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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Die Opposition während des letzten wnhlkampfes.

in die Haare zu fahren, dem Grobzeug Rede stehen muß, das um seine Füße
kriecht. Vertrackt, daß neben unsern Feldherren die Pygmäen Windthorst, Richter
und Bamberger sich in den Kriegsrat drängen! Könnte man die drei doch für
einige Zeit in die Front einstellen und Spitzentrab laufen lassen." Anton
Springer aber schrieb in einer vielerwähnten Kritik über den aufgelösten Reichs¬
tag in der "Deutschen Zeitung": "Das Ansehen dieser Führer (Windthorst-
Nichter) kann nur aus der Selbsterniedrigung des Reichstags erklärt werden.
Gehandelt wird in ihm doch nicht, mir gesprochen, und zwar fast ausschließlich
zum Fenster hinaus gesprochen; kurzweilig und unterhaltend, bald durch Grob¬
heit herausfordernd, bald Lachen erregend, das verlangen Hörer und Leser von
den Reden, und diejenigen Boten genießen das größte Ansehen, welche sich auf
beide Dinge am besten verstehen." Das war ein schlimmes Urteil, umso
schlimmer, als es wahr war schon seit Jahren. Seit acht Jahren schon hatte
es kaum eine anmaßlichere Einrichtung gegeben als die des deutschen Reichs¬
tages unter dieser Führerschaft Windthorst-Richter. Am anmaßendsten aber
und zugleich am unfruchtbarsten war immer der Fortschritt gewesen. Im Ver¬
laufe des Wahlkampfcs legte er vollends alle Scham ab; meinte doch Eugen
Richters Zeitung, der Reichstag könne für den Fall der Neubesetzung die Posten
des Kriegsministers und des Chefs des Generalsiabes in die Rubrik "künftig
wegfallend" verweisen. Ganz offen wurde die Wahlvcrbrüderung zwischen Deutsch¬
freisinnigen und Sozialdemokraten eingestanden. Munckel forderte beide auf,
sich zu gemeinsamer Bekämpfung der Neichsregierung und der sie unterstützenden
Parteien die Hand zu reichen und sich über jeden Sieg zu freuen, den einer
von ihnen erringe. Läge der gemeinsame Feind (d. h. hier das deutsche Reich!)
am Boden, dann könne die Auseinandersetzung über die Punkte, die Dentsch-
freisinnige und Sozialdemokraten trennten, erfolgen. Wer von beiden der stärkere
sei, werde sich dann schon zeigen. Wie aber die Sozialdemokraten die Unter¬
stützung der subalternen freisinnigen Gesellen lohnten, das erfuhr Herr
Munckel, als in derselben Versammlung ein Sozialdemokrat unter Beifall seiner
Genossen davor warnte, "einen Schaukelbruder und Hofschauspieler" Ä ig. Munckel
zu wählen.

Wie vor den Sozialdemokraten, so krochen auch vor Frankreich die Frei¬
sinnigen als echte Reptile. Die Franzosen mit Boulanger waren ihnen die
Friedliebenden, die deutschnationalen Parteien mit der Regierung waren die
wahren Chauviuisten. Ein solches Neptilfabrilat war der Artikel "Auf die
Schanzen" in der "Freisinnigen Zeitung." Ein andres nicht minder herrliches
lieferte das Berliner "Deutsche Ncichsblatt," indem es die Freisinnigen, die im
Graudenzer Wahlkreise für Hobrecht stimmten, als solche hinstellte, die sich zu
Deutschen zweiter Klasse machten und andern Parteien hörig wären. Wer sein
Vaterland über die Parteiinteressen stellt, der macht sich zum Hörigen! Und
das alles geschah, während es alle Tage sicherer wurde, daß, wie das Ausland


Die Opposition während des letzten wnhlkampfes.

in die Haare zu fahren, dem Grobzeug Rede stehen muß, das um seine Füße
kriecht. Vertrackt, daß neben unsern Feldherren die Pygmäen Windthorst, Richter
und Bamberger sich in den Kriegsrat drängen! Könnte man die drei doch für
einige Zeit in die Front einstellen und Spitzentrab laufen lassen." Anton
Springer aber schrieb in einer vielerwähnten Kritik über den aufgelösten Reichs¬
tag in der „Deutschen Zeitung": „Das Ansehen dieser Führer (Windthorst-
Nichter) kann nur aus der Selbsterniedrigung des Reichstags erklärt werden.
Gehandelt wird in ihm doch nicht, mir gesprochen, und zwar fast ausschließlich
zum Fenster hinaus gesprochen; kurzweilig und unterhaltend, bald durch Grob¬
heit herausfordernd, bald Lachen erregend, das verlangen Hörer und Leser von
den Reden, und diejenigen Boten genießen das größte Ansehen, welche sich auf
beide Dinge am besten verstehen." Das war ein schlimmes Urteil, umso
schlimmer, als es wahr war schon seit Jahren. Seit acht Jahren schon hatte
es kaum eine anmaßlichere Einrichtung gegeben als die des deutschen Reichs¬
tages unter dieser Führerschaft Windthorst-Richter. Am anmaßendsten aber
und zugleich am unfruchtbarsten war immer der Fortschritt gewesen. Im Ver¬
laufe des Wahlkampfcs legte er vollends alle Scham ab; meinte doch Eugen
Richters Zeitung, der Reichstag könne für den Fall der Neubesetzung die Posten
des Kriegsministers und des Chefs des Generalsiabes in die Rubrik „künftig
wegfallend" verweisen. Ganz offen wurde die Wahlvcrbrüderung zwischen Deutsch¬
freisinnigen und Sozialdemokraten eingestanden. Munckel forderte beide auf,
sich zu gemeinsamer Bekämpfung der Neichsregierung und der sie unterstützenden
Parteien die Hand zu reichen und sich über jeden Sieg zu freuen, den einer
von ihnen erringe. Läge der gemeinsame Feind (d. h. hier das deutsche Reich!)
am Boden, dann könne die Auseinandersetzung über die Punkte, die Dentsch-
freisinnige und Sozialdemokraten trennten, erfolgen. Wer von beiden der stärkere
sei, werde sich dann schon zeigen. Wie aber die Sozialdemokraten die Unter¬
stützung der subalternen freisinnigen Gesellen lohnten, das erfuhr Herr
Munckel, als in derselben Versammlung ein Sozialdemokrat unter Beifall seiner
Genossen davor warnte, „einen Schaukelbruder und Hofschauspieler" Ä ig. Munckel
zu wählen.

Wie vor den Sozialdemokraten, so krochen auch vor Frankreich die Frei¬
sinnigen als echte Reptile. Die Franzosen mit Boulanger waren ihnen die
Friedliebenden, die deutschnationalen Parteien mit der Regierung waren die
wahren Chauviuisten. Ein solches Neptilfabrilat war der Artikel „Auf die
Schanzen" in der „Freisinnigen Zeitung." Ein andres nicht minder herrliches
lieferte das Berliner „Deutsche Ncichsblatt," indem es die Freisinnigen, die im
Graudenzer Wahlkreise für Hobrecht stimmten, als solche hinstellte, die sich zu
Deutschen zweiter Klasse machten und andern Parteien hörig wären. Wer sein
Vaterland über die Parteiinteressen stellt, der macht sich zum Hörigen! Und
das alles geschah, während es alle Tage sicherer wurde, daß, wie das Ausland


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/117>, abgerufen am 23.07.2024.