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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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dem durch menschlichen Scharfsinn erdachten Mechanismus der Schrift! Es
gehört die volle Sprachabgestorbeuheit eines unempfindlichen Volapükschwärmers
dazu, um hierin eine Parallele zwischen Schrift und Sprache zu ziehen. Wäh¬
rend von einem Spracherfinder nirgends die Rede ist, wissen Sage und Ge¬
schichte bei verschiedenen Völkern Schrifterfinder oder Schriftanpasser nam¬
haft zu machen, z. B. Theuth (Ägypten), Kadmos (Griechenland), Fohi (China),
Miesrop (Armenien), Wulfila (Goten) u. f. w. Die Sprache entwickelt sich
auf natürliche Weise von selbst weiter, die Schrift kann ohne markirtes Ein¬
greifen des Einzelnen oder einer Körperschaft von dem Punkte, auf den sie
einmal gesetzt wurde, uicht fortkommen, sondern bleibt starr und unbeweglich
stehen. Daraus ergiebt sich der Zwiespalt zwischen Schrift und Sprache, die,
anfänglich auf Übereinstimmung berechnet, allmählich auseinandergehen, wodurch
von Zeit zu Zeit eine Nachschiebung der Schrift auf den fortgeschrittenen
Standpunkt der Sprache nötig wird, wenn nicht so heillose Zustände der Recht¬
schreibung entstehen sollen, wie z. B. in England. Was bei der Schrift mit
Fug und Recht geschehen kann, wird, an der Sprache vorgenommen, zum un¬
verantwortlichen Frevel.

So gleicht das Volapük nach seiner äußern Zusammensetzung etwa jenem
Mißgebilde, welches Horaz im Anfange der L.r8 xostiog, beschreibt: Menschen¬
kopf, Pferdchals, Vogelgefieder, Gliedmaßen aller möglichen Tiere, Fischschwanz.
8xgot,g.turn aäMssi risuiu tsuoM" ainioi? Daß im Innern eines derartig
zusammengeflickten Dinges mit dem Fabrikstempel "Opportunist" irgendein
Geist regieren könne, ist von vornherein ausgeschlossen. Nur eine einzige Idee
ist vorhanden, und diese muß denn in mehrfacher Anwendung als Agens dienen,
um das Volapükphantom zu einem Scheinleben zu galvanisiren. Herr Schleyer
verwendet nämlich die Vokalreihe a, s, i, o, n am Schlüsse der Substcmtiva
zur Bezeichnung der Kasus, als Vorschlag bei den Verden zum Ausdrucke der
Tempora. Thatsächlich ist diese Verwertung der Vokalreihe und das voraus¬
gesetzte x zur Kennzeichnung des Passivs das einzige unantastbare Originelle im
Volapük.

Es läßt sich gar nicht bestreiten, daß aus der Durchführung dieser Idee
mehrere wichtige und schätzenswerte Eigenschaften hervorgehen. Zunächst fällt
die Regelmäßigkeit und Einheitlichkeit der Formenlehre in die Augen; eine völlige
Ausnahmelosigkeit, wie man sie bei einer künstlich verfertigten Sprache doch
Wohl verlangen könnte, hat Herr Schleyer nicht erreicht.*) Und aus der Gleich¬
förmigkeit entspringt wieder die Leichtigkeit des Erlernens. Indessen bedarf es
5"in Besitze solcher Vorzüge gar nicht des Ersinderschweißes, man braucht nur
hineinzugreifen in das volle Völkerleben, um der gleichen Annehmlichkeit am



Es wird z. B, der Vokativ nicht durch Anfügung, sondern durch Vorsetzung von o,
das Jmperfektum durch Vorschlag nicht von s., sondern von s, gebildet.
volapük.

dem durch menschlichen Scharfsinn erdachten Mechanismus der Schrift! Es
gehört die volle Sprachabgestorbeuheit eines unempfindlichen Volapükschwärmers
dazu, um hierin eine Parallele zwischen Schrift und Sprache zu ziehen. Wäh¬
rend von einem Spracherfinder nirgends die Rede ist, wissen Sage und Ge¬
schichte bei verschiedenen Völkern Schrifterfinder oder Schriftanpasser nam¬
haft zu machen, z. B. Theuth (Ägypten), Kadmos (Griechenland), Fohi (China),
Miesrop (Armenien), Wulfila (Goten) u. f. w. Die Sprache entwickelt sich
auf natürliche Weise von selbst weiter, die Schrift kann ohne markirtes Ein¬
greifen des Einzelnen oder einer Körperschaft von dem Punkte, auf den sie
einmal gesetzt wurde, uicht fortkommen, sondern bleibt starr und unbeweglich
stehen. Daraus ergiebt sich der Zwiespalt zwischen Schrift und Sprache, die,
anfänglich auf Übereinstimmung berechnet, allmählich auseinandergehen, wodurch
von Zeit zu Zeit eine Nachschiebung der Schrift auf den fortgeschrittenen
Standpunkt der Sprache nötig wird, wenn nicht so heillose Zustände der Recht¬
schreibung entstehen sollen, wie z. B. in England. Was bei der Schrift mit
Fug und Recht geschehen kann, wird, an der Sprache vorgenommen, zum un¬
verantwortlichen Frevel.

So gleicht das Volapük nach seiner äußern Zusammensetzung etwa jenem
Mißgebilde, welches Horaz im Anfange der L.r8 xostiog, beschreibt: Menschen¬
kopf, Pferdchals, Vogelgefieder, Gliedmaßen aller möglichen Tiere, Fischschwanz.
8xgot,g.turn aäMssi risuiu tsuoM« ainioi? Daß im Innern eines derartig
zusammengeflickten Dinges mit dem Fabrikstempel „Opportunist" irgendein
Geist regieren könne, ist von vornherein ausgeschlossen. Nur eine einzige Idee
ist vorhanden, und diese muß denn in mehrfacher Anwendung als Agens dienen,
um das Volapükphantom zu einem Scheinleben zu galvanisiren. Herr Schleyer
verwendet nämlich die Vokalreihe a, s, i, o, n am Schlüsse der Substcmtiva
zur Bezeichnung der Kasus, als Vorschlag bei den Verden zum Ausdrucke der
Tempora. Thatsächlich ist diese Verwertung der Vokalreihe und das voraus¬
gesetzte x zur Kennzeichnung des Passivs das einzige unantastbare Originelle im
Volapük.

Es läßt sich gar nicht bestreiten, daß aus der Durchführung dieser Idee
mehrere wichtige und schätzenswerte Eigenschaften hervorgehen. Zunächst fällt
die Regelmäßigkeit und Einheitlichkeit der Formenlehre in die Augen; eine völlige
Ausnahmelosigkeit, wie man sie bei einer künstlich verfertigten Sprache doch
Wohl verlangen könnte, hat Herr Schleyer nicht erreicht.*) Und aus der Gleich¬
förmigkeit entspringt wieder die Leichtigkeit des Erlernens. Indessen bedarf es
5»in Besitze solcher Vorzüge gar nicht des Ersinderschweißes, man braucht nur
hineinzugreifen in das volle Völkerleben, um der gleichen Annehmlichkeit am



Es wird z. B, der Vokativ nicht durch Anfügung, sondern durch Vorsetzung von o,
das Jmperfektum durch Vorschlag nicht von s., sondern von s, gebildet.
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[0219] volapük. dem durch menschlichen Scharfsinn erdachten Mechanismus der Schrift! Es gehört die volle Sprachabgestorbeuheit eines unempfindlichen Volapükschwärmers dazu, um hierin eine Parallele zwischen Schrift und Sprache zu ziehen. Wäh¬ rend von einem Spracherfinder nirgends die Rede ist, wissen Sage und Ge¬ schichte bei verschiedenen Völkern Schrifterfinder oder Schriftanpasser nam¬ haft zu machen, z. B. Theuth (Ägypten), Kadmos (Griechenland), Fohi (China), Miesrop (Armenien), Wulfila (Goten) u. f. w. Die Sprache entwickelt sich auf natürliche Weise von selbst weiter, die Schrift kann ohne markirtes Ein¬ greifen des Einzelnen oder einer Körperschaft von dem Punkte, auf den sie einmal gesetzt wurde, uicht fortkommen, sondern bleibt starr und unbeweglich stehen. Daraus ergiebt sich der Zwiespalt zwischen Schrift und Sprache, die, anfänglich auf Übereinstimmung berechnet, allmählich auseinandergehen, wodurch von Zeit zu Zeit eine Nachschiebung der Schrift auf den fortgeschrittenen Standpunkt der Sprache nötig wird, wenn nicht so heillose Zustände der Recht¬ schreibung entstehen sollen, wie z. B. in England. Was bei der Schrift mit Fug und Recht geschehen kann, wird, an der Sprache vorgenommen, zum un¬ verantwortlichen Frevel. So gleicht das Volapük nach seiner äußern Zusammensetzung etwa jenem Mißgebilde, welches Horaz im Anfange der L.r8 xostiog, beschreibt: Menschen¬ kopf, Pferdchals, Vogelgefieder, Gliedmaßen aller möglichen Tiere, Fischschwanz. 8xgot,g.turn aäMssi risuiu tsuoM« ainioi? Daß im Innern eines derartig zusammengeflickten Dinges mit dem Fabrikstempel „Opportunist" irgendein Geist regieren könne, ist von vornherein ausgeschlossen. Nur eine einzige Idee ist vorhanden, und diese muß denn in mehrfacher Anwendung als Agens dienen, um das Volapükphantom zu einem Scheinleben zu galvanisiren. Herr Schleyer verwendet nämlich die Vokalreihe a, s, i, o, n am Schlüsse der Substcmtiva zur Bezeichnung der Kasus, als Vorschlag bei den Verden zum Ausdrucke der Tempora. Thatsächlich ist diese Verwertung der Vokalreihe und das voraus¬ gesetzte x zur Kennzeichnung des Passivs das einzige unantastbare Originelle im Volapük. Es läßt sich gar nicht bestreiten, daß aus der Durchführung dieser Idee mehrere wichtige und schätzenswerte Eigenschaften hervorgehen. Zunächst fällt die Regelmäßigkeit und Einheitlichkeit der Formenlehre in die Augen; eine völlige Ausnahmelosigkeit, wie man sie bei einer künstlich verfertigten Sprache doch Wohl verlangen könnte, hat Herr Schleyer nicht erreicht.*) Und aus der Gleich¬ förmigkeit entspringt wieder die Leichtigkeit des Erlernens. Indessen bedarf es 5»in Besitze solcher Vorzüge gar nicht des Ersinderschweißes, man braucht nur hineinzugreifen in das volle Völkerleben, um der gleichen Annehmlichkeit am Es wird z. B, der Vokativ nicht durch Anfügung, sondern durch Vorsetzung von o, das Jmperfektum durch Vorschlag nicht von s., sondern von s, gebildet.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/219>, abgerufen am 23.07.2024.