Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Vberschlesien und seine Germanisirung.

Wie viel noch im Schulwesen zu thun übrig bleibt, dürfte am besten
daraus hervorgehen, daß nach einer oberflächlichen, von der Staatsregierung
angestellten Berechnung zur regelmäßigen Beschulung der schulpflichtigen
Jugend Oberschlesiens noch ungefähr 750 Lehrer fehlen, und daß, trotz aller
in den letzten fünfzehn Jahren errichteten Schulen, Schulwege von vier bis
sechs Kilometern immer noch nicht zu den Seltenheiten gehören. Wenn
auch die Staatsregierung mit nennenswertem Eifer fort und fort bestrebt ist,
einerseits die überfüllten Schulen, an denen oft ein einziger Lehrer noch 150
bis 200 Kinder zu unterrichten hat, durch Gründung neuer Lehrer- und Hilfs-
lehrcrstellen besser auszustatten und anderseits neue Schulen zu gründen und
mit Staatsmitteln der Unfähigkeit der Gemeinde", dies aus eignen Mitteln zu
thun, zu Hilfe zu kommen, so scheitert dies Bestreben doch vielfach an der
Unzulänglichkeit der staatlichen Mittel, namentlich wo es gilt, neue Schulbänken
herstellen zu lassen. Denn da zur Unterstützung armer Schulgemeinden bei
Schulbänken der Regierung nur ein sehr beschränkter Fonds zur Verfügung
steht, so kann nur ein geringer Teil des vorhandenen Baubedürfnisses be¬
friedigt werden. Auf der andern Seite ist der Mangel an Lehrern, namentlich
an katholischen, immer noch so groß, daß, auch wenn die Mittel bereit gestellt
würden, um die erforderlichen Bauten zur besseren Ausstattung der bestehenden
Schulen wie zur Gründung neuer Schulen auszuführen, die Frage, wie die noch
fehlenden 750 Lehrerstcllen besetzt werden sollen, unbeantwortet bleibt. Man
wird fragen: Warum sind denn nicht mehr Seminare errichtet worden?

Aber auch in dieser Beziehung wird man der Staatsregierung kaum einen
Vorwurf machen können. Seit dem Jahre 1873 sind allein in Oberschlesien vier
neue Seminare errichtet worden; keine andre Provinz des preußischen Staates ist
so reich mit Seminaren ausgestattet wie Schlesien und insbesondre Oberschlesien.
Während z. B. die Rheinprovinz, mit der Schlesien fast die gleiche Einwohner¬
zahl hat -- sie zählt ebenfalls über vier Millionen Einwohner --, nur siebzehn
Seminare einschließlich zweier Lehrerinnenscmincire auszuweisen hat, hat die
Provinz Schlesien achtzehn Seminare für Lehrer, die zahlreichen Privatseminarc
für Lehrerinnen nicht mitgerechnet. Die ganze Provinz Brandenburg hat bei
einer Einwohnerzahl von etwa 3 400 000 Einwohnern überhaupt nur zehn
Seminare einschließlich eines Lehrerinncnseminars. In Oberschlesien sind dagegen
bei einer Bevölkerung von rund 1 500 000 Einwohnern allein acht Seminare
(sieben katholische und ein evangelisches) vorhanden, von denen die katholischen
Seminare ihre Abiturienten nnr nach Oberschlesien abgeben und das evange¬
lische Seminar es zum überwiegenden Teile thut. -

Wenn trotzdem in Oberschlesien noch Lehrermangel herrscht, so rührt dies
daher, daß ein großer Teil seiner jüngeren Lehrer wegen der Schwierigkeiten,
mit denen hier der Unterricht verknüpft ist, und wegen der geringeren Besol¬
dung der Lehrerstellen, so bald er kann, besser besoldete Stellen in deutscheu


Vberschlesien und seine Germanisirung.

Wie viel noch im Schulwesen zu thun übrig bleibt, dürfte am besten
daraus hervorgehen, daß nach einer oberflächlichen, von der Staatsregierung
angestellten Berechnung zur regelmäßigen Beschulung der schulpflichtigen
Jugend Oberschlesiens noch ungefähr 750 Lehrer fehlen, und daß, trotz aller
in den letzten fünfzehn Jahren errichteten Schulen, Schulwege von vier bis
sechs Kilometern immer noch nicht zu den Seltenheiten gehören. Wenn
auch die Staatsregierung mit nennenswertem Eifer fort und fort bestrebt ist,
einerseits die überfüllten Schulen, an denen oft ein einziger Lehrer noch 150
bis 200 Kinder zu unterrichten hat, durch Gründung neuer Lehrer- und Hilfs-
lehrcrstellen besser auszustatten und anderseits neue Schulen zu gründen und
mit Staatsmitteln der Unfähigkeit der Gemeinde», dies aus eignen Mitteln zu
thun, zu Hilfe zu kommen, so scheitert dies Bestreben doch vielfach an der
Unzulänglichkeit der staatlichen Mittel, namentlich wo es gilt, neue Schulbänken
herstellen zu lassen. Denn da zur Unterstützung armer Schulgemeinden bei
Schulbänken der Regierung nur ein sehr beschränkter Fonds zur Verfügung
steht, so kann nur ein geringer Teil des vorhandenen Baubedürfnisses be¬
friedigt werden. Auf der andern Seite ist der Mangel an Lehrern, namentlich
an katholischen, immer noch so groß, daß, auch wenn die Mittel bereit gestellt
würden, um die erforderlichen Bauten zur besseren Ausstattung der bestehenden
Schulen wie zur Gründung neuer Schulen auszuführen, die Frage, wie die noch
fehlenden 750 Lehrerstcllen besetzt werden sollen, unbeantwortet bleibt. Man
wird fragen: Warum sind denn nicht mehr Seminare errichtet worden?

Aber auch in dieser Beziehung wird man der Staatsregierung kaum einen
Vorwurf machen können. Seit dem Jahre 1873 sind allein in Oberschlesien vier
neue Seminare errichtet worden; keine andre Provinz des preußischen Staates ist
so reich mit Seminaren ausgestattet wie Schlesien und insbesondre Oberschlesien.
Während z. B. die Rheinprovinz, mit der Schlesien fast die gleiche Einwohner¬
zahl hat — sie zählt ebenfalls über vier Millionen Einwohner —, nur siebzehn
Seminare einschließlich zweier Lehrerinnenscmincire auszuweisen hat, hat die
Provinz Schlesien achtzehn Seminare für Lehrer, die zahlreichen Privatseminarc
für Lehrerinnen nicht mitgerechnet. Die ganze Provinz Brandenburg hat bei
einer Einwohnerzahl von etwa 3 400 000 Einwohnern überhaupt nur zehn
Seminare einschließlich eines Lehrerinncnseminars. In Oberschlesien sind dagegen
bei einer Bevölkerung von rund 1 500 000 Einwohnern allein acht Seminare
(sieben katholische und ein evangelisches) vorhanden, von denen die katholischen
Seminare ihre Abiturienten nnr nach Oberschlesien abgeben und das evange¬
lische Seminar es zum überwiegenden Teile thut. -

Wenn trotzdem in Oberschlesien noch Lehrermangel herrscht, so rührt dies
daher, daß ein großer Teil seiner jüngeren Lehrer wegen der Schwierigkeiten,
mit denen hier der Unterricht verknüpft ist, und wegen der geringeren Besol¬
dung der Lehrerstellen, so bald er kann, besser besoldete Stellen in deutscheu


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0213" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/200992"/>
          <fw type="header" place="top"> Vberschlesien und seine Germanisirung.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_635"> Wie viel noch im Schulwesen zu thun übrig bleibt, dürfte am besten<lb/>
daraus hervorgehen, daß nach einer oberflächlichen, von der Staatsregierung<lb/>
angestellten Berechnung zur regelmäßigen Beschulung der schulpflichtigen<lb/>
Jugend Oberschlesiens noch ungefähr 750 Lehrer fehlen, und daß, trotz aller<lb/>
in den letzten fünfzehn Jahren errichteten Schulen, Schulwege von vier bis<lb/>
sechs Kilometern immer noch nicht zu den Seltenheiten gehören. Wenn<lb/>
auch die Staatsregierung mit nennenswertem Eifer fort und fort bestrebt ist,<lb/>
einerseits die überfüllten Schulen, an denen oft ein einziger Lehrer noch 150<lb/>
bis 200 Kinder zu unterrichten hat, durch Gründung neuer Lehrer- und Hilfs-<lb/>
lehrcrstellen besser auszustatten und anderseits neue Schulen zu gründen und<lb/>
mit Staatsmitteln der Unfähigkeit der Gemeinde», dies aus eignen Mitteln zu<lb/>
thun, zu Hilfe zu kommen, so scheitert dies Bestreben doch vielfach an der<lb/>
Unzulänglichkeit der staatlichen Mittel, namentlich wo es gilt, neue Schulbänken<lb/>
herstellen zu lassen. Denn da zur Unterstützung armer Schulgemeinden bei<lb/>
Schulbänken der Regierung nur ein sehr beschränkter Fonds zur Verfügung<lb/>
steht, so kann nur ein geringer Teil des vorhandenen Baubedürfnisses be¬<lb/>
friedigt werden. Auf der andern Seite ist der Mangel an Lehrern, namentlich<lb/>
an katholischen, immer noch so groß, daß, auch wenn die Mittel bereit gestellt<lb/>
würden, um die erforderlichen Bauten zur besseren Ausstattung der bestehenden<lb/>
Schulen wie zur Gründung neuer Schulen auszuführen, die Frage, wie die noch<lb/>
fehlenden 750 Lehrerstcllen besetzt werden sollen, unbeantwortet bleibt. Man<lb/>
wird fragen: Warum sind denn nicht mehr Seminare errichtet worden?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_636"> Aber auch in dieser Beziehung wird man der Staatsregierung kaum einen<lb/>
Vorwurf machen können. Seit dem Jahre 1873 sind allein in Oberschlesien vier<lb/>
neue Seminare errichtet worden; keine andre Provinz des preußischen Staates ist<lb/>
so reich mit Seminaren ausgestattet wie Schlesien und insbesondre Oberschlesien.<lb/>
Während z. B. die Rheinprovinz, mit der Schlesien fast die gleiche Einwohner¬<lb/>
zahl hat &#x2014; sie zählt ebenfalls über vier Millionen Einwohner &#x2014;, nur siebzehn<lb/>
Seminare einschließlich zweier Lehrerinnenscmincire auszuweisen hat, hat die<lb/>
Provinz Schlesien achtzehn Seminare für Lehrer, die zahlreichen Privatseminarc<lb/>
für Lehrerinnen nicht mitgerechnet. Die ganze Provinz Brandenburg hat bei<lb/>
einer Einwohnerzahl von etwa 3 400 000 Einwohnern überhaupt nur zehn<lb/>
Seminare einschließlich eines Lehrerinncnseminars. In Oberschlesien sind dagegen<lb/>
bei einer Bevölkerung von rund 1 500 000 Einwohnern allein acht Seminare<lb/>
(sieben katholische und ein evangelisches) vorhanden, von denen die katholischen<lb/>
Seminare ihre Abiturienten nnr nach Oberschlesien abgeben und das evange¬<lb/>
lische Seminar es zum überwiegenden Teile thut. -</p><lb/>
          <p xml:id="ID_637" next="#ID_638"> Wenn trotzdem in Oberschlesien noch Lehrermangel herrscht, so rührt dies<lb/>
daher, daß ein großer Teil seiner jüngeren Lehrer wegen der Schwierigkeiten,<lb/>
mit denen hier der Unterricht verknüpft ist, und wegen der geringeren Besol¬<lb/>
dung der Lehrerstellen, so bald er kann, besser besoldete Stellen in deutscheu</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0213] Vberschlesien und seine Germanisirung. Wie viel noch im Schulwesen zu thun übrig bleibt, dürfte am besten daraus hervorgehen, daß nach einer oberflächlichen, von der Staatsregierung angestellten Berechnung zur regelmäßigen Beschulung der schulpflichtigen Jugend Oberschlesiens noch ungefähr 750 Lehrer fehlen, und daß, trotz aller in den letzten fünfzehn Jahren errichteten Schulen, Schulwege von vier bis sechs Kilometern immer noch nicht zu den Seltenheiten gehören. Wenn auch die Staatsregierung mit nennenswertem Eifer fort und fort bestrebt ist, einerseits die überfüllten Schulen, an denen oft ein einziger Lehrer noch 150 bis 200 Kinder zu unterrichten hat, durch Gründung neuer Lehrer- und Hilfs- lehrcrstellen besser auszustatten und anderseits neue Schulen zu gründen und mit Staatsmitteln der Unfähigkeit der Gemeinde», dies aus eignen Mitteln zu thun, zu Hilfe zu kommen, so scheitert dies Bestreben doch vielfach an der Unzulänglichkeit der staatlichen Mittel, namentlich wo es gilt, neue Schulbänken herstellen zu lassen. Denn da zur Unterstützung armer Schulgemeinden bei Schulbänken der Regierung nur ein sehr beschränkter Fonds zur Verfügung steht, so kann nur ein geringer Teil des vorhandenen Baubedürfnisses be¬ friedigt werden. Auf der andern Seite ist der Mangel an Lehrern, namentlich an katholischen, immer noch so groß, daß, auch wenn die Mittel bereit gestellt würden, um die erforderlichen Bauten zur besseren Ausstattung der bestehenden Schulen wie zur Gründung neuer Schulen auszuführen, die Frage, wie die noch fehlenden 750 Lehrerstcllen besetzt werden sollen, unbeantwortet bleibt. Man wird fragen: Warum sind denn nicht mehr Seminare errichtet worden? Aber auch in dieser Beziehung wird man der Staatsregierung kaum einen Vorwurf machen können. Seit dem Jahre 1873 sind allein in Oberschlesien vier neue Seminare errichtet worden; keine andre Provinz des preußischen Staates ist so reich mit Seminaren ausgestattet wie Schlesien und insbesondre Oberschlesien. Während z. B. die Rheinprovinz, mit der Schlesien fast die gleiche Einwohner¬ zahl hat — sie zählt ebenfalls über vier Millionen Einwohner —, nur siebzehn Seminare einschließlich zweier Lehrerinnenscmincire auszuweisen hat, hat die Provinz Schlesien achtzehn Seminare für Lehrer, die zahlreichen Privatseminarc für Lehrerinnen nicht mitgerechnet. Die ganze Provinz Brandenburg hat bei einer Einwohnerzahl von etwa 3 400 000 Einwohnern überhaupt nur zehn Seminare einschließlich eines Lehrerinncnseminars. In Oberschlesien sind dagegen bei einer Bevölkerung von rund 1 500 000 Einwohnern allein acht Seminare (sieben katholische und ein evangelisches) vorhanden, von denen die katholischen Seminare ihre Abiturienten nnr nach Oberschlesien abgeben und das evange¬ lische Seminar es zum überwiegenden Teile thut. - Wenn trotzdem in Oberschlesien noch Lehrermangel herrscht, so rührt dies daher, daß ein großer Teil seiner jüngeren Lehrer wegen der Schwierigkeiten, mit denen hier der Unterricht verknüpft ist, und wegen der geringeren Besol¬ dung der Lehrerstellen, so bald er kann, besser besoldete Stellen in deutscheu

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/213
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/213>, abgerufen am 23.07.2024.