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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Der Wucher auf dem Lande.

Weil es dem Wucherer nicht auf große, in einem Zuge zu erledigende
Geschäfte ankommt, sondern auf eine lange Reihe in einander greifender ver¬
wickelter Geschäfte, in die immer mehr abhängige Personen hineingezogen werden,
bis keiner von den Schuldnern mehr etwas zu verlieren hat, so ist der Wechsel
nicht so beliebt bei ihm, denn der Wechsel hat doch mehr die Tendenz, ein
Geschäft zu lösen, und die gewöhnlichen Bauern haben eine stille Furcht vor
dem "Qnerschreibcn." Der Bauer schreibt sich leider meist gar nichts auf; im
Saargebiet kam es uicht selten vor, daß ein Bauer auf die vorwurfsvolle
Frage, warum er sich keine Notizen gemacht habe, naiv erwiederte, "wozu er
das denn thun solle, es stehe ja alles in den Büchern des Handelsmannes."
Es ist menschenfreundlich, wenn die Vereinsmitglieder selbst einen solchen
Menschen noch nicht als unrettbar fallen lassen.

In den Gegenden des Zwerggrundbesitzes, wie er z. B. an der Saar be¬
steht, ist der "Umschlag" in Grund und Boden das ergiebigste Gebiet des
Wuchers. Der Wucherer kauft begehrte Grundstücke vorweg, und wenn er sie
mit Nutzen losschlägt, sieht er es gern, wenn der Käufer nicht gleich alles be¬
zahlen kann und so in sein großes Schuldbuch kommt. Muß ein Bauer ein
Grundstück verkaufen, so kann er das nicht, ohne den Handelsmann zu Hilfe
zu nehmen. Es wird versteigert, die Ansteigercr bekommen die Berechtigung,
ihre Schuld in fünf, sechs, ja zwölf Jahrestermincn zu tilgen. Der Verkäufer
hat aber Geld nötig, er tritt dem Handelsmann die ganze Reihe der Teil-
fordernngen ab. Dafür muß er ihm 5 bis 10 Prozent Aufgeld und eine
Provision von 2 bis 10 Prozent ablassen. Der Wucherer aber freut sich nicht
nur über diesen enormen Prosit, er hat auch wieder Jahr für Jahr Gelegen¬
heit, die neuen Schuldner bei ihren Schwächen zu fassen, und er weiß sie ganz
sicher herauszufinden. S. 127 unsers Buches finden sich einige thatsächliche
Fälle: Bei einem Wertgegenstände von 3900 Mark betrug das Aufgeld fünf
Prozent, die Provision fünfzehn Prozent 780 Mark, die Konventionalstrafe
780 Mark. Bei einem andern Wertgegenstände von 9000 Mark betrug das
Aufgeld Prozent, die Provision sechs Prozent ---- 1140 Mark, die Konven¬
tionalstrafe 875 Mark. Die Versteigerung kam in diesem Falle nicht zur Aus¬
führung, der Handelsmann schrieb nichtsdestoweniger dem Besitzer zur Last:
Provision 540 Mark, Aufgeld 600 Mark, Konventionalstrafe 375 Mark, zusammen
1515 Mark. In einigen Gegenden hilft der Wucherer bei solchen Versteige¬
rungen der Kauflust nach. Denn der früher so bekannte Übereifer, den Land¬
besitz zu vermehren (Landhunger), hat seit längeren Jahren begreiflicherweise
nachgelassen. Darum veranstaltet er im Steigernugslvkal, gewöhnlich einem
Wirtshaus, ein Freitrinken in Schnaps, "auch Weiber fehlen nicht, sie sind
die ersten, deren gerodete Gesichter und verglaste Augen die Wirkungen des
Getränkes verraten." Dann genügt ein Wink des freigebigen Versteigerers,
den Preis zu einer Höhe zu treiben, die das Grundstück für den Erwerber


Der Wucher auf dem Lande.

Weil es dem Wucherer nicht auf große, in einem Zuge zu erledigende
Geschäfte ankommt, sondern auf eine lange Reihe in einander greifender ver¬
wickelter Geschäfte, in die immer mehr abhängige Personen hineingezogen werden,
bis keiner von den Schuldnern mehr etwas zu verlieren hat, so ist der Wechsel
nicht so beliebt bei ihm, denn der Wechsel hat doch mehr die Tendenz, ein
Geschäft zu lösen, und die gewöhnlichen Bauern haben eine stille Furcht vor
dem „Qnerschreibcn." Der Bauer schreibt sich leider meist gar nichts auf; im
Saargebiet kam es uicht selten vor, daß ein Bauer auf die vorwurfsvolle
Frage, warum er sich keine Notizen gemacht habe, naiv erwiederte, „wozu er
das denn thun solle, es stehe ja alles in den Büchern des Handelsmannes."
Es ist menschenfreundlich, wenn die Vereinsmitglieder selbst einen solchen
Menschen noch nicht als unrettbar fallen lassen.

In den Gegenden des Zwerggrundbesitzes, wie er z. B. an der Saar be¬
steht, ist der „Umschlag" in Grund und Boden das ergiebigste Gebiet des
Wuchers. Der Wucherer kauft begehrte Grundstücke vorweg, und wenn er sie
mit Nutzen losschlägt, sieht er es gern, wenn der Käufer nicht gleich alles be¬
zahlen kann und so in sein großes Schuldbuch kommt. Muß ein Bauer ein
Grundstück verkaufen, so kann er das nicht, ohne den Handelsmann zu Hilfe
zu nehmen. Es wird versteigert, die Ansteigercr bekommen die Berechtigung,
ihre Schuld in fünf, sechs, ja zwölf Jahrestermincn zu tilgen. Der Verkäufer
hat aber Geld nötig, er tritt dem Handelsmann die ganze Reihe der Teil-
fordernngen ab. Dafür muß er ihm 5 bis 10 Prozent Aufgeld und eine
Provision von 2 bis 10 Prozent ablassen. Der Wucherer aber freut sich nicht
nur über diesen enormen Prosit, er hat auch wieder Jahr für Jahr Gelegen¬
heit, die neuen Schuldner bei ihren Schwächen zu fassen, und er weiß sie ganz
sicher herauszufinden. S. 127 unsers Buches finden sich einige thatsächliche
Fälle: Bei einem Wertgegenstände von 3900 Mark betrug das Aufgeld fünf
Prozent, die Provision fünfzehn Prozent 780 Mark, die Konventionalstrafe
780 Mark. Bei einem andern Wertgegenstände von 9000 Mark betrug das
Aufgeld Prozent, die Provision sechs Prozent ---- 1140 Mark, die Konven¬
tionalstrafe 875 Mark. Die Versteigerung kam in diesem Falle nicht zur Aus¬
führung, der Handelsmann schrieb nichtsdestoweniger dem Besitzer zur Last:
Provision 540 Mark, Aufgeld 600 Mark, Konventionalstrafe 375 Mark, zusammen
1515 Mark. In einigen Gegenden hilft der Wucherer bei solchen Versteige¬
rungen der Kauflust nach. Denn der früher so bekannte Übereifer, den Land¬
besitz zu vermehren (Landhunger), hat seit längeren Jahren begreiflicherweise
nachgelassen. Darum veranstaltet er im Steigernugslvkal, gewöhnlich einem
Wirtshaus, ein Freitrinken in Schnaps, „auch Weiber fehlen nicht, sie sind
die ersten, deren gerodete Gesichter und verglaste Augen die Wirkungen des
Getränkes verraten." Dann genügt ein Wink des freigebigen Versteigerers,
den Preis zu einer Höhe zu treiben, die das Grundstück für den Erwerber


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[0262] Der Wucher auf dem Lande. Weil es dem Wucherer nicht auf große, in einem Zuge zu erledigende Geschäfte ankommt, sondern auf eine lange Reihe in einander greifender ver¬ wickelter Geschäfte, in die immer mehr abhängige Personen hineingezogen werden, bis keiner von den Schuldnern mehr etwas zu verlieren hat, so ist der Wechsel nicht so beliebt bei ihm, denn der Wechsel hat doch mehr die Tendenz, ein Geschäft zu lösen, und die gewöhnlichen Bauern haben eine stille Furcht vor dem „Qnerschreibcn." Der Bauer schreibt sich leider meist gar nichts auf; im Saargebiet kam es uicht selten vor, daß ein Bauer auf die vorwurfsvolle Frage, warum er sich keine Notizen gemacht habe, naiv erwiederte, „wozu er das denn thun solle, es stehe ja alles in den Büchern des Handelsmannes." Es ist menschenfreundlich, wenn die Vereinsmitglieder selbst einen solchen Menschen noch nicht als unrettbar fallen lassen. In den Gegenden des Zwerggrundbesitzes, wie er z. B. an der Saar be¬ steht, ist der „Umschlag" in Grund und Boden das ergiebigste Gebiet des Wuchers. Der Wucherer kauft begehrte Grundstücke vorweg, und wenn er sie mit Nutzen losschlägt, sieht er es gern, wenn der Käufer nicht gleich alles be¬ zahlen kann und so in sein großes Schuldbuch kommt. Muß ein Bauer ein Grundstück verkaufen, so kann er das nicht, ohne den Handelsmann zu Hilfe zu nehmen. Es wird versteigert, die Ansteigercr bekommen die Berechtigung, ihre Schuld in fünf, sechs, ja zwölf Jahrestermincn zu tilgen. Der Verkäufer hat aber Geld nötig, er tritt dem Handelsmann die ganze Reihe der Teil- fordernngen ab. Dafür muß er ihm 5 bis 10 Prozent Aufgeld und eine Provision von 2 bis 10 Prozent ablassen. Der Wucherer aber freut sich nicht nur über diesen enormen Prosit, er hat auch wieder Jahr für Jahr Gelegen¬ heit, die neuen Schuldner bei ihren Schwächen zu fassen, und er weiß sie ganz sicher herauszufinden. S. 127 unsers Buches finden sich einige thatsächliche Fälle: Bei einem Wertgegenstände von 3900 Mark betrug das Aufgeld fünf Prozent, die Provision fünfzehn Prozent 780 Mark, die Konventionalstrafe 780 Mark. Bei einem andern Wertgegenstände von 9000 Mark betrug das Aufgeld Prozent, die Provision sechs Prozent ---- 1140 Mark, die Konven¬ tionalstrafe 875 Mark. Die Versteigerung kam in diesem Falle nicht zur Aus¬ führung, der Handelsmann schrieb nichtsdestoweniger dem Besitzer zur Last: Provision 540 Mark, Aufgeld 600 Mark, Konventionalstrafe 375 Mark, zusammen 1515 Mark. In einigen Gegenden hilft der Wucherer bei solchen Versteige¬ rungen der Kauflust nach. Denn der früher so bekannte Übereifer, den Land¬ besitz zu vermehren (Landhunger), hat seit längeren Jahren begreiflicherweise nachgelassen. Darum veranstaltet er im Steigernugslvkal, gewöhnlich einem Wirtshaus, ein Freitrinken in Schnaps, „auch Weiber fehlen nicht, sie sind die ersten, deren gerodete Gesichter und verglaste Augen die Wirkungen des Getränkes verraten." Dann genügt ein Wink des freigebigen Versteigerers, den Preis zu einer Höhe zu treiben, die das Grundstück für den Erwerber

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/262>, abgerufen am 23.07.2024.