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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Ein süddeutscher Patriot vor hundert Jahren.

der Ausländer uns phlegmatische Kerls nennt, uns Genie und Witz abspricht
und uns gern unter der Sklavenherde der Nachahmer zum Thore 'naustreiben
möchte, und wir dann dastehen und auf die Brust schlagen und sprechen: Habt
ihr auch erfunden, was wir erfunden haben? so muß er uns mit Ehrfurcht
ansehen und Gott danken, wenn wir nur Kameraden mit ihm sein wollen. Der
Kerl hat's Pulver nicht erfunden, pflegt man im Sprichwort von einem dummen
Menschen zu sagen, aber wir Haben's erfunden. Die ganze Geschützwissenschaft
ist unser; die Buchdruckerkunst ist unser; die Kupferstecherkunst und Sammetstich
und Holzschnitt sind unser. Ha, majestätische Orgel, du bist unser Geschöpf
und auch du, zärtlich girrendes Klarinett! Wir haben Göttergebäude hingetürmt
und den Riß, wie Gott, als er Welten schuf, aus uns selber genommen; der
Sklave der Säulenordnungen nennt sie gotisch, aber der Seher, der wie Goethe
sieht, bleibt staunend vor diesen Gebäuden stehen und bemerkt die lichthellen
Züge altdeutscher Geisteskraft. Und noch giebt's große Seelen unter uns, die
so lange in die Nacht hineinschauen, bis es dämmert oder bis ein Flämmlein
auffährt, das den umnachteten Pfad beleuchtet. Eben dieses stete Hirschauer,
eben diese Geduld und dies Harren, das den Erfinder und Entdecker charak-
terisirt, ist unser Eigentum und hebt uns über alle Nationen der Welt empor."
Angesichts solcher Überlegenheit des deutschen Geistes glaubt Schubart die
Hoffnung begründet, daß die deutsche Sprache auch in aristokratischen und fürst¬
lichen Kreisen, wo sie noch so vielfach hinter die französische zurückgesetzt wird,
sich bald die gebührende Geltung verschaffen werde. "Die regierende Mark¬
gräfin von Baden-Durlach, Klopstocks große Beschützerin, gehört uuter die ein¬
sichtsvollste" nud belesensten Damen der Welt, und hält sich nicht für zu groß
und vornehm, deutsch zu können" (1774, S. 443).

War überhaupt französische Sprache und Literatur noch von Nöten, um
Lücken unsrer eignen Bildung auszufüllen oder um für die Nacheiferung der
Deutschen Muster und Vorbild abzugeben? Leibniz, Thomasius, Gottsched u. a.
hatten in patriotischem Sinne das Studium und die Nachahmung der Franzosen
empfohlen, damit ihre Landsleute umso rascher dazu gelangen sollten, es ihnen
gleichzuthun. Und noch nicht lange war es her, daß Voltaire gemeint hatte,
mehr Geist und weniger Konsonanten, dies wäre die Voraussetzung, unter
welcher es die Deutschen möglicherweise auch in der Literatur zu etwas bringen
könnten. Im Jahre 1774 aber, als Schubart seine Chronik anfing, hatte ein
Süddeutscher in den "Leiden des jungen Werthers" und ein Norddeutscher in
der "Lenore" gezeigt, daß deutscher Geist und Konsonantensprache Werke schaffen
konnten, denen an Ursprünglichkeit, Tiefe und zauberischer Gewalt nichts Fran¬
zösisches zu vergleichen war.

Freilich in Sitten und Gebräuchen, in Mode und Tand steckte noch überall
des Französischen übergenug. Und gerade hier entlädt sich am heftigsten Schu-
barts patriotischer Zorn. Macht es ihm doch immer ganz besondres Vergnügen,


Ein süddeutscher Patriot vor hundert Jahren.

der Ausländer uns phlegmatische Kerls nennt, uns Genie und Witz abspricht
und uns gern unter der Sklavenherde der Nachahmer zum Thore 'naustreiben
möchte, und wir dann dastehen und auf die Brust schlagen und sprechen: Habt
ihr auch erfunden, was wir erfunden haben? so muß er uns mit Ehrfurcht
ansehen und Gott danken, wenn wir nur Kameraden mit ihm sein wollen. Der
Kerl hat's Pulver nicht erfunden, pflegt man im Sprichwort von einem dummen
Menschen zu sagen, aber wir Haben's erfunden. Die ganze Geschützwissenschaft
ist unser; die Buchdruckerkunst ist unser; die Kupferstecherkunst und Sammetstich
und Holzschnitt sind unser. Ha, majestätische Orgel, du bist unser Geschöpf
und auch du, zärtlich girrendes Klarinett! Wir haben Göttergebäude hingetürmt
und den Riß, wie Gott, als er Welten schuf, aus uns selber genommen; der
Sklave der Säulenordnungen nennt sie gotisch, aber der Seher, der wie Goethe
sieht, bleibt staunend vor diesen Gebäuden stehen und bemerkt die lichthellen
Züge altdeutscher Geisteskraft. Und noch giebt's große Seelen unter uns, die
so lange in die Nacht hineinschauen, bis es dämmert oder bis ein Flämmlein
auffährt, das den umnachteten Pfad beleuchtet. Eben dieses stete Hirschauer,
eben diese Geduld und dies Harren, das den Erfinder und Entdecker charak-
terisirt, ist unser Eigentum und hebt uns über alle Nationen der Welt empor."
Angesichts solcher Überlegenheit des deutschen Geistes glaubt Schubart die
Hoffnung begründet, daß die deutsche Sprache auch in aristokratischen und fürst¬
lichen Kreisen, wo sie noch so vielfach hinter die französische zurückgesetzt wird,
sich bald die gebührende Geltung verschaffen werde. „Die regierende Mark¬
gräfin von Baden-Durlach, Klopstocks große Beschützerin, gehört uuter die ein¬
sichtsvollste» nud belesensten Damen der Welt, und hält sich nicht für zu groß
und vornehm, deutsch zu können" (1774, S. 443).

War überhaupt französische Sprache und Literatur noch von Nöten, um
Lücken unsrer eignen Bildung auszufüllen oder um für die Nacheiferung der
Deutschen Muster und Vorbild abzugeben? Leibniz, Thomasius, Gottsched u. a.
hatten in patriotischem Sinne das Studium und die Nachahmung der Franzosen
empfohlen, damit ihre Landsleute umso rascher dazu gelangen sollten, es ihnen
gleichzuthun. Und noch nicht lange war es her, daß Voltaire gemeint hatte,
mehr Geist und weniger Konsonanten, dies wäre die Voraussetzung, unter
welcher es die Deutschen möglicherweise auch in der Literatur zu etwas bringen
könnten. Im Jahre 1774 aber, als Schubart seine Chronik anfing, hatte ein
Süddeutscher in den „Leiden des jungen Werthers" und ein Norddeutscher in
der „Lenore" gezeigt, daß deutscher Geist und Konsonantensprache Werke schaffen
konnten, denen an Ursprünglichkeit, Tiefe und zauberischer Gewalt nichts Fran¬
zösisches zu vergleichen war.

Freilich in Sitten und Gebräuchen, in Mode und Tand steckte noch überall
des Französischen übergenug. Und gerade hier entlädt sich am heftigsten Schu-
barts patriotischer Zorn. Macht es ihm doch immer ganz besondres Vergnügen,


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[0277] Ein süddeutscher Patriot vor hundert Jahren. der Ausländer uns phlegmatische Kerls nennt, uns Genie und Witz abspricht und uns gern unter der Sklavenherde der Nachahmer zum Thore 'naustreiben möchte, und wir dann dastehen und auf die Brust schlagen und sprechen: Habt ihr auch erfunden, was wir erfunden haben? so muß er uns mit Ehrfurcht ansehen und Gott danken, wenn wir nur Kameraden mit ihm sein wollen. Der Kerl hat's Pulver nicht erfunden, pflegt man im Sprichwort von einem dummen Menschen zu sagen, aber wir Haben's erfunden. Die ganze Geschützwissenschaft ist unser; die Buchdruckerkunst ist unser; die Kupferstecherkunst und Sammetstich und Holzschnitt sind unser. Ha, majestätische Orgel, du bist unser Geschöpf und auch du, zärtlich girrendes Klarinett! Wir haben Göttergebäude hingetürmt und den Riß, wie Gott, als er Welten schuf, aus uns selber genommen; der Sklave der Säulenordnungen nennt sie gotisch, aber der Seher, der wie Goethe sieht, bleibt staunend vor diesen Gebäuden stehen und bemerkt die lichthellen Züge altdeutscher Geisteskraft. Und noch giebt's große Seelen unter uns, die so lange in die Nacht hineinschauen, bis es dämmert oder bis ein Flämmlein auffährt, das den umnachteten Pfad beleuchtet. Eben dieses stete Hirschauer, eben diese Geduld und dies Harren, das den Erfinder und Entdecker charak- terisirt, ist unser Eigentum und hebt uns über alle Nationen der Welt empor." Angesichts solcher Überlegenheit des deutschen Geistes glaubt Schubart die Hoffnung begründet, daß die deutsche Sprache auch in aristokratischen und fürst¬ lichen Kreisen, wo sie noch so vielfach hinter die französische zurückgesetzt wird, sich bald die gebührende Geltung verschaffen werde. „Die regierende Mark¬ gräfin von Baden-Durlach, Klopstocks große Beschützerin, gehört uuter die ein¬ sichtsvollste» nud belesensten Damen der Welt, und hält sich nicht für zu groß und vornehm, deutsch zu können" (1774, S. 443). War überhaupt französische Sprache und Literatur noch von Nöten, um Lücken unsrer eignen Bildung auszufüllen oder um für die Nacheiferung der Deutschen Muster und Vorbild abzugeben? Leibniz, Thomasius, Gottsched u. a. hatten in patriotischem Sinne das Studium und die Nachahmung der Franzosen empfohlen, damit ihre Landsleute umso rascher dazu gelangen sollten, es ihnen gleichzuthun. Und noch nicht lange war es her, daß Voltaire gemeint hatte, mehr Geist und weniger Konsonanten, dies wäre die Voraussetzung, unter welcher es die Deutschen möglicherweise auch in der Literatur zu etwas bringen könnten. Im Jahre 1774 aber, als Schubart seine Chronik anfing, hatte ein Süddeutscher in den „Leiden des jungen Werthers" und ein Norddeutscher in der „Lenore" gezeigt, daß deutscher Geist und Konsonantensprache Werke schaffen konnten, denen an Ursprünglichkeit, Tiefe und zauberischer Gewalt nichts Fran¬ zösisches zu vergleichen war. Freilich in Sitten und Gebräuchen, in Mode und Tand steckte noch überall des Französischen übergenug. Und gerade hier entlädt sich am heftigsten Schu- barts patriotischer Zorn. Macht es ihm doch immer ganz besondres Vergnügen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/277>, abgerufen am 23.07.2024.