Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.Der Fremde in Rif. In demselben Augenblicke stürzten der Schiffer und einige Leute herbei. Elender Kerl! Was hast du gethan! rief der Fremde dem Engländer zu, Er sank in Sir Doves Armen zusammen, und alle glaubten, daß er Ein heftiger Krampf schüttelte den Körper des Alten, sein Kopf fiel Der Fremde saß eine Weile regungslos da, tief ergriffen von allem, was Da sprang er auf und rief: Seid Ihr von Sinnen! Wollt Ihr jetzt um¬ Welches Land? fragte der Schiffer ruhig, ich sehe nichts! Der Fremde wandte sich um. Tiefer Nebel lag über dem Meere, weit Wolkenbänke und schwimmende Eisberge sah ich! antwortete der Schiffer; Ihr sollt wenden! Ihr sollt gen Westen steuern, schrie Sir Dove außer Ruhig, ruhig, guter Herr! Ich versprach, mich Euern Thorheiten zwei Der Fremde beugte sein Haupt wie ein geschlagener Mann, der ohn¬ Der Fremde in Rif. In demselben Augenblicke stürzten der Schiffer und einige Leute herbei. Elender Kerl! Was hast du gethan! rief der Fremde dem Engländer zu, Er sank in Sir Doves Armen zusammen, und alle glaubten, daß er Ein heftiger Krampf schüttelte den Körper des Alten, sein Kopf fiel Der Fremde saß eine Weile regungslos da, tief ergriffen von allem, was Da sprang er auf und rief: Seid Ihr von Sinnen! Wollt Ihr jetzt um¬ Welches Land? fragte der Schiffer ruhig, ich sehe nichts! Der Fremde wandte sich um. Tiefer Nebel lag über dem Meere, weit Wolkenbänke und schwimmende Eisberge sah ich! antwortete der Schiffer; Ihr sollt wenden! Ihr sollt gen Westen steuern, schrie Sir Dove außer Ruhig, ruhig, guter Herr! Ich versprach, mich Euern Thorheiten zwei Der Fremde beugte sein Haupt wie ein geschlagener Mann, der ohn¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0106" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/200885"/> <fw type="header" place="top"> Der Fremde in Rif.</fw><lb/> <p xml:id="ID_334"> In demselben Augenblicke stürzten der Schiffer und einige Leute herbei.<lb/> Sie wußten nicht, was vorgefallen war, sie sahen nur den Alten in wilder<lb/> Wut über den wehrlosen Portugiesen herfallen, und um diesen zu schützen,<lb/> bohrte einer der Engländer seinen Dolch in Thorbjörns Nacken; er stürzte<lb/> nieder und lag wie tot auf dem Verdeck.</p><lb/> <p xml:id="ID_335"> Elender Kerl! Was hast du gethan! rief der Fremde dem Engländer zu,<lb/> warf sich neben dem Alten auf die Kniee, hob sein Haupt auf und legte es in<lb/> seinen Schoß. Nach einer Weile öffnete Thorbjörn die Augen, schöpfte tief<lb/> Atem, wie einer, der aus einem schweren Schlaf erwacht, und fagte: Jetzt ist<lb/> es aus mit mir, aber das ist auch wohl das Beste! Verzeiht mir, ich war<lb/> meiner selbst nicht mächtig! Hebt mich ein wenig höher, daß ich in die Ferne<lb/> schauen kann — ach nein, das hilft mir nicht, meine Augen sind umnebelt!</p><lb/> <p xml:id="ID_336"> Er sank in Sir Doves Armen zusammen, und alle glaubten, daß er<lb/> bereits verschieden sei. Aber plötzlich schlug er die alten Augen noch einmal auf,<lb/> legte den Mund an das Ohr des Fremden und flüsterte mit Aufbietung seiner<lb/> letzten Kräfte: Das Land da drüben, mein Land, das ich nicht mehr erreichte,<lb/> es sei das deine! Hörst du? ich, Thorbjörn, schenke es dir.</p><lb/> <p xml:id="ID_337"> Ein heftiger Krampf schüttelte den Körper des Alten, sein Kopf fiel<lb/> zurück — er war tot.</p><lb/> <p xml:id="ID_338"> Der Fremde saß eine Weile regungslos da, tief ergriffen von allem, was<lb/> er gehört und erlebt hatte. Er bemerkte es nicht, daß der Schiffer Burlington<lb/> seinen Leuten Befehl gegeben hatte, zu wenden.</p><lb/> <p xml:id="ID_339"> Da sprang er auf und rief: Seid Ihr von Sinnen! Wollt Ihr jetzt um¬<lb/> wenden, da das Land vor uns liegt!</p><lb/> <p xml:id="ID_340"> Welches Land? fragte der Schiffer ruhig, ich sehe nichts!</p><lb/> <p xml:id="ID_341"> Der Fremde wandte sich um. Tiefer Nebel lag über dem Meere, weit<lb/> und breit war nichts zu entdecken. Aber Ihr müßt es doch vorhin gesehen<lb/> haben, ebensogut wie ich und jeuer Abgeschiedene es sahen!</p><lb/> <p xml:id="ID_342"> Wolkenbänke und schwimmende Eisberge sah ich! antwortete der Schiffer;<lb/> die könnt Ihr überall finden!</p><lb/> <p xml:id="ID_343"> Ihr sollt wenden! Ihr sollt gen Westen steuern, schrie Sir Dove außer<lb/> sich vor Zorn. Ihr habt Euch dazu gegen reichliche Zahlung verpflichtet, und<lb/> ich habe ein Recht, es zu verlangen!</p><lb/> <p xml:id="ID_344"> Ruhig, ruhig, guter Herr! Ich versprach, mich Euern Thorheiten zwei<lb/> Wochen zu fügen, ich legte aus freien Stücken drei Tage dazu. Jetzt aber<lb/> muß es genug sein, und ich will Euch raten, meine Leute nicht noch mehr zu<lb/> reizen! Ihr habt gesehen, wie locker ihnen das Messer sitzt!</p><lb/> <p xml:id="ID_345"> Der Fremde beugte sein Haupt wie ein geschlagener Mann, der ohn¬<lb/> mächtig den Kampf gegen das Schicksal aufgiebt, und gleichgiltig und stumpf<lb/> setzte er sich auf das Hinterdeck und starrte gen Westen, lange noch, nachdem<lb/> die Nacht bereits hereingebrochen war.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0106]
Der Fremde in Rif.
In demselben Augenblicke stürzten der Schiffer und einige Leute herbei.
Sie wußten nicht, was vorgefallen war, sie sahen nur den Alten in wilder
Wut über den wehrlosen Portugiesen herfallen, und um diesen zu schützen,
bohrte einer der Engländer seinen Dolch in Thorbjörns Nacken; er stürzte
nieder und lag wie tot auf dem Verdeck.
Elender Kerl! Was hast du gethan! rief der Fremde dem Engländer zu,
warf sich neben dem Alten auf die Kniee, hob sein Haupt auf und legte es in
seinen Schoß. Nach einer Weile öffnete Thorbjörn die Augen, schöpfte tief
Atem, wie einer, der aus einem schweren Schlaf erwacht, und fagte: Jetzt ist
es aus mit mir, aber das ist auch wohl das Beste! Verzeiht mir, ich war
meiner selbst nicht mächtig! Hebt mich ein wenig höher, daß ich in die Ferne
schauen kann — ach nein, das hilft mir nicht, meine Augen sind umnebelt!
Er sank in Sir Doves Armen zusammen, und alle glaubten, daß er
bereits verschieden sei. Aber plötzlich schlug er die alten Augen noch einmal auf,
legte den Mund an das Ohr des Fremden und flüsterte mit Aufbietung seiner
letzten Kräfte: Das Land da drüben, mein Land, das ich nicht mehr erreichte,
es sei das deine! Hörst du? ich, Thorbjörn, schenke es dir.
Ein heftiger Krampf schüttelte den Körper des Alten, sein Kopf fiel
zurück — er war tot.
Der Fremde saß eine Weile regungslos da, tief ergriffen von allem, was
er gehört und erlebt hatte. Er bemerkte es nicht, daß der Schiffer Burlington
seinen Leuten Befehl gegeben hatte, zu wenden.
Da sprang er auf und rief: Seid Ihr von Sinnen! Wollt Ihr jetzt um¬
wenden, da das Land vor uns liegt!
Welches Land? fragte der Schiffer ruhig, ich sehe nichts!
Der Fremde wandte sich um. Tiefer Nebel lag über dem Meere, weit
und breit war nichts zu entdecken. Aber Ihr müßt es doch vorhin gesehen
haben, ebensogut wie ich und jeuer Abgeschiedene es sahen!
Wolkenbänke und schwimmende Eisberge sah ich! antwortete der Schiffer;
die könnt Ihr überall finden!
Ihr sollt wenden! Ihr sollt gen Westen steuern, schrie Sir Dove außer
sich vor Zorn. Ihr habt Euch dazu gegen reichliche Zahlung verpflichtet, und
ich habe ein Recht, es zu verlangen!
Ruhig, ruhig, guter Herr! Ich versprach, mich Euern Thorheiten zwei
Wochen zu fügen, ich legte aus freien Stücken drei Tage dazu. Jetzt aber
muß es genug sein, und ich will Euch raten, meine Leute nicht noch mehr zu
reizen! Ihr habt gesehen, wie locker ihnen das Messer sitzt!
Der Fremde beugte sein Haupt wie ein geschlagener Mann, der ohn¬
mächtig den Kampf gegen das Schicksal aufgiebt, und gleichgiltig und stumpf
setzte er sich auf das Hinterdeck und starrte gen Westen, lange noch, nachdem
die Nacht bereits hereingebrochen war.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |