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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Vberschlesien und seine Germanisirung.

Jahre bei vier- bis fünfmonatlicher Dauer wöchentlich nur in zwei Stunden
erteilt wird, ferner, wie viel Zeit durch das Einprägen des ursprünglich fremden
Memorirstosfes dem Geistlichen hierbei noch verloren geht, endlich, daß im
Beicht- und Kommunionunterricht in der Regel weit mehr Kinder bei einander
vereinigt sind als in der Schule und daß der Geistliche sich daher ohnehin
weniger dem einzelnen Kinde widmen kaun als der Lehrer, so fragt man sich
unwillkürlich: Wie tief kann der Geistliche nnter solchen Umständen bei der
Erteilung dieses Unterrichtes in den Stoff eindringen, und von welchem Nutzen
kann dieser wichtige Unterricht, der nach dem Angeführten doch immer nur
oberflächlich gehalten werden kann, schließlich für das ganze spätere Leben der
betreffenden Kinder sein? Jedem, der das Angeführte unparteiisch erwägt,
werden sich von selbst gerechte Zweifel über den Nutzen der Erteilung des
Beicht- und Kommunionunterrichts an polnische und mährische Kinder in ihrer
Muttersprache aufdrängen, und er wird wahrscheinlich zu dem Schlüsse kommen,
daß es für die betreffenden Kinder heilsamer wäre, wenn sie den betreffenden
kirchlichen Unterricht, nachdem sie den Katechismusunterricht in der Schule nur
in deutscher Sprache erhalten haben, statt in ihrer Muttersprache auch in
deutscher Sprache erhielten, und daß dies für ihr ganzes Leben von größerem und
bleibenderen Nutzen sein würde. Dagegen wird uns sicher jeder auch darin
beistimmen, daß hierdurch der Aufgabe der Schule, das Deutschtum zu verbreiten,
nnter den gegenwärtigen Verhältnissen in der denkbar wirksamsten Weise ent¬
gegengearbeitet wird. Denn es wird nicht nur der Wert des in der Schule
deutsch erteilten Religionsunterrichtes im Gegensatz zu dem von der Geistlichkeit
in der Muttersprache erteilten Beicht- und Kommunionunterricht in den Augen
der nicht deutschredenden Bevölkerung in ungerechtfertigter Weise herabgedrückt,
sondern die deutsche Sprache verliert als Ncligionssprache überhaupt bei ihnen
ihren Wert gegenüber der Muttersprache. Polnisch oder mährisch beten und
singen, so schließen die Leute, ist verdienstlicher als deutsch beten und singen,
und polnischer oder mährischer Gottesdienst ist Gott wohlgefälliger als deutscher.
Und so wird bei der nicht deutschredenden Bevölkerung nicht nur der in der
Schule deutsch erteilte Religionsunterricht, sondern auch der deutsche Gottes¬
dienst und die deutsche Sprache überhaupt herabgesetzt, und die ganz müh¬
same Arbeit der Schule, deutsche Sprache und deutsches Wesen zu verbreiten,
durchkreuzt.

Die Staatsregierung hat sich denn anch längst diesen Erwägungen nicht
verschließen können und ist bei den beiden zuständigen höchsten Kirchenbehörden
der Provinz wegen Abhilfe vorstellig geworden. Während aber vom Konsistorium
in der bereitwilligsten Weise auf diese Wünsche der Negierung eingegangen
worden ist, sodaß von der evangelischen Geistlichkeit der Konfirmandenunterricht
jetzt in der ganzen Provinz im Anschluß an den in der Schule deutsch erteilten
Religionsunterricht nur in deutscher Sprache erteilt wird, hat man auf katho-


Vberschlesien und seine Germanisirung.

Jahre bei vier- bis fünfmonatlicher Dauer wöchentlich nur in zwei Stunden
erteilt wird, ferner, wie viel Zeit durch das Einprägen des ursprünglich fremden
Memorirstosfes dem Geistlichen hierbei noch verloren geht, endlich, daß im
Beicht- und Kommunionunterricht in der Regel weit mehr Kinder bei einander
vereinigt sind als in der Schule und daß der Geistliche sich daher ohnehin
weniger dem einzelnen Kinde widmen kaun als der Lehrer, so fragt man sich
unwillkürlich: Wie tief kann der Geistliche nnter solchen Umständen bei der
Erteilung dieses Unterrichtes in den Stoff eindringen, und von welchem Nutzen
kann dieser wichtige Unterricht, der nach dem Angeführten doch immer nur
oberflächlich gehalten werden kann, schließlich für das ganze spätere Leben der
betreffenden Kinder sein? Jedem, der das Angeführte unparteiisch erwägt,
werden sich von selbst gerechte Zweifel über den Nutzen der Erteilung des
Beicht- und Kommunionunterrichts an polnische und mährische Kinder in ihrer
Muttersprache aufdrängen, und er wird wahrscheinlich zu dem Schlüsse kommen,
daß es für die betreffenden Kinder heilsamer wäre, wenn sie den betreffenden
kirchlichen Unterricht, nachdem sie den Katechismusunterricht in der Schule nur
in deutscher Sprache erhalten haben, statt in ihrer Muttersprache auch in
deutscher Sprache erhielten, und daß dies für ihr ganzes Leben von größerem und
bleibenderen Nutzen sein würde. Dagegen wird uns sicher jeder auch darin
beistimmen, daß hierdurch der Aufgabe der Schule, das Deutschtum zu verbreiten,
nnter den gegenwärtigen Verhältnissen in der denkbar wirksamsten Weise ent¬
gegengearbeitet wird. Denn es wird nicht nur der Wert des in der Schule
deutsch erteilten Religionsunterrichtes im Gegensatz zu dem von der Geistlichkeit
in der Muttersprache erteilten Beicht- und Kommunionunterricht in den Augen
der nicht deutschredenden Bevölkerung in ungerechtfertigter Weise herabgedrückt,
sondern die deutsche Sprache verliert als Ncligionssprache überhaupt bei ihnen
ihren Wert gegenüber der Muttersprache. Polnisch oder mährisch beten und
singen, so schließen die Leute, ist verdienstlicher als deutsch beten und singen,
und polnischer oder mährischer Gottesdienst ist Gott wohlgefälliger als deutscher.
Und so wird bei der nicht deutschredenden Bevölkerung nicht nur der in der
Schule deutsch erteilte Religionsunterricht, sondern auch der deutsche Gottes¬
dienst und die deutsche Sprache überhaupt herabgesetzt, und die ganz müh¬
same Arbeit der Schule, deutsche Sprache und deutsches Wesen zu verbreiten,
durchkreuzt.

Die Staatsregierung hat sich denn anch längst diesen Erwägungen nicht
verschließen können und ist bei den beiden zuständigen höchsten Kirchenbehörden
der Provinz wegen Abhilfe vorstellig geworden. Während aber vom Konsistorium
in der bereitwilligsten Weise auf diese Wünsche der Negierung eingegangen
worden ist, sodaß von der evangelischen Geistlichkeit der Konfirmandenunterricht
jetzt in der ganzen Provinz im Anschluß an den in der Schule deutsch erteilten
Religionsunterricht nur in deutscher Sprache erteilt wird, hat man auf katho-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/269>, abgerufen am 23.07.2024.