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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Gin süddeutscher Patriot vor hundert Jahren.

Schubart, der sich doch persönlich gern in "genialischer" Freiheit des Lebens auf¬
lohte, keine Spur zu finden. Er befreundet sich mit der Zensur, wenn diese von der
guten Absicht geleitet ist, unsittliche und pfäffisch verdummende Bücher zu unter¬
drücken. Manche Willkürmaßregel Josefs II. findet darum seinen vollen Beifall.
Von Ludwig XVI. rühmt er, daß vernünftige Sparsamkeit aus allen seinen
Anstalten hervorleuchte. "Da der Franzose bisher nur zu viel seinem Vergnügen
aufopferte, so will der König einen großen Teil des Aufgewendeten zum all¬
gemeinen Besten verwenden. Er will diesem leichtfertigen Volke Gutes thun,
wenn es sich auch dagegen sträubt." Von diesem Standpunkte aus werden
Luxusgesetze und Kleiderordnungen gepriesen. Ja der Landgraf von Hessen
wird höchlich belobt, weil er eine Verordnung erlassen hat des Inhalts: daß
in Zukunft niemand von Bürgern oder Bauern, noch auch ein herrschaftlicher
Livree-Bedienter seine Kinder von den gemeinen Hantirungen ab- und zum
Studiren oder zu dem Stande der sogenannten Honoratiorum erziehen solle,
er habe denn vorher hinlängliche Attestata von der Fähigkeit, Talenten u. s. w.
beigebracht und die hohe gnädigste Einwilligung dazu erhalten. "Möchte doch
-- ruft Schubart aus -- diese Verordnung in unserm lieben Vaterlande allgemein
werden! Warum sind wir mit so vielen Stümpern und Dünnungen im Reiche
der Gelehrsamkeit überschwemmt? Weil nicht der Staat, sondern der Vater
über die künftige Bestimmung seines Sohnes entscheidet." Dem Staate war
der aufgeklärte Patriot jener Zeit bereit, alles zuzugestehen, wenn nur der
Staat selbst und sein Herrscher aufgeklärt waren. Hierin mag wohl der Haupt¬
grund zu suchen sein, warum Schubart, der die Schattenseiten fürstlicher Will¬
kürherrschaft zu beobachten hinlängliche Gelegenheit hatte, der überdies an mehr
als einem Orte die Freiheit Englands und den Charakter des freien Engländers
preist, doch niemals auf eine verfassungsmäßige Beschränkung der monarchischen
Gewalt auch nur leise hindeutete. Wenigstens nicht in den Jahrgängen 1774--77
seiner Chronik, welche vor seine zehnjährige Gefangenschaft auf dem Asperg
und vor die französische Revolution fallen. Daß eine solche Andeutung dem
Chronisten zu gefährlich erschienen wäre, ist nicht anzunehmen; einem Schrift¬
steller von Schubarts Federgewandtheit mußte es ein Leichtes sein, für einen
derartigen Gedanken -- wenn nur der Verfasser selbst im klar bewußten Besitz
desselben war -- eine unverfängliche Einkleidung zu finden. Die Sache ist
umso auffälliger, da Schubart ein Schwabe war und, nach mehrjährigem Aufent¬
halt in der herzoglichen Residenz Ludwigsburg, ein halber Württemberger. In
Württemberg aber hatte sich eine auf Vertrag vom Jahre 1514 beruhende
landständischc Verfassung erhalten, deren Gerechtsame soeben gegen willkürliche
Eingriffe des Herzogs Karl Eugen mit großer Hartnäckigkeit verteidigt worden
waren, was zu einem Konflikt führte, der erst nach vieljühriger Dauer durch
ausländische Vermittlung leidlich beigelegt wurde. Schubart thut der württem-
bergischen Verfassung und des württembergischen Verfassungsstreites nirgends


Gin süddeutscher Patriot vor hundert Jahren.

Schubart, der sich doch persönlich gern in „genialischer" Freiheit des Lebens auf¬
lohte, keine Spur zu finden. Er befreundet sich mit der Zensur, wenn diese von der
guten Absicht geleitet ist, unsittliche und pfäffisch verdummende Bücher zu unter¬
drücken. Manche Willkürmaßregel Josefs II. findet darum seinen vollen Beifall.
Von Ludwig XVI. rühmt er, daß vernünftige Sparsamkeit aus allen seinen
Anstalten hervorleuchte. „Da der Franzose bisher nur zu viel seinem Vergnügen
aufopferte, so will der König einen großen Teil des Aufgewendeten zum all¬
gemeinen Besten verwenden. Er will diesem leichtfertigen Volke Gutes thun,
wenn es sich auch dagegen sträubt." Von diesem Standpunkte aus werden
Luxusgesetze und Kleiderordnungen gepriesen. Ja der Landgraf von Hessen
wird höchlich belobt, weil er eine Verordnung erlassen hat des Inhalts: daß
in Zukunft niemand von Bürgern oder Bauern, noch auch ein herrschaftlicher
Livree-Bedienter seine Kinder von den gemeinen Hantirungen ab- und zum
Studiren oder zu dem Stande der sogenannten Honoratiorum erziehen solle,
er habe denn vorher hinlängliche Attestata von der Fähigkeit, Talenten u. s. w.
beigebracht und die hohe gnädigste Einwilligung dazu erhalten. „Möchte doch
— ruft Schubart aus — diese Verordnung in unserm lieben Vaterlande allgemein
werden! Warum sind wir mit so vielen Stümpern und Dünnungen im Reiche
der Gelehrsamkeit überschwemmt? Weil nicht der Staat, sondern der Vater
über die künftige Bestimmung seines Sohnes entscheidet." Dem Staate war
der aufgeklärte Patriot jener Zeit bereit, alles zuzugestehen, wenn nur der
Staat selbst und sein Herrscher aufgeklärt waren. Hierin mag wohl der Haupt¬
grund zu suchen sein, warum Schubart, der die Schattenseiten fürstlicher Will¬
kürherrschaft zu beobachten hinlängliche Gelegenheit hatte, der überdies an mehr
als einem Orte die Freiheit Englands und den Charakter des freien Engländers
preist, doch niemals auf eine verfassungsmäßige Beschränkung der monarchischen
Gewalt auch nur leise hindeutete. Wenigstens nicht in den Jahrgängen 1774—77
seiner Chronik, welche vor seine zehnjährige Gefangenschaft auf dem Asperg
und vor die französische Revolution fallen. Daß eine solche Andeutung dem
Chronisten zu gefährlich erschienen wäre, ist nicht anzunehmen; einem Schrift¬
steller von Schubarts Federgewandtheit mußte es ein Leichtes sein, für einen
derartigen Gedanken — wenn nur der Verfasser selbst im klar bewußten Besitz
desselben war — eine unverfängliche Einkleidung zu finden. Die Sache ist
umso auffälliger, da Schubart ein Schwabe war und, nach mehrjährigem Aufent¬
halt in der herzoglichen Residenz Ludwigsburg, ein halber Württemberger. In
Württemberg aber hatte sich eine auf Vertrag vom Jahre 1514 beruhende
landständischc Verfassung erhalten, deren Gerechtsame soeben gegen willkürliche
Eingriffe des Herzogs Karl Eugen mit großer Hartnäckigkeit verteidigt worden
waren, was zu einem Konflikt führte, der erst nach vieljühriger Dauer durch
ausländische Vermittlung leidlich beigelegt wurde. Schubart thut der württem-
bergischen Verfassung und des württembergischen Verfassungsstreites nirgends


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[0280] Gin süddeutscher Patriot vor hundert Jahren. Schubart, der sich doch persönlich gern in „genialischer" Freiheit des Lebens auf¬ lohte, keine Spur zu finden. Er befreundet sich mit der Zensur, wenn diese von der guten Absicht geleitet ist, unsittliche und pfäffisch verdummende Bücher zu unter¬ drücken. Manche Willkürmaßregel Josefs II. findet darum seinen vollen Beifall. Von Ludwig XVI. rühmt er, daß vernünftige Sparsamkeit aus allen seinen Anstalten hervorleuchte. „Da der Franzose bisher nur zu viel seinem Vergnügen aufopferte, so will der König einen großen Teil des Aufgewendeten zum all¬ gemeinen Besten verwenden. Er will diesem leichtfertigen Volke Gutes thun, wenn es sich auch dagegen sträubt." Von diesem Standpunkte aus werden Luxusgesetze und Kleiderordnungen gepriesen. Ja der Landgraf von Hessen wird höchlich belobt, weil er eine Verordnung erlassen hat des Inhalts: daß in Zukunft niemand von Bürgern oder Bauern, noch auch ein herrschaftlicher Livree-Bedienter seine Kinder von den gemeinen Hantirungen ab- und zum Studiren oder zu dem Stande der sogenannten Honoratiorum erziehen solle, er habe denn vorher hinlängliche Attestata von der Fähigkeit, Talenten u. s. w. beigebracht und die hohe gnädigste Einwilligung dazu erhalten. „Möchte doch — ruft Schubart aus — diese Verordnung in unserm lieben Vaterlande allgemein werden! Warum sind wir mit so vielen Stümpern und Dünnungen im Reiche der Gelehrsamkeit überschwemmt? Weil nicht der Staat, sondern der Vater über die künftige Bestimmung seines Sohnes entscheidet." Dem Staate war der aufgeklärte Patriot jener Zeit bereit, alles zuzugestehen, wenn nur der Staat selbst und sein Herrscher aufgeklärt waren. Hierin mag wohl der Haupt¬ grund zu suchen sein, warum Schubart, der die Schattenseiten fürstlicher Will¬ kürherrschaft zu beobachten hinlängliche Gelegenheit hatte, der überdies an mehr als einem Orte die Freiheit Englands und den Charakter des freien Engländers preist, doch niemals auf eine verfassungsmäßige Beschränkung der monarchischen Gewalt auch nur leise hindeutete. Wenigstens nicht in den Jahrgängen 1774—77 seiner Chronik, welche vor seine zehnjährige Gefangenschaft auf dem Asperg und vor die französische Revolution fallen. Daß eine solche Andeutung dem Chronisten zu gefährlich erschienen wäre, ist nicht anzunehmen; einem Schrift¬ steller von Schubarts Federgewandtheit mußte es ein Leichtes sein, für einen derartigen Gedanken — wenn nur der Verfasser selbst im klar bewußten Besitz desselben war — eine unverfängliche Einkleidung zu finden. Die Sache ist umso auffälliger, da Schubart ein Schwabe war und, nach mehrjährigem Aufent¬ halt in der herzoglichen Residenz Ludwigsburg, ein halber Württemberger. In Württemberg aber hatte sich eine auf Vertrag vom Jahre 1514 beruhende landständischc Verfassung erhalten, deren Gerechtsame soeben gegen willkürliche Eingriffe des Herzogs Karl Eugen mit großer Hartnäckigkeit verteidigt worden waren, was zu einem Konflikt führte, der erst nach vieljühriger Dauer durch ausländische Vermittlung leidlich beigelegt wurde. Schubart thut der württem- bergischen Verfassung und des württembergischen Verfassungsstreites nirgends

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/280>, abgerufen am 23.07.2024.