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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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von der Zerrissenheit der Deutschen in der Heeresfrage überzeugt wurde, der
Krieg vor der Thür stand. Denn die Lage war so, wie die "Kölnische Zeitung"
schrieb: "Wer die Militärvorlage der Regierung verwerfen will, der will ent¬
weder Elsaß-Lothringen aufgeben, oder er will den Krieg." Dabei wußte man,
daß der Barackenbau so vermehrt und beschleunigt wurde, daß z. B. in Verdun
die Herstellung von dreißig Baracken zur Unterbringung von 80 000 Mann
bis zum 15. März ausbedungen war. Ähnlich war es mit der Herstellung
von Baracken in Etain, in Constans, in Epinal, in Belfort. Trotz alledem
kochte bei den Deutschfreisinuigeu der Haß gegen die Negierung, gegen Bismnrck
und Moltke fort. "Sie müssen etwas Großes haben, das sie hassen können,"
sagte einmal Goethe in Bezug auf Cannings Gegner.

Während die Deutschfreisinnigen so ihrem Hasse gegen "alles, was uns
groß, reich und einig gemacht hat," nachsingen, wühlte Windthorst die
kenntnislose Masse feiner Wähler auf. Immer wieder behauptete er, daß
in den übrigen großen Militärstaaten, wo parlamentarische Einrichtungen
seien, die einjährige Bewilligung Rechtens sei. Er wußte natürlich recht
gut, daß das nur in England, und auch da uur als tote Form besteht,
daß Frankreich auf Grund des Gesetzes vom 13. März 1876 dauernde Fest¬
stellung der Friedensstärke hat, Österreich auf zehn Jahre. Aber es wurde
fortgelogcn, und dem Bauer wurde sogar erzählt, daß die Militärvorlage
mit dem Scptennat bezwecke, die Dienstzeit des einzelnen Mannes von
drei ans sieben Jahre zu erhöhen, sodaß mehrere Regierungen, z. B. die
wcimarische, sich veranlaßt sahen, öffentlich der ungeheuern Lüge zu wider¬
sprechen.

Indessen blies die französische Presse die Friedensschalmei. Den Schein
der Friedensliebe zu erwecken, daran hatte sie großes Interesse. Erstens war
den Nevancheplänen damit nicht gedient, daß im eignen Lande die friedliebenden
Elemente hellhörig wurden und aufzupassen austilgen; sodann paßte es ihnen
nicht, daß Deutschland den vollen Ernst der Lage erkenne und demgemäß
handle. Die Überzeugung, daß man in Deutschland mit der Eventualität eines
Krieges schwerster Art rechnet und sich mit vollem Ernste rüstet, um, wenn es
an das 8-üg'nsr ü. Muio geht, nicht der passive Teil zu sein, wird immerdar
der wirksamste Dämpfer für die Rachebestrebnngcn unsrer liebenswürdigen Nach¬
barn sein. Also, je rachelustiger die französische Presse war, desto friedlichere
Töne schlug sie an. Aber in unsrer freisinnigen Presse herrschte darüber eitel
Freude; sie hatte nnn den ersehnten Eideshelfer für ihre Behauptung einer
äußerst friedlichen Lage. So entstand eine "zutoirtg vorämlö der freisinnigen
und der französischen Presse. Ein für uns höchst beschämendes Bild; denn in
allen auswärtigen uns feindlichen Blättern wurde jetzt die gespannte Lage Europas
auf den bösen Willen Deutschlands zurückgeführt, und deutsche Zeitungen selbst
konnten als Zeugen dafür aufgerufen werden. stellten doch die fortschrittlichen


von der Zerrissenheit der Deutschen in der Heeresfrage überzeugt wurde, der
Krieg vor der Thür stand. Denn die Lage war so, wie die „Kölnische Zeitung"
schrieb: „Wer die Militärvorlage der Regierung verwerfen will, der will ent¬
weder Elsaß-Lothringen aufgeben, oder er will den Krieg." Dabei wußte man,
daß der Barackenbau so vermehrt und beschleunigt wurde, daß z. B. in Verdun
die Herstellung von dreißig Baracken zur Unterbringung von 80 000 Mann
bis zum 15. März ausbedungen war. Ähnlich war es mit der Herstellung
von Baracken in Etain, in Constans, in Epinal, in Belfort. Trotz alledem
kochte bei den Deutschfreisinuigeu der Haß gegen die Negierung, gegen Bismnrck
und Moltke fort. „Sie müssen etwas Großes haben, das sie hassen können,"
sagte einmal Goethe in Bezug auf Cannings Gegner.

Während die Deutschfreisinnigen so ihrem Hasse gegen „alles, was uns
groß, reich und einig gemacht hat," nachsingen, wühlte Windthorst die
kenntnislose Masse feiner Wähler auf. Immer wieder behauptete er, daß
in den übrigen großen Militärstaaten, wo parlamentarische Einrichtungen
seien, die einjährige Bewilligung Rechtens sei. Er wußte natürlich recht
gut, daß das nur in England, und auch da uur als tote Form besteht,
daß Frankreich auf Grund des Gesetzes vom 13. März 1876 dauernde Fest¬
stellung der Friedensstärke hat, Österreich auf zehn Jahre. Aber es wurde
fortgelogcn, und dem Bauer wurde sogar erzählt, daß die Militärvorlage
mit dem Scptennat bezwecke, die Dienstzeit des einzelnen Mannes von
drei ans sieben Jahre zu erhöhen, sodaß mehrere Regierungen, z. B. die
wcimarische, sich veranlaßt sahen, öffentlich der ungeheuern Lüge zu wider¬
sprechen.

Indessen blies die französische Presse die Friedensschalmei. Den Schein
der Friedensliebe zu erwecken, daran hatte sie großes Interesse. Erstens war
den Nevancheplänen damit nicht gedient, daß im eignen Lande die friedliebenden
Elemente hellhörig wurden und aufzupassen austilgen; sodann paßte es ihnen
nicht, daß Deutschland den vollen Ernst der Lage erkenne und demgemäß
handle. Die Überzeugung, daß man in Deutschland mit der Eventualität eines
Krieges schwerster Art rechnet und sich mit vollem Ernste rüstet, um, wenn es
an das 8-üg'nsr ü. Muio geht, nicht der passive Teil zu sein, wird immerdar
der wirksamste Dämpfer für die Rachebestrebnngcn unsrer liebenswürdigen Nach¬
barn sein. Also, je rachelustiger die französische Presse war, desto friedlichere
Töne schlug sie an. Aber in unsrer freisinnigen Presse herrschte darüber eitel
Freude; sie hatte nnn den ersehnten Eideshelfer für ihre Behauptung einer
äußerst friedlichen Lage. So entstand eine «zutoirtg vorämlö der freisinnigen
und der französischen Presse. Ein für uns höchst beschämendes Bild; denn in
allen auswärtigen uns feindlichen Blättern wurde jetzt die gespannte Lage Europas
auf den bösen Willen Deutschlands zurückgeführt, und deutsche Zeitungen selbst
konnten als Zeugen dafür aufgerufen werden. stellten doch die fortschrittlichen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/118>, abgerufen am 23.07.2024.