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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Deutsch-böhmische Briefe.

die zwar als Kritiker bedeutend, als Poeten aber meist recht impotent waren,
bot den damaligen tschechischen Vcrsifexen die Muster und die literarischen
Richtungen, die Sprache schöpften sie aus den wenigen, ihnen bekannten alt¬
tschechischen Gedichten, und die Ideen der Freiheit, Humanität und Nationalität,
welche ihre mittelalterlichen Helden vertreten, hatte ihnen Frankreich geliefert.
Die Gedichte der Königinhofer Handschrift sind Mache, größtenteils ungeschickte
Mache, und nur die geringe Bildung und der verblendete Fanatismus jener
Renaissance der Tschechen konnte darin etwas andres, Seitenstücke zu dem
Nibelungenliede und zu den Minnesängern erblicken. Eher könnte man sie jetzt
Seitenstücke zur Mormonenbibel nennen. Jener nationale Fanatismus aber
will auch die letzte Aufdeckung des Hankaschen Humbugs nicht anerkannt wissen.
Unverkennbar gepreßten Herzens sprach die Prager Tschechenpresse über das
Auftreten Gebauers und Masarhks, und ein Blatt erklärte es gerade heraus für
ungehörig, daß sie angesichts des Kampfes mit den Deutschen solche Er¬
örterungen angestellt hätten. Die Königinhofer Handschrift sei dem tschechischen
Volke so ans Herz gewachsen, daß es unrecht sei, sie mit dem Sezirmesser
einer eiskalten linguistischen Chirurgie loszutrennen. Und anderswo wurde
bemerkt: "Und wäre diese Banknote auch wirklich Fälschung -- wir haben zu
viel dafür gekauft, um das eingestehen zu können: unsre Wiedergeburt, unsre
poetische Literatur." Hörten wir recht? Wiedergeburt eines Volkes auf Grund
einer Fälschung? Poetische Literatur, erwachsen aus Schwindel? Je nun, sie
sagen's selber, und da muß es wohl richtig sein. Wir gratuliren dazu.




Deutsch-böhmische Briefe.

die zwar als Kritiker bedeutend, als Poeten aber meist recht impotent waren,
bot den damaligen tschechischen Vcrsifexen die Muster und die literarischen
Richtungen, die Sprache schöpften sie aus den wenigen, ihnen bekannten alt¬
tschechischen Gedichten, und die Ideen der Freiheit, Humanität und Nationalität,
welche ihre mittelalterlichen Helden vertreten, hatte ihnen Frankreich geliefert.
Die Gedichte der Königinhofer Handschrift sind Mache, größtenteils ungeschickte
Mache, und nur die geringe Bildung und der verblendete Fanatismus jener
Renaissance der Tschechen konnte darin etwas andres, Seitenstücke zu dem
Nibelungenliede und zu den Minnesängern erblicken. Eher könnte man sie jetzt
Seitenstücke zur Mormonenbibel nennen. Jener nationale Fanatismus aber
will auch die letzte Aufdeckung des Hankaschen Humbugs nicht anerkannt wissen.
Unverkennbar gepreßten Herzens sprach die Prager Tschechenpresse über das
Auftreten Gebauers und Masarhks, und ein Blatt erklärte es gerade heraus für
ungehörig, daß sie angesichts des Kampfes mit den Deutschen solche Er¬
örterungen angestellt hätten. Die Königinhofer Handschrift sei dem tschechischen
Volke so ans Herz gewachsen, daß es unrecht sei, sie mit dem Sezirmesser
einer eiskalten linguistischen Chirurgie loszutrennen. Und anderswo wurde
bemerkt: „Und wäre diese Banknote auch wirklich Fälschung — wir haben zu
viel dafür gekauft, um das eingestehen zu können: unsre Wiedergeburt, unsre
poetische Literatur." Hörten wir recht? Wiedergeburt eines Volkes auf Grund
einer Fälschung? Poetische Literatur, erwachsen aus Schwindel? Je nun, sie
sagen's selber, und da muß es wohl richtig sein. Wir gratuliren dazu.




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[0300] Deutsch-böhmische Briefe. die zwar als Kritiker bedeutend, als Poeten aber meist recht impotent waren, bot den damaligen tschechischen Vcrsifexen die Muster und die literarischen Richtungen, die Sprache schöpften sie aus den wenigen, ihnen bekannten alt¬ tschechischen Gedichten, und die Ideen der Freiheit, Humanität und Nationalität, welche ihre mittelalterlichen Helden vertreten, hatte ihnen Frankreich geliefert. Die Gedichte der Königinhofer Handschrift sind Mache, größtenteils ungeschickte Mache, und nur die geringe Bildung und der verblendete Fanatismus jener Renaissance der Tschechen konnte darin etwas andres, Seitenstücke zu dem Nibelungenliede und zu den Minnesängern erblicken. Eher könnte man sie jetzt Seitenstücke zur Mormonenbibel nennen. Jener nationale Fanatismus aber will auch die letzte Aufdeckung des Hankaschen Humbugs nicht anerkannt wissen. Unverkennbar gepreßten Herzens sprach die Prager Tschechenpresse über das Auftreten Gebauers und Masarhks, und ein Blatt erklärte es gerade heraus für ungehörig, daß sie angesichts des Kampfes mit den Deutschen solche Er¬ örterungen angestellt hätten. Die Königinhofer Handschrift sei dem tschechischen Volke so ans Herz gewachsen, daß es unrecht sei, sie mit dem Sezirmesser einer eiskalten linguistischen Chirurgie loszutrennen. Und anderswo wurde bemerkt: „Und wäre diese Banknote auch wirklich Fälschung — wir haben zu viel dafür gekauft, um das eingestehen zu können: unsre Wiedergeburt, unsre poetische Literatur." Hörten wir recht? Wiedergeburt eines Volkes auf Grund einer Fälschung? Poetische Literatur, erwachsen aus Schwindel? Je nun, sie sagen's selber, und da muß es wohl richtig sein. Wir gratuliren dazu.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/300>, abgerufen am 25.08.2024.