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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Der deutsche Volkscharakter und seine Wandlungen.

mische Ungebundenheit und Ungezähmtheit eine" heilsamen Einfluß auszuüben.
Die Tugendlehre der Kirche hatte dem wirklichen Leben der Kämpfe und des
Eigennutzes innerlich ablehnend und Entsagung fordernd gegenübergestanden;
jetzt verlor sie den Einfluß völlig an ein neues weltliches Ideal, dem sie nur
ihre Aufgaben zu stellen vermochte -- in den Kreuzzügen. Dazu kam dann
auch der weibliche Einfluß in einer phantastischen Ausdehnung -- die ganze
Richtung hat etwas Frauenhaftes, Gedämpftes und Abgeschliffenes --, aber
auch einen launenhaften, spielenden, weiblichen Bestandteil in dem Frauen¬
dienste.

Soweit die ritterliche Tugendlehre überhaupt aus einer Forderung sich in
Wirklichkeit umsetzen konnte, darf man eine Milderung des Nativualcharcikters
des deutscheu Krieger- und Herrenstandes annehmen: feine Höflichkeit in abge¬
zirkelten Lebensformen, die "Höfischheit," ein herablassendes Wohlwollen gegen
Schutzbedürftige, Beobachtung der Mäßigkeit in Speise und Trank, Freigebig¬
keit und Gastfreundschaft, Rücksicht ans die Beurteilung der Standesgenossen
und besonders der Frauen, den Leitstern der Nitterehre durch die Gefahren des
Übermutes, wie er ans dem Bewußtsein der körperlichen und geselligen Über¬
legenheit und des Vorrechtes der Waffenführuiig nur zu leicht hervorgeht und
in dem Übermut der adligen Offiziere Friedrichs II. von Preußen das Gegen¬
stück findet. Aber daneben fehlen nicht die tiefen Schatten in dem ritterlichen
Charakter.

Von echter Sittlichkeit war das Standesideal weit entfernt, das mehr der
Phantasie und Ehrbegierde angehörte als dem Willen. So ist der Frauen-
dienst in seinen Bethätigung".'" innerlich unsittlich und verschroben; die ganze
Höfischheit, Ritterlichkeit lind feine Sitte konnte an einzelnen Höfen idealer
Fürsten eine Stätte finden, aber ihre Blüte war doch nur vorübergehend
und vereinzelt.

Dazu kommt der geforderte große Aufwand, die Freude an Prunk in
Kleidung, Waffen, Rossen und Turnieren, die übertriebene Freigebigkeit bis zur
Verschwendung, kurz die UnWirtschaftlichkeit, welche dem Streben nach einer
standesgemäßen Lebensführung stets anhaftet. Der Neid auf die Wohlhaben¬
heit der Bauern und Bürger und die eingelernte Geringschätzung der er¬
werbenden Stände mußte bald zu der Übung führen, die Früchte ihrer
Thätigkeit mit Gewalt sich anzueignen: das Ranbrittertum als förmlicher Er¬
werbszweig der durch Turniere und Kreuzfahrten heruntergekommenen oder von
Anfang an gering begüterten Ritter. So schlug der ritterliche Charakter, wo
die sozialen Vorrechte ohne ihre Grundlage festgehalten werden konnten, leicht
um in die Züge junkerlicher Überhebung, Gewaltthätigkeit, Verrohung und Unter¬
drückung der unterthänigen Bauern.

In andrer, erfreulicherer Weise setzte sich die Volksart in der Entwicklung
der erwerbenden Stäude fort.


Der deutsche Volkscharakter und seine Wandlungen.

mische Ungebundenheit und Ungezähmtheit eine» heilsamen Einfluß auszuüben.
Die Tugendlehre der Kirche hatte dem wirklichen Leben der Kämpfe und des
Eigennutzes innerlich ablehnend und Entsagung fordernd gegenübergestanden;
jetzt verlor sie den Einfluß völlig an ein neues weltliches Ideal, dem sie nur
ihre Aufgaben zu stellen vermochte — in den Kreuzzügen. Dazu kam dann
auch der weibliche Einfluß in einer phantastischen Ausdehnung — die ganze
Richtung hat etwas Frauenhaftes, Gedämpftes und Abgeschliffenes —, aber
auch einen launenhaften, spielenden, weiblichen Bestandteil in dem Frauen¬
dienste.

Soweit die ritterliche Tugendlehre überhaupt aus einer Forderung sich in
Wirklichkeit umsetzen konnte, darf man eine Milderung des Nativualcharcikters
des deutscheu Krieger- und Herrenstandes annehmen: feine Höflichkeit in abge¬
zirkelten Lebensformen, die „Höfischheit," ein herablassendes Wohlwollen gegen
Schutzbedürftige, Beobachtung der Mäßigkeit in Speise und Trank, Freigebig¬
keit und Gastfreundschaft, Rücksicht ans die Beurteilung der Standesgenossen
und besonders der Frauen, den Leitstern der Nitterehre durch die Gefahren des
Übermutes, wie er ans dem Bewußtsein der körperlichen und geselligen Über¬
legenheit und des Vorrechtes der Waffenführuiig nur zu leicht hervorgeht und
in dem Übermut der adligen Offiziere Friedrichs II. von Preußen das Gegen¬
stück findet. Aber daneben fehlen nicht die tiefen Schatten in dem ritterlichen
Charakter.

Von echter Sittlichkeit war das Standesideal weit entfernt, das mehr der
Phantasie und Ehrbegierde angehörte als dem Willen. So ist der Frauen-
dienst in seinen Bethätigung«.'» innerlich unsittlich und verschroben; die ganze
Höfischheit, Ritterlichkeit lind feine Sitte konnte an einzelnen Höfen idealer
Fürsten eine Stätte finden, aber ihre Blüte war doch nur vorübergehend
und vereinzelt.

Dazu kommt der geforderte große Aufwand, die Freude an Prunk in
Kleidung, Waffen, Rossen und Turnieren, die übertriebene Freigebigkeit bis zur
Verschwendung, kurz die UnWirtschaftlichkeit, welche dem Streben nach einer
standesgemäßen Lebensführung stets anhaftet. Der Neid auf die Wohlhaben¬
heit der Bauern und Bürger und die eingelernte Geringschätzung der er¬
werbenden Stände mußte bald zu der Übung führen, die Früchte ihrer
Thätigkeit mit Gewalt sich anzueignen: das Ranbrittertum als förmlicher Er¬
werbszweig der durch Turniere und Kreuzfahrten heruntergekommenen oder von
Anfang an gering begüterten Ritter. So schlug der ritterliche Charakter, wo
die sozialen Vorrechte ohne ihre Grundlage festgehalten werden konnten, leicht
um in die Züge junkerlicher Überhebung, Gewaltthätigkeit, Verrohung und Unter¬
drückung der unterthänigen Bauern.

In andrer, erfreulicherer Weise setzte sich die Volksart in der Entwicklung
der erwerbenden Stäude fort.


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[0126] Der deutsche Volkscharakter und seine Wandlungen. mische Ungebundenheit und Ungezähmtheit eine» heilsamen Einfluß auszuüben. Die Tugendlehre der Kirche hatte dem wirklichen Leben der Kämpfe und des Eigennutzes innerlich ablehnend und Entsagung fordernd gegenübergestanden; jetzt verlor sie den Einfluß völlig an ein neues weltliches Ideal, dem sie nur ihre Aufgaben zu stellen vermochte — in den Kreuzzügen. Dazu kam dann auch der weibliche Einfluß in einer phantastischen Ausdehnung — die ganze Richtung hat etwas Frauenhaftes, Gedämpftes und Abgeschliffenes —, aber auch einen launenhaften, spielenden, weiblichen Bestandteil in dem Frauen¬ dienste. Soweit die ritterliche Tugendlehre überhaupt aus einer Forderung sich in Wirklichkeit umsetzen konnte, darf man eine Milderung des Nativualcharcikters des deutscheu Krieger- und Herrenstandes annehmen: feine Höflichkeit in abge¬ zirkelten Lebensformen, die „Höfischheit," ein herablassendes Wohlwollen gegen Schutzbedürftige, Beobachtung der Mäßigkeit in Speise und Trank, Freigebig¬ keit und Gastfreundschaft, Rücksicht ans die Beurteilung der Standesgenossen und besonders der Frauen, den Leitstern der Nitterehre durch die Gefahren des Übermutes, wie er ans dem Bewußtsein der körperlichen und geselligen Über¬ legenheit und des Vorrechtes der Waffenführuiig nur zu leicht hervorgeht und in dem Übermut der adligen Offiziere Friedrichs II. von Preußen das Gegen¬ stück findet. Aber daneben fehlen nicht die tiefen Schatten in dem ritterlichen Charakter. Von echter Sittlichkeit war das Standesideal weit entfernt, das mehr der Phantasie und Ehrbegierde angehörte als dem Willen. So ist der Frauen- dienst in seinen Bethätigung«.'» innerlich unsittlich und verschroben; die ganze Höfischheit, Ritterlichkeit lind feine Sitte konnte an einzelnen Höfen idealer Fürsten eine Stätte finden, aber ihre Blüte war doch nur vorübergehend und vereinzelt. Dazu kommt der geforderte große Aufwand, die Freude an Prunk in Kleidung, Waffen, Rossen und Turnieren, die übertriebene Freigebigkeit bis zur Verschwendung, kurz die UnWirtschaftlichkeit, welche dem Streben nach einer standesgemäßen Lebensführung stets anhaftet. Der Neid auf die Wohlhaben¬ heit der Bauern und Bürger und die eingelernte Geringschätzung der er¬ werbenden Stände mußte bald zu der Übung führen, die Früchte ihrer Thätigkeit mit Gewalt sich anzueignen: das Ranbrittertum als förmlicher Er¬ werbszweig der durch Turniere und Kreuzfahrten heruntergekommenen oder von Anfang an gering begüterten Ritter. So schlug der ritterliche Charakter, wo die sozialen Vorrechte ohne ihre Grundlage festgehalten werden konnten, leicht um in die Züge junkerlicher Überhebung, Gewaltthätigkeit, Verrohung und Unter¬ drückung der unterthänigen Bauern. In andrer, erfreulicherer Weise setzte sich die Volksart in der Entwicklung der erwerbenden Stäude fort.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/126>, abgerufen am 23.07.2024.