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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Der Wucher auf dem'Lande.

nicht wird eingehalten, so ist das obere Kapital ganz verfallen." Eine weitere
Kunst bestand in der Festsetzung der Zahlungstermine vor der Ernte, vordem
Tabakverkauf, wo kein Bauer Geld hat. Bei der Abrechnung wurden von dem
Wucherer längst bezahlte Zinsen nochmals berechnet; bei Abschlagszahlungen
auittirte er oft gar nicht, oft nur zum Teil, oft alles als Provision, sodaß
zuweilen, je mehr bezahlt wurde, desto mehr die Schuld anwuchs.

Dies die allgemeine Darstellung, deren Belege man in unserm Buche
(S. 27) verfolgen kann. Sie betreffen meist solche Fälle, die nach dem Wucher¬
gesetz vou 1880 beurteilt werden können. Die Geschäfte mit Geld sind infolge
dieses Gesetzes nicht mehr so häufig, aber man weiß sie zu verstecken, wie schon
die obige Wucherschilderung zeigt und wie wir noch weiter sehen werden.

Gewöhnlich ist der Wucher ein zusammenhängender, fortschreitender Prozeß,
mannichfaltig nur in den Gegenstünden, aber einförmig in der Tendenz und dem
schließlichen Verderben. Hat ein Wucherer erfahren, daß ein Bauer aus irgend
einer Ursache in Geldverlegenheit ist -- und er erfährt durch seine Leute alles --,
so geht er hin, und indem er dem Bauer Stillschweigen über das Geschäft
zusichert, sängt er damit an, den Bauer über eine größere als die geliehene
Summe einen Schuldschein ausstellen zu lassen und Bedingungen über Rück¬
zahlung hineinzusetzen, die der Bauer nicht halten kann. Zeigt sich eine neue
Geldnot des Bauern, so kündigt der Wucherer die ganze Schuld. In der Regel
hat der Bauer noch einige Stück Vieh im Stalle. Der Wucherer kauft ihm
zu einem Spottpreise ein Stück Vieh ab und gewährt für das nicht zurück¬
gezahlte Darlehen Aufstand; denn er weiß wohl, daß es nur eine Frage der
Zeit ist, wenn er die Schlinge über den Bauer werfen kann. Ist zu einem
Viehgeschäft keine Gelegenheit, so geht der Wucherer gerichtlich vor, erwirkt sich
einen vollstreckbaren Zahlbefehl und läßt den Betrag in das Hypothekenbuch
eintragen. Je nach den Verhältnissen geht er an die Pfändung von Mobiliar
und Vieh, oder an die Beschlagnahme von Immobilien. Das Vieh steigert er
selbst zu geringem Preise an, denn die andern Bauern wissen wohl, warum sie
nicht höher bieten, und verkauft es auf dem Markte mit 20 bis 30 Prozent
Gewinn. Ebenso billig erwirbt er die Grundstücke des Schuldners, er hat dann
wieder andre Leute zur Hand, die sie ihm gern zu hohen Preisen abkaufen,
weil sie durch diese Gefälligkeit ihren eignen Ruin etwas hinausschieben.

Ein psychologisch interessanter Gang der Dinge zeigt sich dann, wenn der
Wucherer begüterte Grundbesitzer in seine Netze bringt (S. 158), aber die Einzel¬
heiten sind zu schmerzlich, um sie wiederzugeben. Es giebt Wucherer, die aus¬
nahmsweise bei einem Geschäft z. B. mit Steigprotokollen statt zehn Prozent
abzuziehen, noch fünf Prozent zulegen. Auf die Frage eines Notars, warum
er so großartig sei, antwortete ein Wucherer in einem solchen Falle: "Das ist
ein reiches Dorf, und in diese Verhältnisse möchte ich gern hineinkommen"
(S. 175). Er wird es wohl durchgesetzt haben.


Der Wucher auf dem'Lande.

nicht wird eingehalten, so ist das obere Kapital ganz verfallen." Eine weitere
Kunst bestand in der Festsetzung der Zahlungstermine vor der Ernte, vordem
Tabakverkauf, wo kein Bauer Geld hat. Bei der Abrechnung wurden von dem
Wucherer längst bezahlte Zinsen nochmals berechnet; bei Abschlagszahlungen
auittirte er oft gar nicht, oft nur zum Teil, oft alles als Provision, sodaß
zuweilen, je mehr bezahlt wurde, desto mehr die Schuld anwuchs.

Dies die allgemeine Darstellung, deren Belege man in unserm Buche
(S. 27) verfolgen kann. Sie betreffen meist solche Fälle, die nach dem Wucher¬
gesetz vou 1880 beurteilt werden können. Die Geschäfte mit Geld sind infolge
dieses Gesetzes nicht mehr so häufig, aber man weiß sie zu verstecken, wie schon
die obige Wucherschilderung zeigt und wie wir noch weiter sehen werden.

Gewöhnlich ist der Wucher ein zusammenhängender, fortschreitender Prozeß,
mannichfaltig nur in den Gegenstünden, aber einförmig in der Tendenz und dem
schließlichen Verderben. Hat ein Wucherer erfahren, daß ein Bauer aus irgend
einer Ursache in Geldverlegenheit ist — und er erfährt durch seine Leute alles —,
so geht er hin, und indem er dem Bauer Stillschweigen über das Geschäft
zusichert, sängt er damit an, den Bauer über eine größere als die geliehene
Summe einen Schuldschein ausstellen zu lassen und Bedingungen über Rück¬
zahlung hineinzusetzen, die der Bauer nicht halten kann. Zeigt sich eine neue
Geldnot des Bauern, so kündigt der Wucherer die ganze Schuld. In der Regel
hat der Bauer noch einige Stück Vieh im Stalle. Der Wucherer kauft ihm
zu einem Spottpreise ein Stück Vieh ab und gewährt für das nicht zurück¬
gezahlte Darlehen Aufstand; denn er weiß wohl, daß es nur eine Frage der
Zeit ist, wenn er die Schlinge über den Bauer werfen kann. Ist zu einem
Viehgeschäft keine Gelegenheit, so geht der Wucherer gerichtlich vor, erwirkt sich
einen vollstreckbaren Zahlbefehl und läßt den Betrag in das Hypothekenbuch
eintragen. Je nach den Verhältnissen geht er an die Pfändung von Mobiliar
und Vieh, oder an die Beschlagnahme von Immobilien. Das Vieh steigert er
selbst zu geringem Preise an, denn die andern Bauern wissen wohl, warum sie
nicht höher bieten, und verkauft es auf dem Markte mit 20 bis 30 Prozent
Gewinn. Ebenso billig erwirbt er die Grundstücke des Schuldners, er hat dann
wieder andre Leute zur Hand, die sie ihm gern zu hohen Preisen abkaufen,
weil sie durch diese Gefälligkeit ihren eignen Ruin etwas hinausschieben.

Ein psychologisch interessanter Gang der Dinge zeigt sich dann, wenn der
Wucherer begüterte Grundbesitzer in seine Netze bringt (S. 158), aber die Einzel¬
heiten sind zu schmerzlich, um sie wiederzugeben. Es giebt Wucherer, die aus¬
nahmsweise bei einem Geschäft z. B. mit Steigprotokollen statt zehn Prozent
abzuziehen, noch fünf Prozent zulegen. Auf die Frage eines Notars, warum
er so großartig sei, antwortete ein Wucherer in einem solchen Falle: „Das ist
ein reiches Dorf, und in diese Verhältnisse möchte ich gern hineinkommen"
(S. 175). Er wird es wohl durchgesetzt haben.


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[0261] Der Wucher auf dem'Lande. nicht wird eingehalten, so ist das obere Kapital ganz verfallen." Eine weitere Kunst bestand in der Festsetzung der Zahlungstermine vor der Ernte, vordem Tabakverkauf, wo kein Bauer Geld hat. Bei der Abrechnung wurden von dem Wucherer längst bezahlte Zinsen nochmals berechnet; bei Abschlagszahlungen auittirte er oft gar nicht, oft nur zum Teil, oft alles als Provision, sodaß zuweilen, je mehr bezahlt wurde, desto mehr die Schuld anwuchs. Dies die allgemeine Darstellung, deren Belege man in unserm Buche (S. 27) verfolgen kann. Sie betreffen meist solche Fälle, die nach dem Wucher¬ gesetz vou 1880 beurteilt werden können. Die Geschäfte mit Geld sind infolge dieses Gesetzes nicht mehr so häufig, aber man weiß sie zu verstecken, wie schon die obige Wucherschilderung zeigt und wie wir noch weiter sehen werden. Gewöhnlich ist der Wucher ein zusammenhängender, fortschreitender Prozeß, mannichfaltig nur in den Gegenstünden, aber einförmig in der Tendenz und dem schließlichen Verderben. Hat ein Wucherer erfahren, daß ein Bauer aus irgend einer Ursache in Geldverlegenheit ist — und er erfährt durch seine Leute alles —, so geht er hin, und indem er dem Bauer Stillschweigen über das Geschäft zusichert, sängt er damit an, den Bauer über eine größere als die geliehene Summe einen Schuldschein ausstellen zu lassen und Bedingungen über Rück¬ zahlung hineinzusetzen, die der Bauer nicht halten kann. Zeigt sich eine neue Geldnot des Bauern, so kündigt der Wucherer die ganze Schuld. In der Regel hat der Bauer noch einige Stück Vieh im Stalle. Der Wucherer kauft ihm zu einem Spottpreise ein Stück Vieh ab und gewährt für das nicht zurück¬ gezahlte Darlehen Aufstand; denn er weiß wohl, daß es nur eine Frage der Zeit ist, wenn er die Schlinge über den Bauer werfen kann. Ist zu einem Viehgeschäft keine Gelegenheit, so geht der Wucherer gerichtlich vor, erwirkt sich einen vollstreckbaren Zahlbefehl und läßt den Betrag in das Hypothekenbuch eintragen. Je nach den Verhältnissen geht er an die Pfändung von Mobiliar und Vieh, oder an die Beschlagnahme von Immobilien. Das Vieh steigert er selbst zu geringem Preise an, denn die andern Bauern wissen wohl, warum sie nicht höher bieten, und verkauft es auf dem Markte mit 20 bis 30 Prozent Gewinn. Ebenso billig erwirbt er die Grundstücke des Schuldners, er hat dann wieder andre Leute zur Hand, die sie ihm gern zu hohen Preisen abkaufen, weil sie durch diese Gefälligkeit ihren eignen Ruin etwas hinausschieben. Ein psychologisch interessanter Gang der Dinge zeigt sich dann, wenn der Wucherer begüterte Grundbesitzer in seine Netze bringt (S. 158), aber die Einzel¬ heiten sind zu schmerzlich, um sie wiederzugeben. Es giebt Wucherer, die aus¬ nahmsweise bei einem Geschäft z. B. mit Steigprotokollen statt zehn Prozent abzuziehen, noch fünf Prozent zulegen. Auf die Frage eines Notars, warum er so großartig sei, antwortete ein Wucherer in einem solchen Falle: „Das ist ein reiches Dorf, und in diese Verhältnisse möchte ich gern hineinkommen" (S. 175). Er wird es wohl durchgesetzt haben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/261>, abgerufen am 23.07.2024.