thüren
geklopft hatte, fand ich in einem Mitgliede einer städtischen Armenbehörde einen
Beschützer meiner Bestrebungen. Der Mann hatte durch einen Prediger von
der Sache gehört und war für meine Idee in hohem Maße eingenommen.
Nachdem ich ihn über alle meine bisherigen Bemühungen gründlich unterrichtet
hatte, verhieß er, den ganzen Plan den städtischen Behörden warm zu em¬
pfehlen. Gleichzeitig fragte er mich, ob ich eintretenden Falls mich bereit finden
lassen würde, persönlich die Errichtung und Leitung einer Jnstrultionsschule für
Armenpflegerinnen zu übernehmen. Ich bejahte dies.

Jahrelang hatte ich mich in Geduld gefügt. Nun aber, obgleich ich hoffte,
meine Idee in kürzester Zeit verwirklicht zu sehen, regte mich das Warten derart


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[0397] Elisabeths Erinnerungen. haben würde» nur mit dem Unterschiede, daß sie nicht besoldet wird, daß sie darum aber auch, sowohl in Betreff ihres Wirkungskreises, wie ihrer Kündigungsfrist, gegenüber der vorgesetzten Armeubehörde und gegenüber der Diakouissennnstalt freier dasteht. Solche „Armenpflegerinnen" würden, wie ich glaube, an Orten, wo es keine Diakonissen giebt, einen bortrefflichen Ersatz derselben, vielleicht auch eine Vorstufe der Einführung von Diakonissen bilden. Sie würden, um auf die Analogie eines mir näher bekannten Gebietes zu verweisen, für das Diakonissen- Wesen eine ähnlich heilsame Ergänzung sein, wie die Polikliniken für ein Hospital, die Privatdozenten für eine Universität. Die vorhin erwähnte Prüfung der Angemeldeten und die Korrespondenz, welche für die Wohlbestandeuen mit den Armenbehörden n. s. w. geführt werden müßte, find nicht ohne (obwohl nur geringfügige) Kosten möglich. Indes würde schon das beträchtliche Geschenk, welches Sie, gnädiges Fräulein, wenn ich Sie recht verstanden habe, der in Anspruch genommenen Diakonissenaustalt zudenken, hierfür eine Zeit laug aufkommen. Und ich bezweifle nicht, wenn Ihre schütte Idee breiteren Anklang findet, so würden sich auch für die alsdann natürlich wachsenden Kosten anderweitige, durch Liberalität gewährte Deckungsmittel einstellen: wie ja eine solche Hoffnung bei wahrhaft guten Werken selten getäuscht wird. Dies Schreiben machte mich sehr glücklich. Ich empfand eine der reinsten Freuden, welche das Leben bieten kann. Von ausgezeichnetster Seite war die mir ans Herz gewachsene Idee einer Prüfung unterzogen und für gut und praktisch erklärt worden. Von neuem verkehrte ich eifrig mit dem Pfarrer, unter dessen Leitung ich Armenpflege geübt hatte. Dieser setzte sich mit dankens¬ werter Bereitwilligkeit rin mehreren größeren Diakonissenanstalten und mit einer Hauptstelle für die innere Mission in Verbindung. Die Ansicht der ersteren über die Sache war geteilt; einige verwarfen den ganzen Plan von vornherein, andre erklärten ihn für eine schützenswerte Idee, zu deren Ausführung ihnen jedoch schlechterdings die Kräfte fehlten. In ähnlicher Weise begründete auch die Hauptstelle für innere Mission ihre Ablehnung. So stand ich wieder hilff- und aussichtslos da. Anderseits erstarkte aber mein Glaube an meine Idee mit jeder Zurückweisung, die mir zu Teil ward, mehr und mehr. Plötzlich, nachdem -ich inzwischen wieder vergeblich an verschiedne Thüren geklopft hatte, fand ich in einem Mitgliede einer städtischen Armenbehörde einen Beschützer meiner Bestrebungen. Der Mann hatte durch einen Prediger von der Sache gehört und war für meine Idee in hohem Maße eingenommen. Nachdem ich ihn über alle meine bisherigen Bemühungen gründlich unterrichtet hatte, verhieß er, den ganzen Plan den städtischen Behörden warm zu em¬ pfehlen. Gleichzeitig fragte er mich, ob ich eintretenden Falls mich bereit finden lassen würde, persönlich die Errichtung und Leitung einer Jnstrultionsschule für Armenpflegerinnen zu übernehmen. Ich bejahte dies. Jahrelang hatte ich mich in Geduld gefügt. Nun aber, obgleich ich hoffte, meine Idee in kürzester Zeit verwirklicht zu sehen, regte mich das Warten derart

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/397>, abgerufen am 23.07.2024.