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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Dichterfreundinnen.

mich immer schöner dadurch geschmückt erblicken. Nenne mich nicht Titanide.
Man fühlt wenig Mitleid, Liebe und Schmerz für das Kühne, Sonderbare.
Schon bemerkst du die mächtigen Stürme der Seele, die an meinem Wesen
vorübergingen. Gebiete ihnen zu schweigen und fasse jetzt auf ewig die nahe
liebende Seele!" Jean Paul selbst war tief gerührt. "Es giebt -- schreibt er
am 6. Januar an Otto -- nichts Heiligeres und Erhabeneres als ihre Liebe.
Sie ist weniger sinnlich als irgend ein Mädchen, man halte nur ihre ästhe¬
tische Philosophie über die Unschuld der Sinnlichkeit nicht für die Neigung zu
letzterer." Nur sehr allmählich, während sich Jean Paul wieder in eine Frauen¬
liebe und eine trügerische Verlobung stürzte, lösten sich die LiebcSbekenntnisse,
die sich aus Charlottens gequälten Herzen losrangen, in lautere Freundschaft
auf. Aber das Ungraziöse und Harte, welches schon Schillers Braut und
Jean Paul bei seiner ersten Bekanntschaft aufgefallen war, nahm sichtlich zu:
ein nervöses Lachen, welches oft die ernsteste Rede unterbrach, unzarte Äuße¬
rungen über sittliche Dinge, die ihr selbst heilig waren, ein aufdringliches Hasten
und Jagen nach Erwerbsquellen der allergewöhnlichsten Art und andres mehr,
das in ihrer äußern Erscheinung haftete. Wir dürfen sie uns vorstellen, wie
Jean Paul sie seinem Freunde Otto bereits am 12. Juni 1796 schildert:
"Sie ist stark, voll, auch das Gesicht. Drei Viertel Zeit brachte sie mit
Lachen hin -- dessen Hälfte aber nur Nervenschwäche ist -- und ein Viertel
mit Ernst, wobei sie die großen, fast ganz zugesunkenen Augenlider himmlisch
in die Höhe hebt, wie wenn Wolken den Mond wechselsweise verhüllen und
entblößen. Sie sind ein sonderbarer Mensch, das sagte sie mir dreißigmal."

Den Sommer 1799 brachte Charlotte mit ihrem Manne zum größern
Teile in Kalbsrieth zu, dann kehrte sie zurück, um Weimar für immer zu ver¬
lassen. Sie wandte sich zunächst nach Waltershausen bei Meiningen, ihrem
Geburtsorte, immer noch in der Hoffnung, daß wenigstens das Stammgut aus
der Schuldenmasse gerettet werden könnte. Jean Paul blieb noch in Weimar,
wechselte aber bald darauf häufig seinen Wohnort, bis er sich verheiratete und
in Bayreuth eine Heimat fand. Charlotte blieb immer mit ihm in Briefwechsel,
sah ihn auch einigemale und brachte seiner Familie ihre herzlichste Teilnahme
entgegen. Ihr letzter Brief an ihn ist vom August 1817, mit seiner Frau
stand sie noch bis 1821 im Briefwechsel.*) Sie suchte bei dem Freunde Er¬
hebung des Geistes und nicht selten auch Rat und Hilfe in materiellen Dingen.
Jean Paul befriedigte die unermüdliche Freundin, so gut er konnte. Im April
1805 bittet er Jacobi, der Frau von Kalb einen Besuch zu machen, und fährt
fort: "Sie war eine innige Freundin Herders, Goethes, Schillers u. s. w., ihr



*) Ihre Briefe sind vollständig erhalten und gedruckt in dem Buche von Paul Ncrrlich:
Briefe von Charlotte von Kalb an Jean Paul und dessen Gattin. Die seinigen sind bis
auf wenige aus der ersten Zeit verschwunden, wahrscheinlich vernichtet worden.
Dichterfreundinnen.

mich immer schöner dadurch geschmückt erblicken. Nenne mich nicht Titanide.
Man fühlt wenig Mitleid, Liebe und Schmerz für das Kühne, Sonderbare.
Schon bemerkst du die mächtigen Stürme der Seele, die an meinem Wesen
vorübergingen. Gebiete ihnen zu schweigen und fasse jetzt auf ewig die nahe
liebende Seele!" Jean Paul selbst war tief gerührt. „Es giebt — schreibt er
am 6. Januar an Otto — nichts Heiligeres und Erhabeneres als ihre Liebe.
Sie ist weniger sinnlich als irgend ein Mädchen, man halte nur ihre ästhe¬
tische Philosophie über die Unschuld der Sinnlichkeit nicht für die Neigung zu
letzterer." Nur sehr allmählich, während sich Jean Paul wieder in eine Frauen¬
liebe und eine trügerische Verlobung stürzte, lösten sich die LiebcSbekenntnisse,
die sich aus Charlottens gequälten Herzen losrangen, in lautere Freundschaft
auf. Aber das Ungraziöse und Harte, welches schon Schillers Braut und
Jean Paul bei seiner ersten Bekanntschaft aufgefallen war, nahm sichtlich zu:
ein nervöses Lachen, welches oft die ernsteste Rede unterbrach, unzarte Äuße¬
rungen über sittliche Dinge, die ihr selbst heilig waren, ein aufdringliches Hasten
und Jagen nach Erwerbsquellen der allergewöhnlichsten Art und andres mehr,
das in ihrer äußern Erscheinung haftete. Wir dürfen sie uns vorstellen, wie
Jean Paul sie seinem Freunde Otto bereits am 12. Juni 1796 schildert:
„Sie ist stark, voll, auch das Gesicht. Drei Viertel Zeit brachte sie mit
Lachen hin — dessen Hälfte aber nur Nervenschwäche ist — und ein Viertel
mit Ernst, wobei sie die großen, fast ganz zugesunkenen Augenlider himmlisch
in die Höhe hebt, wie wenn Wolken den Mond wechselsweise verhüllen und
entblößen. Sie sind ein sonderbarer Mensch, das sagte sie mir dreißigmal."

Den Sommer 1799 brachte Charlotte mit ihrem Manne zum größern
Teile in Kalbsrieth zu, dann kehrte sie zurück, um Weimar für immer zu ver¬
lassen. Sie wandte sich zunächst nach Waltershausen bei Meiningen, ihrem
Geburtsorte, immer noch in der Hoffnung, daß wenigstens das Stammgut aus
der Schuldenmasse gerettet werden könnte. Jean Paul blieb noch in Weimar,
wechselte aber bald darauf häufig seinen Wohnort, bis er sich verheiratete und
in Bayreuth eine Heimat fand. Charlotte blieb immer mit ihm in Briefwechsel,
sah ihn auch einigemale und brachte seiner Familie ihre herzlichste Teilnahme
entgegen. Ihr letzter Brief an ihn ist vom August 1817, mit seiner Frau
stand sie noch bis 1821 im Briefwechsel.*) Sie suchte bei dem Freunde Er¬
hebung des Geistes und nicht selten auch Rat und Hilfe in materiellen Dingen.
Jean Paul befriedigte die unermüdliche Freundin, so gut er konnte. Im April
1805 bittet er Jacobi, der Frau von Kalb einen Besuch zu machen, und fährt
fort: „Sie war eine innige Freundin Herders, Goethes, Schillers u. s. w., ihr



*) Ihre Briefe sind vollständig erhalten und gedruckt in dem Buche von Paul Ncrrlich:
Briefe von Charlotte von Kalb an Jean Paul und dessen Gattin. Die seinigen sind bis
auf wenige aus der ersten Zeit verschwunden, wahrscheinlich vernichtet worden.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/291>, abgerufen am 23.07.2024.