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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Klagen eines Zeitungsschreibers.

Samen Mißverhältnis, das in der Natur des deutschen Volkes begründet zu
sein scheint: daß das schreiblustigste Volk zugleich das lesefaulste ist. Da muß
wohl das Übel der Überproduktion von selbst sich einstellen. Und wenn mau
auf volkswirtschaftlichen Gebiete darum gestritten hat, ob Überproduktion oder
Unterkonsumtion der eigentliche Grund des Übels sei, indem einige behaupten,
allein die mangelnde Kaufkraft der Konsumenten sei an der Stockung des Ab¬
satzes Schuld, diese müsse man daher zu heben suchen, so unterliegt es wohl
keinem Zweifel, daß im vorliegenden Falle die Hebung der Unterkonsumtion,
welche wohl nur durch allgemeinere Verbreitung größerer Bildung zu erreichen
wäre, zu keinem Ziele führen würde, da höchstwahrscheinlich auch die Zahl der
Schriftsteller infolge hiervon zunehmen würde.

Der Theologe wird leicht geneigt sein, die, welche sich gegen sein Wort
verschließen oder es mißachten, eines sittlichen Mangels zu zeihen. Dies ist
dem Schriftsteller verwehrt; er weiß, daß die, welche seinem Wort solche Gleich-
giltigkeit bezeigen, darum nicht schlechter sind, er muß die Welt nehmen, wie
sie ist, kann sie nicht umgestalten. Und wenn ihn ein bitteres Gefühl über¬
kommen will, wird er sich doch bei ruhiger Überlegung die Neigungen des
Publikums gar wohl erklären können und entschuldigen müssen, wird sich sagen
müssen, wie viel anregender und aufheiternder das lebendige Wort, der lebendige
Verkehr mit Menschen ist, als das geschriebene Wort, sodaß jene Art der Er¬
holung immer vorwiegend aufgesucht werden wird; er wird sich sagen müssen,
daß das Lesen gehaltvoller Schriften eine Sammlung und Ruhe erfordert, die in
unsrer vielbeschäftigten Zeit immer nur der kleinere:! Zahl zngünglich ist und
von ihr begehrt wird. Auch ist es nur zu wohl begreiflich, daß der Leser nie
ganz und gar dem Schriftsteller nachempfinden, nie sich völlig in die Stim-
mung, die ihn zum Schaffen trieb, hineinversetzen kann, daher seinem Werke
geringeren Wert beizulegen geneigt sein wird.

Wohl aber darf der Schriftsteller darauf hinweisen, daß derjenige, welcher
das geschriebene Wort geringschätzt, welcher seine Muße nie dazu benutzt, an
gediegenem und gehaltvollen Lesestoff seinen Geist zu bilde", sich höheren und
reicheren Lebensgenusses beraubt, denn allerdings werden in der Schrift Wert¬
vollcrc Gedanken niedergelegt, als das flüchtige Tagesgespräch sie zu enthalten
pflegt. Und noch etwas hat der Schriftsteller, was ihn trösten und entschädigen
kann: jenen Lohn, der sich unvertummcrt und unverkürzt als die Frucht jedes
geistigen Schaffens von selbst einstellt, unzertrennbar davon, lvie die Wirkung
von ihrer Ursache, das ist der Reiz, der in dem geistigen Schaffen selbst liegt,
der Genuß und die Befriedigung, die er dabei empfindet, sodann dasjenige,
"wofür er sich hält in seinem Herzen," ein wenig Genugthuung, ein klein wenig
Stolz wohl gar. Dieses kann ihm niemand rauben, und es ist unabhängig
davon, wie viel Wert von andern seinen Worten beigelegt wird.


Theodor Brix.


Klagen eines Zeitungsschreibers.

Samen Mißverhältnis, das in der Natur des deutschen Volkes begründet zu
sein scheint: daß das schreiblustigste Volk zugleich das lesefaulste ist. Da muß
wohl das Übel der Überproduktion von selbst sich einstellen. Und wenn mau
auf volkswirtschaftlichen Gebiete darum gestritten hat, ob Überproduktion oder
Unterkonsumtion der eigentliche Grund des Übels sei, indem einige behaupten,
allein die mangelnde Kaufkraft der Konsumenten sei an der Stockung des Ab¬
satzes Schuld, diese müsse man daher zu heben suchen, so unterliegt es wohl
keinem Zweifel, daß im vorliegenden Falle die Hebung der Unterkonsumtion,
welche wohl nur durch allgemeinere Verbreitung größerer Bildung zu erreichen
wäre, zu keinem Ziele führen würde, da höchstwahrscheinlich auch die Zahl der
Schriftsteller infolge hiervon zunehmen würde.

Der Theologe wird leicht geneigt sein, die, welche sich gegen sein Wort
verschließen oder es mißachten, eines sittlichen Mangels zu zeihen. Dies ist
dem Schriftsteller verwehrt; er weiß, daß die, welche seinem Wort solche Gleich-
giltigkeit bezeigen, darum nicht schlechter sind, er muß die Welt nehmen, wie
sie ist, kann sie nicht umgestalten. Und wenn ihn ein bitteres Gefühl über¬
kommen will, wird er sich doch bei ruhiger Überlegung die Neigungen des
Publikums gar wohl erklären können und entschuldigen müssen, wird sich sagen
müssen, wie viel anregender und aufheiternder das lebendige Wort, der lebendige
Verkehr mit Menschen ist, als das geschriebene Wort, sodaß jene Art der Er¬
holung immer vorwiegend aufgesucht werden wird; er wird sich sagen müssen,
daß das Lesen gehaltvoller Schriften eine Sammlung und Ruhe erfordert, die in
unsrer vielbeschäftigten Zeit immer nur der kleinere:! Zahl zngünglich ist und
von ihr begehrt wird. Auch ist es nur zu wohl begreiflich, daß der Leser nie
ganz und gar dem Schriftsteller nachempfinden, nie sich völlig in die Stim-
mung, die ihn zum Schaffen trieb, hineinversetzen kann, daher seinem Werke
geringeren Wert beizulegen geneigt sein wird.

Wohl aber darf der Schriftsteller darauf hinweisen, daß derjenige, welcher
das geschriebene Wort geringschätzt, welcher seine Muße nie dazu benutzt, an
gediegenem und gehaltvollen Lesestoff seinen Geist zu bilde», sich höheren und
reicheren Lebensgenusses beraubt, denn allerdings werden in der Schrift Wert¬
vollcrc Gedanken niedergelegt, als das flüchtige Tagesgespräch sie zu enthalten
pflegt. Und noch etwas hat der Schriftsteller, was ihn trösten und entschädigen
kann: jenen Lohn, der sich unvertummcrt und unverkürzt als die Frucht jedes
geistigen Schaffens von selbst einstellt, unzertrennbar davon, lvie die Wirkung
von ihrer Ursache, das ist der Reiz, der in dem geistigen Schaffen selbst liegt,
der Genuß und die Befriedigung, die er dabei empfindet, sodann dasjenige,
»wofür er sich hält in seinem Herzen," ein wenig Genugthuung, ein klein wenig
Stolz wohl gar. Dieses kann ihm niemand rauben, und es ist unabhängig
davon, wie viel Wert von andern seinen Worten beigelegt wird.


Theodor Brix.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/243>, abgerufen am 25.08.2024.