Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Deutsch-böhmische Briefe.

Über die erstgenannte zu sagen war, einigermaßen ausführlich beschäftigen. Von
dem andern Schwindelprodukte genüge, zu sagen, daß es im Jahre 1817 von
Franz Kovar im Archive des Schlosses Grüneberg "entdeckt" worden sein und
aus dem neunten Jahrhundert stammen soll, daß es zwei Bruchstücke epischer
Gedichte: "Die Landtage" und "Libussas Gericht" enthält, und daß es gleich
der Hankaschcn Fälschung sich noch heute der Ehre erfreut, im böhmischen Na¬
tionalmuseum als kostbare Reliquie aufbewahrt zu werden, obgleich schon nach
Kovitars und Büdingers Untersuchungen kein Verständiger mehr daran zweifeln
konnte, daß es ein Fabrikat unsers Jahrhunderts ist.

Die paläographische Prüfung der Königinhofer Handschrift zeigt vierund¬
siebzig Nasnren auf zwölf kleinen Blättern, während mittelalterliche Schreiber
Irrtümer weniger mit dem Radirmesser als durch Unterpunttiren berichtigen.
Ferner wird in allen alten Handschriften in der Weise korrigirt, daß unge¬
bräuchlich gewordene Wortforme" vom Abschreiber durch neuere, verständlichere
ersetzt werden. Bei Hankas Fund verhält sich's umgekehrt, und man fragt sich:
Konnte ein Schreiber des dreizehnten Jahrhunderts beim Radiren und Ver¬
bessern seiner ersten Niederschrift auf den Gedanken geraten, verständliche Worte
durch unverständliche, veraltete zu ersetzen, zumal da die Gedichte keine Reime
haben, die auf ältere Formen erhaltend wirken konnten? Zeigt es nicht deutlich
den modernen Fälscher, wenn er eine neutschechische Form hinschreibt und dann
die philologisch erschlossene alte dafür anbringt? Hanka hatte die Handschrift
mehrere Jahre in seiner Verwahrung, und je mehr er seine grammatische
Kenntnis erweiterte, desto mehr Fehler fand er in seiner ersten Niederschrift zu
berichtige!?, und nur die "alte Tinte," d. h. die aus dem Jahre 1317, fehlte
ihm, um die Fälschung vollkommen zu machen.

Im Jahre 1817 kannte man das Alttschcchische trotz der bahnbrechenden
Arbeiten Dobrovskhs nur sehr unvollkommen. Seine Schüler, zu denen Hanka
gehörte, kamen ihm auch nicht entfernt nahe, und von einer Fälschung, die aus
diesen Kreisen hervorging, wird man daher g. priori eine Sprache erwarten
können, welche den Ergebnissen der neuesten Forschung keineswegs entspricht.
Das Urteil der historischen Grammatik lautet denn auch für die Königinhofer
Handschrift geradezu vernichtend. Ihre Sprache ist in ihrem syntaktischen Ge-
füge ganz modern, sie macht den Eindruck des Altertümlichen nur durch alte
Wörter, von denen überdies viele russische, polnische und serbische Fremdwörter
sind, und dieses Bild wird dnrch die häufigen Germanismen des Textes nicht
verschönert. Gebauer war in der Lage, die Sprache des letzteren mit der einer
gewaltigen Menge unzweifelhaft echter literarischer Denkmäler aus dem tsche¬
chischen Mittelalter zu vergleichen, und das Ergebnis seiner Vergleichung
ist: in den ungefähr 6400 Wörtern der Königinhofer Handschrift, deren
Sprache man bisher in weiten Kreisen als ein Alttschechisch reinsten Wassers
betrachtet hatte, finden sich über siebenhundert Verstöße gegen alle Regeln


Deutsch-böhmische Briefe.

Über die erstgenannte zu sagen war, einigermaßen ausführlich beschäftigen. Von
dem andern Schwindelprodukte genüge, zu sagen, daß es im Jahre 1817 von
Franz Kovar im Archive des Schlosses Grüneberg „entdeckt" worden sein und
aus dem neunten Jahrhundert stammen soll, daß es zwei Bruchstücke epischer
Gedichte: „Die Landtage" und „Libussas Gericht" enthält, und daß es gleich
der Hankaschcn Fälschung sich noch heute der Ehre erfreut, im böhmischen Na¬
tionalmuseum als kostbare Reliquie aufbewahrt zu werden, obgleich schon nach
Kovitars und Büdingers Untersuchungen kein Verständiger mehr daran zweifeln
konnte, daß es ein Fabrikat unsers Jahrhunderts ist.

Die paläographische Prüfung der Königinhofer Handschrift zeigt vierund¬
siebzig Nasnren auf zwölf kleinen Blättern, während mittelalterliche Schreiber
Irrtümer weniger mit dem Radirmesser als durch Unterpunttiren berichtigen.
Ferner wird in allen alten Handschriften in der Weise korrigirt, daß unge¬
bräuchlich gewordene Wortforme» vom Abschreiber durch neuere, verständlichere
ersetzt werden. Bei Hankas Fund verhält sich's umgekehrt, und man fragt sich:
Konnte ein Schreiber des dreizehnten Jahrhunderts beim Radiren und Ver¬
bessern seiner ersten Niederschrift auf den Gedanken geraten, verständliche Worte
durch unverständliche, veraltete zu ersetzen, zumal da die Gedichte keine Reime
haben, die auf ältere Formen erhaltend wirken konnten? Zeigt es nicht deutlich
den modernen Fälscher, wenn er eine neutschechische Form hinschreibt und dann
die philologisch erschlossene alte dafür anbringt? Hanka hatte die Handschrift
mehrere Jahre in seiner Verwahrung, und je mehr er seine grammatische
Kenntnis erweiterte, desto mehr Fehler fand er in seiner ersten Niederschrift zu
berichtige!?, und nur die „alte Tinte," d. h. die aus dem Jahre 1317, fehlte
ihm, um die Fälschung vollkommen zu machen.

Im Jahre 1817 kannte man das Alttschcchische trotz der bahnbrechenden
Arbeiten Dobrovskhs nur sehr unvollkommen. Seine Schüler, zu denen Hanka
gehörte, kamen ihm auch nicht entfernt nahe, und von einer Fälschung, die aus
diesen Kreisen hervorging, wird man daher g. priori eine Sprache erwarten
können, welche den Ergebnissen der neuesten Forschung keineswegs entspricht.
Das Urteil der historischen Grammatik lautet denn auch für die Königinhofer
Handschrift geradezu vernichtend. Ihre Sprache ist in ihrem syntaktischen Ge-
füge ganz modern, sie macht den Eindruck des Altertümlichen nur durch alte
Wörter, von denen überdies viele russische, polnische und serbische Fremdwörter
sind, und dieses Bild wird dnrch die häufigen Germanismen des Textes nicht
verschönert. Gebauer war in der Lage, die Sprache des letzteren mit der einer
gewaltigen Menge unzweifelhaft echter literarischer Denkmäler aus dem tsche¬
chischen Mittelalter zu vergleichen, und das Ergebnis seiner Vergleichung
ist: in den ungefähr 6400 Wörtern der Königinhofer Handschrift, deren
Sprache man bisher in weiten Kreisen als ein Alttschechisch reinsten Wassers
betrachtet hatte, finden sich über siebenhundert Verstöße gegen alle Regeln


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0296" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/201075"/>
          <fw type="header" place="top"> Deutsch-böhmische Briefe.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_850" prev="#ID_849"> Über die erstgenannte zu sagen war, einigermaßen ausführlich beschäftigen. Von<lb/>
dem andern Schwindelprodukte genüge, zu sagen, daß es im Jahre 1817 von<lb/>
Franz Kovar im Archive des Schlosses Grüneberg &#x201E;entdeckt" worden sein und<lb/>
aus dem neunten Jahrhundert stammen soll, daß es zwei Bruchstücke epischer<lb/>
Gedichte: &#x201E;Die Landtage" und &#x201E;Libussas Gericht" enthält, und daß es gleich<lb/>
der Hankaschcn Fälschung sich noch heute der Ehre erfreut, im böhmischen Na¬<lb/>
tionalmuseum als kostbare Reliquie aufbewahrt zu werden, obgleich schon nach<lb/>
Kovitars und Büdingers Untersuchungen kein Verständiger mehr daran zweifeln<lb/>
konnte, daß es ein Fabrikat unsers Jahrhunderts ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_851"> Die paläographische Prüfung der Königinhofer Handschrift zeigt vierund¬<lb/>
siebzig Nasnren auf zwölf kleinen Blättern, während mittelalterliche Schreiber<lb/>
Irrtümer weniger mit dem Radirmesser als durch Unterpunttiren berichtigen.<lb/>
Ferner wird in allen alten Handschriften in der Weise korrigirt, daß unge¬<lb/>
bräuchlich gewordene Wortforme» vom Abschreiber durch neuere, verständlichere<lb/>
ersetzt werden. Bei Hankas Fund verhält sich's umgekehrt, und man fragt sich:<lb/>
Konnte ein Schreiber des dreizehnten Jahrhunderts beim Radiren und Ver¬<lb/>
bessern seiner ersten Niederschrift auf den Gedanken geraten, verständliche Worte<lb/>
durch unverständliche, veraltete zu ersetzen, zumal da die Gedichte keine Reime<lb/>
haben, die auf ältere Formen erhaltend wirken konnten? Zeigt es nicht deutlich<lb/>
den modernen Fälscher, wenn er eine neutschechische Form hinschreibt und dann<lb/>
die philologisch erschlossene alte dafür anbringt? Hanka hatte die Handschrift<lb/>
mehrere Jahre in seiner Verwahrung, und je mehr er seine grammatische<lb/>
Kenntnis erweiterte, desto mehr Fehler fand er in seiner ersten Niederschrift zu<lb/>
berichtige!?, und nur die &#x201E;alte Tinte," d. h. die aus dem Jahre 1317, fehlte<lb/>
ihm, um die Fälschung vollkommen zu machen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_852" next="#ID_853"> Im Jahre 1817 kannte man das Alttschcchische trotz der bahnbrechenden<lb/>
Arbeiten Dobrovskhs nur sehr unvollkommen. Seine Schüler, zu denen Hanka<lb/>
gehörte, kamen ihm auch nicht entfernt nahe, und von einer Fälschung, die aus<lb/>
diesen Kreisen hervorging, wird man daher g. priori eine Sprache erwarten<lb/>
können, welche den Ergebnissen der neuesten Forschung keineswegs entspricht.<lb/>
Das Urteil der historischen Grammatik lautet denn auch für die Königinhofer<lb/>
Handschrift geradezu vernichtend. Ihre Sprache ist in ihrem syntaktischen Ge-<lb/>
füge ganz modern, sie macht den Eindruck des Altertümlichen nur durch alte<lb/>
Wörter, von denen überdies viele russische, polnische und serbische Fremdwörter<lb/>
sind, und dieses Bild wird dnrch die häufigen Germanismen des Textes nicht<lb/>
verschönert. Gebauer war in der Lage, die Sprache des letzteren mit der einer<lb/>
gewaltigen Menge unzweifelhaft echter literarischer Denkmäler aus dem tsche¬<lb/>
chischen Mittelalter zu vergleichen, und das Ergebnis seiner Vergleichung<lb/>
ist: in den ungefähr 6400 Wörtern der Königinhofer Handschrift, deren<lb/>
Sprache man bisher in weiten Kreisen als ein Alttschechisch reinsten Wassers<lb/>
betrachtet hatte, finden sich über siebenhundert Verstöße gegen alle Regeln</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0296] Deutsch-böhmische Briefe. Über die erstgenannte zu sagen war, einigermaßen ausführlich beschäftigen. Von dem andern Schwindelprodukte genüge, zu sagen, daß es im Jahre 1817 von Franz Kovar im Archive des Schlosses Grüneberg „entdeckt" worden sein und aus dem neunten Jahrhundert stammen soll, daß es zwei Bruchstücke epischer Gedichte: „Die Landtage" und „Libussas Gericht" enthält, und daß es gleich der Hankaschcn Fälschung sich noch heute der Ehre erfreut, im böhmischen Na¬ tionalmuseum als kostbare Reliquie aufbewahrt zu werden, obgleich schon nach Kovitars und Büdingers Untersuchungen kein Verständiger mehr daran zweifeln konnte, daß es ein Fabrikat unsers Jahrhunderts ist. Die paläographische Prüfung der Königinhofer Handschrift zeigt vierund¬ siebzig Nasnren auf zwölf kleinen Blättern, während mittelalterliche Schreiber Irrtümer weniger mit dem Radirmesser als durch Unterpunttiren berichtigen. Ferner wird in allen alten Handschriften in der Weise korrigirt, daß unge¬ bräuchlich gewordene Wortforme» vom Abschreiber durch neuere, verständlichere ersetzt werden. Bei Hankas Fund verhält sich's umgekehrt, und man fragt sich: Konnte ein Schreiber des dreizehnten Jahrhunderts beim Radiren und Ver¬ bessern seiner ersten Niederschrift auf den Gedanken geraten, verständliche Worte durch unverständliche, veraltete zu ersetzen, zumal da die Gedichte keine Reime haben, die auf ältere Formen erhaltend wirken konnten? Zeigt es nicht deutlich den modernen Fälscher, wenn er eine neutschechische Form hinschreibt und dann die philologisch erschlossene alte dafür anbringt? Hanka hatte die Handschrift mehrere Jahre in seiner Verwahrung, und je mehr er seine grammatische Kenntnis erweiterte, desto mehr Fehler fand er in seiner ersten Niederschrift zu berichtige!?, und nur die „alte Tinte," d. h. die aus dem Jahre 1317, fehlte ihm, um die Fälschung vollkommen zu machen. Im Jahre 1817 kannte man das Alttschcchische trotz der bahnbrechenden Arbeiten Dobrovskhs nur sehr unvollkommen. Seine Schüler, zu denen Hanka gehörte, kamen ihm auch nicht entfernt nahe, und von einer Fälschung, die aus diesen Kreisen hervorging, wird man daher g. priori eine Sprache erwarten können, welche den Ergebnissen der neuesten Forschung keineswegs entspricht. Das Urteil der historischen Grammatik lautet denn auch für die Königinhofer Handschrift geradezu vernichtend. Ihre Sprache ist in ihrem syntaktischen Ge- füge ganz modern, sie macht den Eindruck des Altertümlichen nur durch alte Wörter, von denen überdies viele russische, polnische und serbische Fremdwörter sind, und dieses Bild wird dnrch die häufigen Germanismen des Textes nicht verschönert. Gebauer war in der Lage, die Sprache des letzteren mit der einer gewaltigen Menge unzweifelhaft echter literarischer Denkmäler aus dem tsche¬ chischen Mittelalter zu vergleichen, und das Ergebnis seiner Vergleichung ist: in den ungefähr 6400 Wörtern der Königinhofer Handschrift, deren Sprache man bisher in weiten Kreisen als ein Alttschechisch reinsten Wassers betrachtet hatte, finden sich über siebenhundert Verstöße gegen alle Regeln

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/296
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/296>, abgerufen am 23.07.2024.