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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Dichterfreundinnen.

hoch ideal. Erst wenn sie selbst nicht mehr recht klar darüber waren, ob ihre
Liebe dein Dichter galt oder dem Manne, geriet das Verhältnis in Gefahr,
ungesund zu werden. Man darf dies nie vergessen, wenn man die Frauen der
klassischen Zeit recht beurteilen will. In Mannheim liebte Charlotte in Schiller
den Dichter, nicht den Mann, und Schiller war damals noch ideal genug
gestimmt, um dieses zarte Band nicht in ungestümer Weise zu zerknittern.
Darum ließ er sich auch nicht in Mannheim halten, als sein rastloser Geist
nach neuen und weiteren Kreisen des Lebens verlangte. "Die Welt fordert
meinen Geist, ich ihre Wissenschaft und Gunst," sagt Fimante treffend zu Malya.
Und mit einer mutwilligen Hast, das Ideale für etwas reelles Neues einzu¬
tauschen, schreibt er am Ende des Februar an Huber: "Mir ist über der Sehn¬
sucht, Mannheim zu verlassen, nicht anders zu Mute als den Ägyptern, da
der Würgengel herumging."

Was hat man aus Frau von Kalb gemacht! Selten ist eine Frau von
der Kritik der Nachwelt so unbarmherzig in den Staub getreten worden als
sie. Für Wittmann in den "Bildern aus der Schillerzeit" (von Ludwig Speidcl
und Hugo Wittmann) ist sie die zugleich spröde und begehrliche Frau, die des
Dichters Leidenschaft aufregt, um ihn dann mit einigen Redensarten von Pflicht
und Tugend zurückzuweisen, eine despotische Kokette, die einen Herkules für
ihren idealen Spinnrocken braucht. Warum nicht gar eine Art Unholdin, die
mit teuflischer Kälte fühlende Menschen in ihren Bannkreis lockt, um sie zu
erniedrigen und über sie zu triumphiren? Zur Erwiederung auf solche Anklagen
lassen wir Schiller selbst reden, nicht den ungestümen Jüngling, sondern den
gereiften Mann, der sich bei der alternden, verarmenden, erblindenden Frau
im Juli 1799 für ihren teilnehmenden Zuspruch am Tage der Aufführung
seines Wallenstein bedankt: "Ihr Andenken, teure Freundin, wird seinen vollen
Wert für mich behalten. Es ist mir nicht bloß ein schönes Denkmal dieses
heutigen Tages, es ist mir ein teures Pfand Ihres Wohlwollens und Ihrer
treuen Freundschaft und bringt mir die ersten schönen Zeiten unsrer Bekannt¬
schaft in das Gedächtnis zurück. Damals trugen Sie das Schicksal meines
Geistes an Ihrem freundschaftlichen Herzen und ehrten in mir ein unentwickeltes,
noch mit dem Stoffe unsicher kämpfendes Talent. Nicht durch das, was ich
war und was ich wirklich geleistet hatte, sondern durch das, was ich vielleicht
noch werden und leisten konnte, war ich Ihnen wert. Ist es mir jetzt gelungen,
Ihre damaligen Hoffnungen von mir wirklich zu machen und Ihren Anteil an
mir zu rechtfertigen, so werde ich nie vergessen, wie viel ich davon jenem
schönen und reinen Verhältnisse schuldig bin." Diese Zeilen sind das ent¬
scheidende Zeugnis für die Mannheimer Zeit. (Fortsetzung folgt.)




Dichterfreundinnen.

hoch ideal. Erst wenn sie selbst nicht mehr recht klar darüber waren, ob ihre
Liebe dein Dichter galt oder dem Manne, geriet das Verhältnis in Gefahr,
ungesund zu werden. Man darf dies nie vergessen, wenn man die Frauen der
klassischen Zeit recht beurteilen will. In Mannheim liebte Charlotte in Schiller
den Dichter, nicht den Mann, und Schiller war damals noch ideal genug
gestimmt, um dieses zarte Band nicht in ungestümer Weise zu zerknittern.
Darum ließ er sich auch nicht in Mannheim halten, als sein rastloser Geist
nach neuen und weiteren Kreisen des Lebens verlangte. „Die Welt fordert
meinen Geist, ich ihre Wissenschaft und Gunst," sagt Fimante treffend zu Malya.
Und mit einer mutwilligen Hast, das Ideale für etwas reelles Neues einzu¬
tauschen, schreibt er am Ende des Februar an Huber: „Mir ist über der Sehn¬
sucht, Mannheim zu verlassen, nicht anders zu Mute als den Ägyptern, da
der Würgengel herumging."

Was hat man aus Frau von Kalb gemacht! Selten ist eine Frau von
der Kritik der Nachwelt so unbarmherzig in den Staub getreten worden als
sie. Für Wittmann in den „Bildern aus der Schillerzeit" (von Ludwig Speidcl
und Hugo Wittmann) ist sie die zugleich spröde und begehrliche Frau, die des
Dichters Leidenschaft aufregt, um ihn dann mit einigen Redensarten von Pflicht
und Tugend zurückzuweisen, eine despotische Kokette, die einen Herkules für
ihren idealen Spinnrocken braucht. Warum nicht gar eine Art Unholdin, die
mit teuflischer Kälte fühlende Menschen in ihren Bannkreis lockt, um sie zu
erniedrigen und über sie zu triumphiren? Zur Erwiederung auf solche Anklagen
lassen wir Schiller selbst reden, nicht den ungestümen Jüngling, sondern den
gereiften Mann, der sich bei der alternden, verarmenden, erblindenden Frau
im Juli 1799 für ihren teilnehmenden Zuspruch am Tage der Aufführung
seines Wallenstein bedankt: „Ihr Andenken, teure Freundin, wird seinen vollen
Wert für mich behalten. Es ist mir nicht bloß ein schönes Denkmal dieses
heutigen Tages, es ist mir ein teures Pfand Ihres Wohlwollens und Ihrer
treuen Freundschaft und bringt mir die ersten schönen Zeiten unsrer Bekannt¬
schaft in das Gedächtnis zurück. Damals trugen Sie das Schicksal meines
Geistes an Ihrem freundschaftlichen Herzen und ehrten in mir ein unentwickeltes,
noch mit dem Stoffe unsicher kämpfendes Talent. Nicht durch das, was ich
war und was ich wirklich geleistet hatte, sondern durch das, was ich vielleicht
noch werden und leisten konnte, war ich Ihnen wert. Ist es mir jetzt gelungen,
Ihre damaligen Hoffnungen von mir wirklich zu machen und Ihren Anteil an
mir zu rechtfertigen, so werde ich nie vergessen, wie viel ich davon jenem
schönen und reinen Verhältnisse schuldig bin." Diese Zeilen sind das ent¬
scheidende Zeugnis für die Mannheimer Zeit. (Fortsetzung folgt.)




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/195>, abgerufen am 25.08.2024.