Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.Wie ein Vurort entsteht. müssen, ehe diese einzige, ihr von der Natur zugemessene Mitteilungsfähigkeit Um nicht unbillig zu urteilen, muß man sich aber auf den Standpunkt Vermutlich wird die Scheidekunst künftiger Jahrhunderte auch dieser Analyse Robert lvaldmüller. Wie ein Vurort entsteht. müssen, ehe diese einzige, ihr von der Natur zugemessene Mitteilungsfähigkeit Um nicht unbillig zu urteilen, muß man sich aber auf den Standpunkt Vermutlich wird die Scheidekunst künftiger Jahrhunderte auch dieser Analyse Robert lvaldmüller. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0352" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/201131"/> <fw type="header" place="top"> Wie ein Vurort entsteht.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1045" prev="#ID_1044"> müssen, ehe diese einzige, ihr von der Natur zugemessene Mitteilungsfähigkeit<lb/> Beachtung sand! Und als endlich ihre Stunde geschlagen hatte, da dauerte<lb/> die Freude kaum lange genug, daß sie Zeit hatte, ihre Heilkräfte ordentlich zu<lb/> bethätigen, allen kund zu machen. Um ein paar Fuder Heu mehr oder weniger<lb/> im Jahr machten die Bauern, von denen sie doch den einen nach achtjährigen<lb/> „Kontraktsein" kurirt hatte, dem ohnehin durch Napoleon genugsam geplagten<lb/> Könige den Kopf so marin, daß er einwilligte, man möge dem wilden Wasser<lb/> nieder seinen Lauf lassen. Fast möchte mau es ein Wunder nennen, daß heute<lb/> überhaupt von einem Bade Elster die Rede sein kann. Wäre einer minder ge¬<lb/> duldigen Nymphe so wenig Huld entgegen gebracht worden, sie hätte sich gewiß<lb/> anderswohin gewandt, und jetzt hätten wir das leere Nachsehen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1046"> Um nicht unbillig zu urteilen, muß man sich aber auf den Standpunkt<lb/> des Kulturhistorikers stellen. Nicht viele Anblicke giebt es, die über den Unter¬<lb/> schied zwischen einst und jetzt besser unterrichten als der hier sich bietende. In<lb/> wenigen Stunden vermittelt die Eisenbahn heute den Verkehr nach allen Rich¬<lb/> tungen, und was für Gebresten in diesem oder jenem Kurorte Heilung zu hoffen<lb/> haben, steht in hundert Büchern zu lesen. Wie anders einst! Zur Zeit, als<lb/> die Elsterquelle die Dörfler der Umgegend schon von manchem Gliederreißen<lb/> geheilt hatte, herrschte auf balnevlogischem Gebiete noch so tiefe Finsternis,<lb/> daß ein sächsischer Landesvater, um eine ihm angeratene Kur zu beginnen<lb/> — damals handelte sich's, denke ich, um Nauheim —, erst einen Stall¬<lb/> meister auf Kundschaft nach Ort und Gelegenheit aussenden mußte, und<lb/> daß dieser so lange Zeit am Rhein und am Main hin und her trabte<lb/> und fragte, bis die schlechte Jahreszeit darüber herankam, weshalb der<lb/> Kurritt des bresthaften hohen Herrn um ein ganzes Jahr hinausgeschoben<lb/> werden mußte und sehr übel ablief. Wer anders als die nächsten Nachbarn<lb/> hätte in solcher unwegsamen Zeit von einer selbst gut gepflegten Elster-<lb/> quclle Nutzen ziehen können? Auch die Chemie lag noch in den Windeln.<lb/> Der mchrgenaunte luiv. Leisner gab Anno 1709 „als hierzu von Hoch Fürstl.<lb/> Amte Voigtsberg requirirter Medicus" nach damaligem Herkommen in Barsch<lb/> und Bogen eine Analyse des Elster-Sauerbrunnens, wonach der Brunnen „vor¬<lb/> nehmlich ans einem Lais nitroso, so etwas weniges von einer Nwörs. Nartis,<lb/> oder vielmehr atuminosg, und Lats eoinmurn, nebst einem 8xiritu aktluzreo und<lb/> vielem Wasser bestehe." Die heutige Analyse z. B. der Marienquelle — einer<lb/> der drei Quellen, welche im Gebrauch sind — weiß von dem genauen Gewichts¬<lb/> verhältnisse der sämtlichen in der Quelle ermittelten festen Bestandteile zu be¬<lb/> richten; sie heißen — um sie hier in Reih und Glied aufmarschiren zu lassen —<lb/> doppelt kohlensaures Eisenoxydul, doppelt kohlensaures Manganoxydul, doppelt<lb/> kohlensaures Natron, doppelt kohlensaurer Kalk, doppelt kohlensaure Magnesia,<lb/> doppelt kohlensaures Lithion, ferner Chlornatrium, Chlorkalium, schwefelsaures<lb/> Natron und endlich Kieselsäure, denen sich dann in Kubikzentimetern noch eine<lb/> vierstellige Ziffer für die Rubrik „völlig freie Kohlensäure" gesellt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1047"> Vermutlich wird die Scheidekunst künftiger Jahrhunderte auch dieser Analyse<lb/> nicht zugestehen, das letzte Wort über die Marienquelle gesprochen zu haben,<lb/> aber einstweilen mag der Unterschied zwischen Einst und Jetzt beim Bergleichen<lb/> der beiden erwähnten Analysen uns in erquickender Weise zum Bewußtsein<lb/> kommen.</p><lb/> <note type="byline"> Robert lvaldmüller.</note><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0352]
Wie ein Vurort entsteht.
müssen, ehe diese einzige, ihr von der Natur zugemessene Mitteilungsfähigkeit
Beachtung sand! Und als endlich ihre Stunde geschlagen hatte, da dauerte
die Freude kaum lange genug, daß sie Zeit hatte, ihre Heilkräfte ordentlich zu
bethätigen, allen kund zu machen. Um ein paar Fuder Heu mehr oder weniger
im Jahr machten die Bauern, von denen sie doch den einen nach achtjährigen
„Kontraktsein" kurirt hatte, dem ohnehin durch Napoleon genugsam geplagten
Könige den Kopf so marin, daß er einwilligte, man möge dem wilden Wasser
nieder seinen Lauf lassen. Fast möchte mau es ein Wunder nennen, daß heute
überhaupt von einem Bade Elster die Rede sein kann. Wäre einer minder ge¬
duldigen Nymphe so wenig Huld entgegen gebracht worden, sie hätte sich gewiß
anderswohin gewandt, und jetzt hätten wir das leere Nachsehen.
Um nicht unbillig zu urteilen, muß man sich aber auf den Standpunkt
des Kulturhistorikers stellen. Nicht viele Anblicke giebt es, die über den Unter¬
schied zwischen einst und jetzt besser unterrichten als der hier sich bietende. In
wenigen Stunden vermittelt die Eisenbahn heute den Verkehr nach allen Rich¬
tungen, und was für Gebresten in diesem oder jenem Kurorte Heilung zu hoffen
haben, steht in hundert Büchern zu lesen. Wie anders einst! Zur Zeit, als
die Elsterquelle die Dörfler der Umgegend schon von manchem Gliederreißen
geheilt hatte, herrschte auf balnevlogischem Gebiete noch so tiefe Finsternis,
daß ein sächsischer Landesvater, um eine ihm angeratene Kur zu beginnen
— damals handelte sich's, denke ich, um Nauheim —, erst einen Stall¬
meister auf Kundschaft nach Ort und Gelegenheit aussenden mußte, und
daß dieser so lange Zeit am Rhein und am Main hin und her trabte
und fragte, bis die schlechte Jahreszeit darüber herankam, weshalb der
Kurritt des bresthaften hohen Herrn um ein ganzes Jahr hinausgeschoben
werden mußte und sehr übel ablief. Wer anders als die nächsten Nachbarn
hätte in solcher unwegsamen Zeit von einer selbst gut gepflegten Elster-
quclle Nutzen ziehen können? Auch die Chemie lag noch in den Windeln.
Der mchrgenaunte luiv. Leisner gab Anno 1709 „als hierzu von Hoch Fürstl.
Amte Voigtsberg requirirter Medicus" nach damaligem Herkommen in Barsch
und Bogen eine Analyse des Elster-Sauerbrunnens, wonach der Brunnen „vor¬
nehmlich ans einem Lais nitroso, so etwas weniges von einer Nwörs. Nartis,
oder vielmehr atuminosg, und Lats eoinmurn, nebst einem 8xiritu aktluzreo und
vielem Wasser bestehe." Die heutige Analyse z. B. der Marienquelle — einer
der drei Quellen, welche im Gebrauch sind — weiß von dem genauen Gewichts¬
verhältnisse der sämtlichen in der Quelle ermittelten festen Bestandteile zu be¬
richten; sie heißen — um sie hier in Reih und Glied aufmarschiren zu lassen —
doppelt kohlensaures Eisenoxydul, doppelt kohlensaures Manganoxydul, doppelt
kohlensaures Natron, doppelt kohlensaurer Kalk, doppelt kohlensaure Magnesia,
doppelt kohlensaures Lithion, ferner Chlornatrium, Chlorkalium, schwefelsaures
Natron und endlich Kieselsäure, denen sich dann in Kubikzentimetern noch eine
vierstellige Ziffer für die Rubrik „völlig freie Kohlensäure" gesellt.
Vermutlich wird die Scheidekunst künftiger Jahrhunderte auch dieser Analyse
nicht zugestehen, das letzte Wort über die Marienquelle gesprochen zu haben,
aber einstweilen mag der Unterschied zwischen Einst und Jetzt beim Bergleichen
der beiden erwähnten Analysen uns in erquickender Weise zum Bewußtsein
kommen.
Robert lvaldmüller.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |