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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Die Anarchisten.

Würdenträger der verschiedenen Kirchen, ein gut Teil Offizierkorps, der größte
Teil der höhern Bureaukratie, diverse Journalisten und Advokaten, endlich alle
bedeutenden Repräsentanten der Aristokratie und Bourgeoisie -- das werden
die Subjekte sein, über die man den Stab zu brechen hat."

Neben diesen widerwärtigen Bluthund stellt sich in der Februarnummer
des Blattes 1881 ein schamloser Versöhner des Heiligen, dem das Christentum
ein von Gauklern erfundener Schwindel ist und der seinen Lesern zuruft: "Lese
nur die Bibel durch, vorausgesetzt, daß ihr den Ekel überwindet, der euch er¬
greifen muß, wenn ihr das infamste aller Schandbücher aufschlägt, und ihr
könnt bald bemerken, daß der Gott, den man euch da aufschwatzt, ein millionen-
köpfiger, feuerspeiender, racheschnaubender wüster Drache ist."

Die ganze brennende Wut des fanatischen Anarchisten zeigte Most in seinem
Jubelartikel über die Ermordung des Kaisers Alexander II. Es hieß da:
"Endlich! Triumph! Triumph! Das Wort des Dichters hat sich erfüllt.
Einer der scheußlichsten Tyrannen Europas, dem längst der Untergang geschworen
worden, und der deshalb in wüstem Nacheschnciuben unzählige Helden und
Heldinnen des russischen Volkes vernichten oder einkerkern ließ -- der Kaiser
von Rußland ist nicht mehr. Am vergangnen Sonntage mittags, als das
Ungeheuer gerade von einer jener Belustigungen zurückkehrte, welche in einer
Augenweide an wohlgedrillten Herden stupider Blut- und Eisensklaven zu be¬
stehen Pflegen und die man militärische Revüen nennt, hat die Bestie der
Richter des Volkes, der deren Todesurteil längst gesprochen, ereilt und mit
kräftiger Hand abgethan." Das Weitere läßt sich als zu roh hier nicht wieder¬
geben. Die ganze Nummer war voll von schweren Majestätsbeleidigungen
gegen fast alle Monarchen Europas.

Jetzt schritt auch die englische Regierung ein, und der Richter schickte Most
auf sechzehn Monate ins Zuchthaus, wo der anarchistische Prometheus die
Nummer 300 bekam und zuerst mit Zerfasern von Tauenden, dann mit Flicken
von Gefangenenhemden beschäftigt wurde. Die "Freiheit" aber erschien noch
eine Weile ruhig weiter, und unmittelbar nach der Verurteilung ihres bisherigen
Redakteurs trat ein durch anarchistische Agenten aus Belgien, Frankreich,
Spanien, der Schweiz, Deutschland, Österreich und Amerika zusmnmenbernfener
Kongreß zusammen, in dem der österreichische Stubenmaler Peukert, ein
gewisser Justus Schwab, der Nihilist Hartmann und der russische Fürst Kra-
potkin das Wort führten und der zu folgenden Beschlüssen gelangte: "Die
Revolutionäre aller Länder vereinigen sich zu einer internationalen sozial-
revolutionären Genossenschaft, deren Hauptsitz in London ist, während Neben¬
komitees in Paris, Genf und Newhork gebildet werden. An jedem Orte, wo
sich Gesinnungsgenossen befinden, sind Sektionen und ein Exekutivkomitee von
drei Personen einzurichten. Die Komitees eines Landes unterhalten unter
einander und mit dem Hauptkomitee desselben durch Vermittlung von Zwischen-


Die Anarchisten.

Würdenträger der verschiedenen Kirchen, ein gut Teil Offizierkorps, der größte
Teil der höhern Bureaukratie, diverse Journalisten und Advokaten, endlich alle
bedeutenden Repräsentanten der Aristokratie und Bourgeoisie — das werden
die Subjekte sein, über die man den Stab zu brechen hat."

Neben diesen widerwärtigen Bluthund stellt sich in der Februarnummer
des Blattes 1881 ein schamloser Versöhner des Heiligen, dem das Christentum
ein von Gauklern erfundener Schwindel ist und der seinen Lesern zuruft: „Lese
nur die Bibel durch, vorausgesetzt, daß ihr den Ekel überwindet, der euch er¬
greifen muß, wenn ihr das infamste aller Schandbücher aufschlägt, und ihr
könnt bald bemerken, daß der Gott, den man euch da aufschwatzt, ein millionen-
köpfiger, feuerspeiender, racheschnaubender wüster Drache ist."

Die ganze brennende Wut des fanatischen Anarchisten zeigte Most in seinem
Jubelartikel über die Ermordung des Kaisers Alexander II. Es hieß da:
„Endlich! Triumph! Triumph! Das Wort des Dichters hat sich erfüllt.
Einer der scheußlichsten Tyrannen Europas, dem längst der Untergang geschworen
worden, und der deshalb in wüstem Nacheschnciuben unzählige Helden und
Heldinnen des russischen Volkes vernichten oder einkerkern ließ — der Kaiser
von Rußland ist nicht mehr. Am vergangnen Sonntage mittags, als das
Ungeheuer gerade von einer jener Belustigungen zurückkehrte, welche in einer
Augenweide an wohlgedrillten Herden stupider Blut- und Eisensklaven zu be¬
stehen Pflegen und die man militärische Revüen nennt, hat die Bestie der
Richter des Volkes, der deren Todesurteil längst gesprochen, ereilt und mit
kräftiger Hand abgethan." Das Weitere läßt sich als zu roh hier nicht wieder¬
geben. Die ganze Nummer war voll von schweren Majestätsbeleidigungen
gegen fast alle Monarchen Europas.

Jetzt schritt auch die englische Regierung ein, und der Richter schickte Most
auf sechzehn Monate ins Zuchthaus, wo der anarchistische Prometheus die
Nummer 300 bekam und zuerst mit Zerfasern von Tauenden, dann mit Flicken
von Gefangenenhemden beschäftigt wurde. Die „Freiheit" aber erschien noch
eine Weile ruhig weiter, und unmittelbar nach der Verurteilung ihres bisherigen
Redakteurs trat ein durch anarchistische Agenten aus Belgien, Frankreich,
Spanien, der Schweiz, Deutschland, Österreich und Amerika zusmnmenbernfener
Kongreß zusammen, in dem der österreichische Stubenmaler Peukert, ein
gewisser Justus Schwab, der Nihilist Hartmann und der russische Fürst Kra-
potkin das Wort führten und der zu folgenden Beschlüssen gelangte: „Die
Revolutionäre aller Länder vereinigen sich zu einer internationalen sozial-
revolutionären Genossenschaft, deren Hauptsitz in London ist, während Neben¬
komitees in Paris, Genf und Newhork gebildet werden. An jedem Orte, wo
sich Gesinnungsgenossen befinden, sind Sektionen und ein Exekutivkomitee von
drei Personen einzurichten. Die Komitees eines Landes unterhalten unter
einander und mit dem Hauptkomitee desselben durch Vermittlung von Zwischen-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/165>, abgerufen am 23.07.2024.