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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Die Verfassung des deutschen Reiches im vorigen Jahrhundert.

Stellung von Schleswig-Holstein war eben so unklar, wie sie es immer gewesen
ist bis zum Jahre 1866. Schon zu den Zeiten des Schmalkaldener Bundes¬
krieges hatte Frankreich die drei lothringischen Bistümer Metz, Toul und Verdun
an sich gerissen. Im Jahre 1648 war der österreichische Teil des Elsaß, der
sogenannte Sundgau, in französischen Besitz gekommen. Der übrige Teil des
Elsaß mit Straßburg, die Freigrafschaft Burgund, Teile von Flandern und
Hennegau hatten infolge der Raubkriege Ludwigs XIV. dasselbe Schicksal gehabt.
Endlich waren nach dem polnischen Erbfolgekriege zur Sicherung der prag¬
matischen Sanktion die Herzogtümer Lothringen und Bar, die Stammlande des
Gemahls der Maria Theresia, anfänglich an den verjagten Polenkönig Stanis-
laus Lescynski abgetreten worden und nach dessen Tode an Frankreich gefallen.
Das hinderte aber durchaus nicht, daß unsre gelehrtesten Staatsrechtslehrer
des vorigen Jahrhunderts alle diese g.vulW Inixerü, diese abgerissenen Glieder
des Reiches, ohne weiteres entweder alle oder doch einen Teil derselben dem
Reiche zurechneten.

Der größere Teil des Gebietes, welcher mit Recht als zum Reiche gehörig
angesehen werden kann, war eingeteilt in zehn Kreise, die eirouli Illixsrü. Die
erste Einteilung in Kreise, und zwar in vier, hatte bereits Kaiser Wenzel im
Landfrieden zu Nürnberg 1383 versucht. Maximilian I. hat dann im Jahre
1500 sechs Kreise gebildet. Die bis zur Auflösung des Reiches bestehende Ein¬
teilung in zehn Kreise wurde auf dem Reichstage zu Köln im Jahre 1312
durchgeführt. Daher wurde auch Wohl von den sechs alten und den vier neuen
Kreisen gesprochen. Außerdem unterschied man bisweilen die vorderen, west¬
lichen, und die Hinteren, östlichen Neichskreise. Die Namen der Kreise in der
Reihenfolge, in welcher sie am leichtesten zu behalten sind, heißen: der öster¬
reichische, der baierische, der schwäbische, der fränkische, der oberrheinische, der
niederrheinische oder Kurkreis (von den vier Kurfürstentümern, die darin lagen,
Mainz, Trier, Köln, Pfalz), der burgundische, der westfälische, der ober- und
der niedersächsische Kreis.

Von der Kreiseinteilung ausgeschlossen waren zunächst die Lande der Krone
Böhmen, die ja unsre tschechischen Bundesbrüder jetzt als die Lande der Wenzels¬
krone zu bezeichnen belieben, nämlich: Böhmen, Mähren, Schlesien, die Ober-
und die Niederlausitz. Nicht "eingekreist" waren dann zweiundvierzig kleinere
Gebietsteile, darunter im Rheinlande z. B. Elten, Burtscheid, Dhck, in West¬
falen die Probstei Cappenberg, die Herrschaften Rhaden. Nheda, Landskron:e.
Dazu kommen dann die sogenannten Neichsdörfer und die gauerbschaftlicheu
Gebiete, d. h. solche, welche mehreren "Dynasten" gemeinsam gehörten. Ebenso
gehörten den Kreisen nicht an die zahllosen Gebiete der Reichsritterschaft, der
nMlitÄS luixerii, welche sich in drei Ritterkreise teilte, den schwäbischen, den
fränkischen und den rheinischen. Auch die Lande der Eidgenossen haben niemals
einem Reichskreise angehört.


Die Verfassung des deutschen Reiches im vorigen Jahrhundert.

Stellung von Schleswig-Holstein war eben so unklar, wie sie es immer gewesen
ist bis zum Jahre 1866. Schon zu den Zeiten des Schmalkaldener Bundes¬
krieges hatte Frankreich die drei lothringischen Bistümer Metz, Toul und Verdun
an sich gerissen. Im Jahre 1648 war der österreichische Teil des Elsaß, der
sogenannte Sundgau, in französischen Besitz gekommen. Der übrige Teil des
Elsaß mit Straßburg, die Freigrafschaft Burgund, Teile von Flandern und
Hennegau hatten infolge der Raubkriege Ludwigs XIV. dasselbe Schicksal gehabt.
Endlich waren nach dem polnischen Erbfolgekriege zur Sicherung der prag¬
matischen Sanktion die Herzogtümer Lothringen und Bar, die Stammlande des
Gemahls der Maria Theresia, anfänglich an den verjagten Polenkönig Stanis-
laus Lescynski abgetreten worden und nach dessen Tode an Frankreich gefallen.
Das hinderte aber durchaus nicht, daß unsre gelehrtesten Staatsrechtslehrer
des vorigen Jahrhunderts alle diese g.vulW Inixerü, diese abgerissenen Glieder
des Reiches, ohne weiteres entweder alle oder doch einen Teil derselben dem
Reiche zurechneten.

Der größere Teil des Gebietes, welcher mit Recht als zum Reiche gehörig
angesehen werden kann, war eingeteilt in zehn Kreise, die eirouli Illixsrü. Die
erste Einteilung in Kreise, und zwar in vier, hatte bereits Kaiser Wenzel im
Landfrieden zu Nürnberg 1383 versucht. Maximilian I. hat dann im Jahre
1500 sechs Kreise gebildet. Die bis zur Auflösung des Reiches bestehende Ein¬
teilung in zehn Kreise wurde auf dem Reichstage zu Köln im Jahre 1312
durchgeführt. Daher wurde auch Wohl von den sechs alten und den vier neuen
Kreisen gesprochen. Außerdem unterschied man bisweilen die vorderen, west¬
lichen, und die Hinteren, östlichen Neichskreise. Die Namen der Kreise in der
Reihenfolge, in welcher sie am leichtesten zu behalten sind, heißen: der öster¬
reichische, der baierische, der schwäbische, der fränkische, der oberrheinische, der
niederrheinische oder Kurkreis (von den vier Kurfürstentümern, die darin lagen,
Mainz, Trier, Köln, Pfalz), der burgundische, der westfälische, der ober- und
der niedersächsische Kreis.

Von der Kreiseinteilung ausgeschlossen waren zunächst die Lande der Krone
Böhmen, die ja unsre tschechischen Bundesbrüder jetzt als die Lande der Wenzels¬
krone zu bezeichnen belieben, nämlich: Böhmen, Mähren, Schlesien, die Ober-
und die Niederlausitz. Nicht „eingekreist" waren dann zweiundvierzig kleinere
Gebietsteile, darunter im Rheinlande z. B. Elten, Burtscheid, Dhck, in West¬
falen die Probstei Cappenberg, die Herrschaften Rhaden. Nheda, Landskron:e.
Dazu kommen dann die sogenannten Neichsdörfer und die gauerbschaftlicheu
Gebiete, d. h. solche, welche mehreren „Dynasten" gemeinsam gehörten. Ebenso
gehörten den Kreisen nicht an die zahllosen Gebiete der Reichsritterschaft, der
nMlitÄS luixerii, welche sich in drei Ritterkreise teilte, den schwäbischen, den
fränkischen und den rheinischen. Auch die Lande der Eidgenossen haben niemals
einem Reichskreise angehört.


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[0316] Die Verfassung des deutschen Reiches im vorigen Jahrhundert. Stellung von Schleswig-Holstein war eben so unklar, wie sie es immer gewesen ist bis zum Jahre 1866. Schon zu den Zeiten des Schmalkaldener Bundes¬ krieges hatte Frankreich die drei lothringischen Bistümer Metz, Toul und Verdun an sich gerissen. Im Jahre 1648 war der österreichische Teil des Elsaß, der sogenannte Sundgau, in französischen Besitz gekommen. Der übrige Teil des Elsaß mit Straßburg, die Freigrafschaft Burgund, Teile von Flandern und Hennegau hatten infolge der Raubkriege Ludwigs XIV. dasselbe Schicksal gehabt. Endlich waren nach dem polnischen Erbfolgekriege zur Sicherung der prag¬ matischen Sanktion die Herzogtümer Lothringen und Bar, die Stammlande des Gemahls der Maria Theresia, anfänglich an den verjagten Polenkönig Stanis- laus Lescynski abgetreten worden und nach dessen Tode an Frankreich gefallen. Das hinderte aber durchaus nicht, daß unsre gelehrtesten Staatsrechtslehrer des vorigen Jahrhunderts alle diese g.vulW Inixerü, diese abgerissenen Glieder des Reiches, ohne weiteres entweder alle oder doch einen Teil derselben dem Reiche zurechneten. Der größere Teil des Gebietes, welcher mit Recht als zum Reiche gehörig angesehen werden kann, war eingeteilt in zehn Kreise, die eirouli Illixsrü. Die erste Einteilung in Kreise, und zwar in vier, hatte bereits Kaiser Wenzel im Landfrieden zu Nürnberg 1383 versucht. Maximilian I. hat dann im Jahre 1500 sechs Kreise gebildet. Die bis zur Auflösung des Reiches bestehende Ein¬ teilung in zehn Kreise wurde auf dem Reichstage zu Köln im Jahre 1312 durchgeführt. Daher wurde auch Wohl von den sechs alten und den vier neuen Kreisen gesprochen. Außerdem unterschied man bisweilen die vorderen, west¬ lichen, und die Hinteren, östlichen Neichskreise. Die Namen der Kreise in der Reihenfolge, in welcher sie am leichtesten zu behalten sind, heißen: der öster¬ reichische, der baierische, der schwäbische, der fränkische, der oberrheinische, der niederrheinische oder Kurkreis (von den vier Kurfürstentümern, die darin lagen, Mainz, Trier, Köln, Pfalz), der burgundische, der westfälische, der ober- und der niedersächsische Kreis. Von der Kreiseinteilung ausgeschlossen waren zunächst die Lande der Krone Böhmen, die ja unsre tschechischen Bundesbrüder jetzt als die Lande der Wenzels¬ krone zu bezeichnen belieben, nämlich: Böhmen, Mähren, Schlesien, die Ober- und die Niederlausitz. Nicht „eingekreist" waren dann zweiundvierzig kleinere Gebietsteile, darunter im Rheinlande z. B. Elten, Burtscheid, Dhck, in West¬ falen die Probstei Cappenberg, die Herrschaften Rhaden. Nheda, Landskron:e. Dazu kommen dann die sogenannten Neichsdörfer und die gauerbschaftlicheu Gebiete, d. h. solche, welche mehreren „Dynasten" gemeinsam gehörten. Ebenso gehörten den Kreisen nicht an die zahllosen Gebiete der Reichsritterschaft, der nMlitÄS luixerii, welche sich in drei Ritterkreise teilte, den schwäbischen, den fränkischen und den rheinischen. Auch die Lande der Eidgenossen haben niemals einem Reichskreise angehört.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/316>, abgerufen am 23.07.2024.