Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Vberschlesien und seine Germanisinmg.

spannen abfahren, so könnten sie gar nicht bestehen. Aus jenen Gegenden
stammt denn auch ein Teil der Arbeiterbevölkerung des Httttendistrikts, und
ferner ziehen alljährlich im Frühjahr Schaaren von jungen Männern und
Mädchen als Arbeiter in die Nübengegcnden Niederschlesiens und Sachsens,
um dann im Spätherbst mit ihren sauer verdienten Ersparnissen in die Heimat
zurückzukehren und hier ihre Eltern mit ihrem Verdienst zu unterstützen.

Trotzdem trennt der Oberschlesier sich schwer von der ererbten Scholle.
Seine Genügsamkeit läßt ihn mit geringem Verdienst zufrieden sein, und so
wandert er selten aus. Seine Genügsamkeit einerseits, seine große Frömmig¬
keit und sein Patriotismus anderseits sind hervorstechende Charakterzüge des
Oberschlesiers. Dagegen fehlt ihm vielfach energisches Wollen und das Streben,
aus eigner Kraft sich ein behaglicheres Leben zu erkämpfen. Der Oberschlesier
arbeitet nicht gern mehr, als wozu ihn die Not drängt, und mit einem gewissen
Fatalismus fügt er sich in das, was ihm als Verhängnis erscheint, obwohl
er es, wenn er alle Kräfte anspannte, noch abwenden könnte. Wenn er nur
des Lebens Notdurft hat, so ist er zufrieden und denkt nicht an die Zukunft, Es
sind das freilich Eigenschaften, die mehr oder minder allen andern Angehörigen
des Slawentums eigen sind. Von Natur gutmütig und bescheiden, begeht er
in der Regel nur im Trunke, wozu er leider wie alle Slawen neigt, Aus¬
schreitungen; die Sittlichkeit steht hier im allgemeinen nicht wesentlich tiefer,
als in den übrigen östlichen Provinzen Preußens. Der Hüttendistrikt mit seiner
bunt zusammengewürfelten und dicht gedrängt lebenden Arbeiterbevölkerung, in
dem diese Verhältnisse schlimmer liegen, kann natürlich, wie alle Fabrikgegenden,
keinen Maßstab für die Beurteilung der gesamten sittlichen Zustände Ober¬
schlesiens abgeben.

Von der Staatsregierung ist viel geschehen, um die oberschlesische ärmere
Bevölkerung besser zu stellen und aus ihrer Energielosigkeit aufzurütteln. Der
Notstand in den siebziger Jahren hat die Staatsregierung veranlaßt, bessere
Verkehrswege anzulegen und Drainage-Genossenschaften zu bilden, um die nassen
Äcker zu entwässern und fruchtbarer zu machen. Flußreguliruugen, Entwässe¬
rungen und Bewässerungen sind in großem Maßstabe mit bedeutenden Kosten
zustande gebracht worden. Aber wenn auch viel gethan worden ist, so bleibt doch
immer noch viel zu thun übrig, und der wesentlichste Anteil hierbei wird doch der
Schule zufallen müssen, und dieses Ziel fällt, wie hier die Verhältnisse liegen
und wie wir noch zu zeigen versuchen werden, mit den Bestrebungen zusammen,
Oberschlesien der deutscheu Sprache und dem Deutschtum überhaupt zu gewinnen.

Diesem Bestreben stellen sich freilich, teils aus äußern, teils aus innern
Gründen, mannichfache und nicht leicht zu überwindende Schwierigkeiten ent¬
gegen. Die äußern Gründe liegen in der Armut und der geringen Leistungs¬
fähigkeit der Bevölkerung, sowie darin, daß die Bevölkerung, namentlich in den
ärmeren Gegenden, zu zerstreut wohnt.


Vberschlesien und seine Germanisinmg.

spannen abfahren, so könnten sie gar nicht bestehen. Aus jenen Gegenden
stammt denn auch ein Teil der Arbeiterbevölkerung des Httttendistrikts, und
ferner ziehen alljährlich im Frühjahr Schaaren von jungen Männern und
Mädchen als Arbeiter in die Nübengegcnden Niederschlesiens und Sachsens,
um dann im Spätherbst mit ihren sauer verdienten Ersparnissen in die Heimat
zurückzukehren und hier ihre Eltern mit ihrem Verdienst zu unterstützen.

Trotzdem trennt der Oberschlesier sich schwer von der ererbten Scholle.
Seine Genügsamkeit läßt ihn mit geringem Verdienst zufrieden sein, und so
wandert er selten aus. Seine Genügsamkeit einerseits, seine große Frömmig¬
keit und sein Patriotismus anderseits sind hervorstechende Charakterzüge des
Oberschlesiers. Dagegen fehlt ihm vielfach energisches Wollen und das Streben,
aus eigner Kraft sich ein behaglicheres Leben zu erkämpfen. Der Oberschlesier
arbeitet nicht gern mehr, als wozu ihn die Not drängt, und mit einem gewissen
Fatalismus fügt er sich in das, was ihm als Verhängnis erscheint, obwohl
er es, wenn er alle Kräfte anspannte, noch abwenden könnte. Wenn er nur
des Lebens Notdurft hat, so ist er zufrieden und denkt nicht an die Zukunft, Es
sind das freilich Eigenschaften, die mehr oder minder allen andern Angehörigen
des Slawentums eigen sind. Von Natur gutmütig und bescheiden, begeht er
in der Regel nur im Trunke, wozu er leider wie alle Slawen neigt, Aus¬
schreitungen; die Sittlichkeit steht hier im allgemeinen nicht wesentlich tiefer,
als in den übrigen östlichen Provinzen Preußens. Der Hüttendistrikt mit seiner
bunt zusammengewürfelten und dicht gedrängt lebenden Arbeiterbevölkerung, in
dem diese Verhältnisse schlimmer liegen, kann natürlich, wie alle Fabrikgegenden,
keinen Maßstab für die Beurteilung der gesamten sittlichen Zustände Ober¬
schlesiens abgeben.

Von der Staatsregierung ist viel geschehen, um die oberschlesische ärmere
Bevölkerung besser zu stellen und aus ihrer Energielosigkeit aufzurütteln. Der
Notstand in den siebziger Jahren hat die Staatsregierung veranlaßt, bessere
Verkehrswege anzulegen und Drainage-Genossenschaften zu bilden, um die nassen
Äcker zu entwässern und fruchtbarer zu machen. Flußreguliruugen, Entwässe¬
rungen und Bewässerungen sind in großem Maßstabe mit bedeutenden Kosten
zustande gebracht worden. Aber wenn auch viel gethan worden ist, so bleibt doch
immer noch viel zu thun übrig, und der wesentlichste Anteil hierbei wird doch der
Schule zufallen müssen, und dieses Ziel fällt, wie hier die Verhältnisse liegen
und wie wir noch zu zeigen versuchen werden, mit den Bestrebungen zusammen,
Oberschlesien der deutscheu Sprache und dem Deutschtum überhaupt zu gewinnen.

Diesem Bestreben stellen sich freilich, teils aus äußern, teils aus innern
Gründen, mannichfache und nicht leicht zu überwindende Schwierigkeiten ent¬
gegen. Die äußern Gründe liegen in der Armut und der geringen Leistungs¬
fähigkeit der Bevölkerung, sowie darin, daß die Bevölkerung, namentlich in den
ärmeren Gegenden, zu zerstreut wohnt.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0212" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/200991"/>
          <fw type="header" place="top"> Vberschlesien und seine Germanisinmg.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_631" prev="#ID_630"> spannen abfahren, so könnten sie gar nicht bestehen. Aus jenen Gegenden<lb/>
stammt denn auch ein Teil der Arbeiterbevölkerung des Httttendistrikts, und<lb/>
ferner ziehen alljährlich im Frühjahr Schaaren von jungen Männern und<lb/>
Mädchen als Arbeiter in die Nübengegcnden Niederschlesiens und Sachsens,<lb/>
um dann im Spätherbst mit ihren sauer verdienten Ersparnissen in die Heimat<lb/>
zurückzukehren und hier ihre Eltern mit ihrem Verdienst zu unterstützen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_632"> Trotzdem trennt der Oberschlesier sich schwer von der ererbten Scholle.<lb/>
Seine Genügsamkeit läßt ihn mit geringem Verdienst zufrieden sein, und so<lb/>
wandert er selten aus. Seine Genügsamkeit einerseits, seine große Frömmig¬<lb/>
keit und sein Patriotismus anderseits sind hervorstechende Charakterzüge des<lb/>
Oberschlesiers. Dagegen fehlt ihm vielfach energisches Wollen und das Streben,<lb/>
aus eigner Kraft sich ein behaglicheres Leben zu erkämpfen. Der Oberschlesier<lb/>
arbeitet nicht gern mehr, als wozu ihn die Not drängt, und mit einem gewissen<lb/>
Fatalismus fügt er sich in das, was ihm als Verhängnis erscheint, obwohl<lb/>
er es, wenn er alle Kräfte anspannte, noch abwenden könnte. Wenn er nur<lb/>
des Lebens Notdurft hat, so ist er zufrieden und denkt nicht an die Zukunft, Es<lb/>
sind das freilich Eigenschaften, die mehr oder minder allen andern Angehörigen<lb/>
des Slawentums eigen sind. Von Natur gutmütig und bescheiden, begeht er<lb/>
in der Regel nur im Trunke, wozu er leider wie alle Slawen neigt, Aus¬<lb/>
schreitungen; die Sittlichkeit steht hier im allgemeinen nicht wesentlich tiefer,<lb/>
als in den übrigen östlichen Provinzen Preußens. Der Hüttendistrikt mit seiner<lb/>
bunt zusammengewürfelten und dicht gedrängt lebenden Arbeiterbevölkerung, in<lb/>
dem diese Verhältnisse schlimmer liegen, kann natürlich, wie alle Fabrikgegenden,<lb/>
keinen Maßstab für die Beurteilung der gesamten sittlichen Zustände Ober¬<lb/>
schlesiens abgeben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_633"> Von der Staatsregierung ist viel geschehen, um die oberschlesische ärmere<lb/>
Bevölkerung besser zu stellen und aus ihrer Energielosigkeit aufzurütteln. Der<lb/>
Notstand in den siebziger Jahren hat die Staatsregierung veranlaßt, bessere<lb/>
Verkehrswege anzulegen und Drainage-Genossenschaften zu bilden, um die nassen<lb/>
Äcker zu entwässern und fruchtbarer zu machen. Flußreguliruugen, Entwässe¬<lb/>
rungen und Bewässerungen sind in großem Maßstabe mit bedeutenden Kosten<lb/>
zustande gebracht worden. Aber wenn auch viel gethan worden ist, so bleibt doch<lb/>
immer noch viel zu thun übrig, und der wesentlichste Anteil hierbei wird doch der<lb/>
Schule zufallen müssen, und dieses Ziel fällt, wie hier die Verhältnisse liegen<lb/>
und wie wir noch zu zeigen versuchen werden, mit den Bestrebungen zusammen,<lb/>
Oberschlesien der deutscheu Sprache und dem Deutschtum überhaupt zu gewinnen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_634"> Diesem Bestreben stellen sich freilich, teils aus äußern, teils aus innern<lb/>
Gründen, mannichfache und nicht leicht zu überwindende Schwierigkeiten ent¬<lb/>
gegen. Die äußern Gründe liegen in der Armut und der geringen Leistungs¬<lb/>
fähigkeit der Bevölkerung, sowie darin, daß die Bevölkerung, namentlich in den<lb/>
ärmeren Gegenden, zu zerstreut wohnt.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0212] Vberschlesien und seine Germanisinmg. spannen abfahren, so könnten sie gar nicht bestehen. Aus jenen Gegenden stammt denn auch ein Teil der Arbeiterbevölkerung des Httttendistrikts, und ferner ziehen alljährlich im Frühjahr Schaaren von jungen Männern und Mädchen als Arbeiter in die Nübengegcnden Niederschlesiens und Sachsens, um dann im Spätherbst mit ihren sauer verdienten Ersparnissen in die Heimat zurückzukehren und hier ihre Eltern mit ihrem Verdienst zu unterstützen. Trotzdem trennt der Oberschlesier sich schwer von der ererbten Scholle. Seine Genügsamkeit läßt ihn mit geringem Verdienst zufrieden sein, und so wandert er selten aus. Seine Genügsamkeit einerseits, seine große Frömmig¬ keit und sein Patriotismus anderseits sind hervorstechende Charakterzüge des Oberschlesiers. Dagegen fehlt ihm vielfach energisches Wollen und das Streben, aus eigner Kraft sich ein behaglicheres Leben zu erkämpfen. Der Oberschlesier arbeitet nicht gern mehr, als wozu ihn die Not drängt, und mit einem gewissen Fatalismus fügt er sich in das, was ihm als Verhängnis erscheint, obwohl er es, wenn er alle Kräfte anspannte, noch abwenden könnte. Wenn er nur des Lebens Notdurft hat, so ist er zufrieden und denkt nicht an die Zukunft, Es sind das freilich Eigenschaften, die mehr oder minder allen andern Angehörigen des Slawentums eigen sind. Von Natur gutmütig und bescheiden, begeht er in der Regel nur im Trunke, wozu er leider wie alle Slawen neigt, Aus¬ schreitungen; die Sittlichkeit steht hier im allgemeinen nicht wesentlich tiefer, als in den übrigen östlichen Provinzen Preußens. Der Hüttendistrikt mit seiner bunt zusammengewürfelten und dicht gedrängt lebenden Arbeiterbevölkerung, in dem diese Verhältnisse schlimmer liegen, kann natürlich, wie alle Fabrikgegenden, keinen Maßstab für die Beurteilung der gesamten sittlichen Zustände Ober¬ schlesiens abgeben. Von der Staatsregierung ist viel geschehen, um die oberschlesische ärmere Bevölkerung besser zu stellen und aus ihrer Energielosigkeit aufzurütteln. Der Notstand in den siebziger Jahren hat die Staatsregierung veranlaßt, bessere Verkehrswege anzulegen und Drainage-Genossenschaften zu bilden, um die nassen Äcker zu entwässern und fruchtbarer zu machen. Flußreguliruugen, Entwässe¬ rungen und Bewässerungen sind in großem Maßstabe mit bedeutenden Kosten zustande gebracht worden. Aber wenn auch viel gethan worden ist, so bleibt doch immer noch viel zu thun übrig, und der wesentlichste Anteil hierbei wird doch der Schule zufallen müssen, und dieses Ziel fällt, wie hier die Verhältnisse liegen und wie wir noch zu zeigen versuchen werden, mit den Bestrebungen zusammen, Oberschlesien der deutscheu Sprache und dem Deutschtum überhaupt zu gewinnen. Diesem Bestreben stellen sich freilich, teils aus äußern, teils aus innern Gründen, mannichfache und nicht leicht zu überwindende Schwierigkeiten ent¬ gegen. Die äußern Gründe liegen in der Armut und der geringen Leistungs¬ fähigkeit der Bevölkerung, sowie darin, daß die Bevölkerung, namentlich in den ärmeren Gegenden, zu zerstreut wohnt.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/212
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/212>, abgerufen am 23.07.2024.