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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Lin süddeutscher Patriot vor hundert Jahren.

land wirklich ist. Die Nation muß wissen, daß ihr so viel daran liegt als
ihren Fürsten, daß Deutschland nicht unter einen komme." Hier finden wir
die staatliche Einheit der Nation gerade aus dem Grunde verneint, weil von
Schubart in der erlauchten Republik deutscher Fürsten Preußen die Führung
zugedacht ist. Schubart hat sich früher als "Cäsarianer" bekannt, den Schritt
zu dem kühnen Gedanken einer Trennung von Habsburg wagt er nicht zu thun;
um den zum größten Teile undeutschen Einfluß Österreichs auf Deutschland
möglichst unschädlich zu machen, denkt er sich als das wirksamste Mittel eine
dauernde Vereinigung des hohen Adels deutscher Nation in hündischen Formen
unter Preußens Leitung. Die Zurückweisung Österreichs kleidet sich in die
Form der Verwerfung der Universalmonarchie, ein krankhaftes Furchtgefühl,
das namentlich auch den begeisterten Lobredner des Fürstenbundes, den Historiker
Johannes Müller, verfolgte. Gerade wegen seines Interesses für nationale
Kultur in ihrer lebendigen Besonderheit war Müller der entschiedene Gegner
der nationalen Einheit der Deutschen. Denn -- so war sein Gedankengang --
wenn es erst dem Hause Österreich gelungen wäre, die gesamte riesenhafte Kriegs¬
macht der deutschen Nation in seiner Hand zu vereinigen, dann könnte das
Ergebnis nur das sein, daß ein eiserner, von keiner rivalisirenden Macht mehr
in Schranken gehaltener Despotismus zunächst jede Freiheit in Deutschland
unterdrücken und mit der despotisch beherrschten Macht Deutschlands alles
nationale Sonderdasein der europäischen Völker vernichten würde. Eine Er¬
innerung an Karl V. und eine gewisse Vorahnung Metternichs geben dieser
Auffassung einen Schein von Berechtigung. Sie ist jedenfalls das sprechendste
Beispiel dafür, wie die verworrene Gestaltung der staatlichen Verhältnisse im
römischen Reiche deutscher Nation auch den hellblickendsten und geistreichsten
Politikern es unendlich schwierig machte, auch nur theoretisch zu einer be¬
friedigenden Lösung der nationalen Frage zu gelangen. Daß namentlich ein
Süddeutscher, heute vor hundert Jahren, noch nicht den Mut hatte, das lösende
Wort des Rätsels in dem einfachen: "Ausschluß Österreichs" zu finden, ist
schwerlich irgend einem zu verdenken.

Wenn wir hier von einer Schuld sprachen, so verstehen wir das Wort
im geschichtlichen Sinne, ohne damit einen sittlichen Vorwurf für den Einzelnen
zu verbinden. Dagegen ist höchst bemerkenswert, daß Schubart daran erinnert,
was ein "Fürstenbund" für jeden einzelnen Mann in Deutschland wirklich sei
oder sein könne, beziehentlich sein solle. Es bricht hier die Ahnung durch, welche
sich zu klarerer Vorstellung freilich erst fast ein halbes Jahrhundert später unter
den Deutschen erhob, daß ohne eine Beteiligung des Volkes an der Verbindung,
in welcher Form sie auch immer ermöglicht werden würde, dieser letzteren
eine eigentlich nationale Bedeutung nicht zukomme. Kein Deutschland ohne
deutschen Reichstag! Freilich haben wir es hier nur mit dämmernden Ideen
zu thun, aber sie beweisen, daß, auch ohne französisches Zuthun, deutsche


Lin süddeutscher Patriot vor hundert Jahren.

land wirklich ist. Die Nation muß wissen, daß ihr so viel daran liegt als
ihren Fürsten, daß Deutschland nicht unter einen komme." Hier finden wir
die staatliche Einheit der Nation gerade aus dem Grunde verneint, weil von
Schubart in der erlauchten Republik deutscher Fürsten Preußen die Führung
zugedacht ist. Schubart hat sich früher als „Cäsarianer" bekannt, den Schritt
zu dem kühnen Gedanken einer Trennung von Habsburg wagt er nicht zu thun;
um den zum größten Teile undeutschen Einfluß Österreichs auf Deutschland
möglichst unschädlich zu machen, denkt er sich als das wirksamste Mittel eine
dauernde Vereinigung des hohen Adels deutscher Nation in hündischen Formen
unter Preußens Leitung. Die Zurückweisung Österreichs kleidet sich in die
Form der Verwerfung der Universalmonarchie, ein krankhaftes Furchtgefühl,
das namentlich auch den begeisterten Lobredner des Fürstenbundes, den Historiker
Johannes Müller, verfolgte. Gerade wegen seines Interesses für nationale
Kultur in ihrer lebendigen Besonderheit war Müller der entschiedene Gegner
der nationalen Einheit der Deutschen. Denn — so war sein Gedankengang —
wenn es erst dem Hause Österreich gelungen wäre, die gesamte riesenhafte Kriegs¬
macht der deutschen Nation in seiner Hand zu vereinigen, dann könnte das
Ergebnis nur das sein, daß ein eiserner, von keiner rivalisirenden Macht mehr
in Schranken gehaltener Despotismus zunächst jede Freiheit in Deutschland
unterdrücken und mit der despotisch beherrschten Macht Deutschlands alles
nationale Sonderdasein der europäischen Völker vernichten würde. Eine Er¬
innerung an Karl V. und eine gewisse Vorahnung Metternichs geben dieser
Auffassung einen Schein von Berechtigung. Sie ist jedenfalls das sprechendste
Beispiel dafür, wie die verworrene Gestaltung der staatlichen Verhältnisse im
römischen Reiche deutscher Nation auch den hellblickendsten und geistreichsten
Politikern es unendlich schwierig machte, auch nur theoretisch zu einer be¬
friedigenden Lösung der nationalen Frage zu gelangen. Daß namentlich ein
Süddeutscher, heute vor hundert Jahren, noch nicht den Mut hatte, das lösende
Wort des Rätsels in dem einfachen: „Ausschluß Österreichs" zu finden, ist
schwerlich irgend einem zu verdenken.

Wenn wir hier von einer Schuld sprachen, so verstehen wir das Wort
im geschichtlichen Sinne, ohne damit einen sittlichen Vorwurf für den Einzelnen
zu verbinden. Dagegen ist höchst bemerkenswert, daß Schubart daran erinnert,
was ein „Fürstenbund" für jeden einzelnen Mann in Deutschland wirklich sei
oder sein könne, beziehentlich sein solle. Es bricht hier die Ahnung durch, welche
sich zu klarerer Vorstellung freilich erst fast ein halbes Jahrhundert später unter
den Deutschen erhob, daß ohne eine Beteiligung des Volkes an der Verbindung,
in welcher Form sie auch immer ermöglicht werden würde, dieser letzteren
eine eigentlich nationale Bedeutung nicht zukomme. Kein Deutschland ohne
deutschen Reichstag! Freilich haben wir es hier nur mit dämmernden Ideen
zu thun, aber sie beweisen, daß, auch ohne französisches Zuthun, deutsche


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/283>, abgerufen am 25.08.2024.