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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Der Fremde in Rif,

Nein, so wahr mir Gott helfe! Ich Spotte nicht; mein Anerbieten ist
ehrlich gemeint. Wenn Ihr so denkt wie ich, dann fahren wir mit einander
gen Westen!

Thorbjörn vermochte vor innerer Bewegung kein Wort hervorzubringen.
Jetzt endlich winkte ihm die Verwirklichung der Träume, die er sein ganzes
Leben hindurch geträumt hatte! Er erfaßte die Hände des Fremden, preßte
sie heftig, warf sich an seine Brust und brach in krankhaftes Schluchzen aus.

An den nun folgenden Tagen hatte Sir Dove verschiedne Unterredungen
mit dem Schiffer Burlington; sie wanderten am Strande auf und ab, und aus
ihrem eifrigen Gespräch und den lebhaften Bewegungen konnte man leicht schließen,
daß Sir Dove den Schiffer zu etwas zu überreden suchte, worauf dieser an¬
scheinend ungern einging. Schließlich schien er jedoch einzuwilligen, sie wechselten
einen Handschlag mit einander, und von dem Augenblicke an herrschte auf dem
Schiffe ein ungewöhnlich reges Leben, das den Bewohnern des Dörfchens Stoff
zu allerlei Vermutungen gab, über dessen wahren Grund jedoch die Mannschaft
das geheimnisvollste Stillschweigen bewahrte.

Eine Art Lösung des Rätsels erhielt indessen der gute Sira John eines
Morgens, als er beim Erwachen sowohl Thorbjörn als auch seinen Gast ver¬
mißte, und statt seiner folgenden Zettel vorfand:


Ehrwürdiger Herr,

Eingetretene Umstände zwingen mich, früher als ich ursprünglich beabsichtigt
holte, Euer gastfreies Hans zu verlassen, worin ich so manche unvergeßlichen
Stunden verlebt habe. Euer alter Hausgenosse Thvrbjörn wird mich begleiten,
aber mit Gottes und der Heiligen Hilfe werden wir beide im Laufe des Sommers
nach Jngjaldshvl zurückkehren und, wenn alles nach Wunsch geht, Euch dann höchst
merkwürdige Neuigkeiten mitzuteilen haben. Für den Fall, daß es uns doch nicht
beschieden sein sollte, Island wiederzusehen, hinterlasse ich hier eine Börse mit
einigen Goldstücken, welche ich Euch als geringen Ersatz für das, was ich Euch
und Island verdanke, nnzuuchmen und nach Euerm Gutdünken zu verwenden bitte.


C. C.

Sira John drehte und wendete den Brief und las ihn wieder und
wieder, aber das Ganze war und blieb ihm ein Rätsel. Und nun gar die
Unterschrift -- wie in aller Welt kam nur Sir Dove dazu, seinen Nachnamen
durch ein C. zu bezeichnen? Er stand hier einem unlösbaren Geheimnis gegen¬
über, und die einzige Aufklärung, die ihm die Bewohner von Rif zu geben
vermochten, war, daß das englische Schiff mit der Flut unerwartet unter Segel
gegangen sei und seinen Luuf westwärts genommen habe.

Und westwärts segelte es sieben lange Tage über das schwarzgraue Meer
und seine langen, schwer dahinrollenden Wogen. Da meinte einer der Leute
im Norden Land zu erblicken, aber Thorbjörn nickte nur und hieß den Schiffer
von jetzt ab südwestlich steuern, denn dort muß das Land liegen, welches ich
suche, sagte er.


Der Fremde in Rif,

Nein, so wahr mir Gott helfe! Ich Spotte nicht; mein Anerbieten ist
ehrlich gemeint. Wenn Ihr so denkt wie ich, dann fahren wir mit einander
gen Westen!

Thorbjörn vermochte vor innerer Bewegung kein Wort hervorzubringen.
Jetzt endlich winkte ihm die Verwirklichung der Träume, die er sein ganzes
Leben hindurch geträumt hatte! Er erfaßte die Hände des Fremden, preßte
sie heftig, warf sich an seine Brust und brach in krankhaftes Schluchzen aus.

An den nun folgenden Tagen hatte Sir Dove verschiedne Unterredungen
mit dem Schiffer Burlington; sie wanderten am Strande auf und ab, und aus
ihrem eifrigen Gespräch und den lebhaften Bewegungen konnte man leicht schließen,
daß Sir Dove den Schiffer zu etwas zu überreden suchte, worauf dieser an¬
scheinend ungern einging. Schließlich schien er jedoch einzuwilligen, sie wechselten
einen Handschlag mit einander, und von dem Augenblicke an herrschte auf dem
Schiffe ein ungewöhnlich reges Leben, das den Bewohnern des Dörfchens Stoff
zu allerlei Vermutungen gab, über dessen wahren Grund jedoch die Mannschaft
das geheimnisvollste Stillschweigen bewahrte.

Eine Art Lösung des Rätsels erhielt indessen der gute Sira John eines
Morgens, als er beim Erwachen sowohl Thorbjörn als auch seinen Gast ver¬
mißte, und statt seiner folgenden Zettel vorfand:


Ehrwürdiger Herr,

Eingetretene Umstände zwingen mich, früher als ich ursprünglich beabsichtigt
holte, Euer gastfreies Hans zu verlassen, worin ich so manche unvergeßlichen
Stunden verlebt habe. Euer alter Hausgenosse Thvrbjörn wird mich begleiten,
aber mit Gottes und der Heiligen Hilfe werden wir beide im Laufe des Sommers
nach Jngjaldshvl zurückkehren und, wenn alles nach Wunsch geht, Euch dann höchst
merkwürdige Neuigkeiten mitzuteilen haben. Für den Fall, daß es uns doch nicht
beschieden sein sollte, Island wiederzusehen, hinterlasse ich hier eine Börse mit
einigen Goldstücken, welche ich Euch als geringen Ersatz für das, was ich Euch
und Island verdanke, nnzuuchmen und nach Euerm Gutdünken zu verwenden bitte.


C. C.

Sira John drehte und wendete den Brief und las ihn wieder und
wieder, aber das Ganze war und blieb ihm ein Rätsel. Und nun gar die
Unterschrift — wie in aller Welt kam nur Sir Dove dazu, seinen Nachnamen
durch ein C. zu bezeichnen? Er stand hier einem unlösbaren Geheimnis gegen¬
über, und die einzige Aufklärung, die ihm die Bewohner von Rif zu geben
vermochten, war, daß das englische Schiff mit der Flut unerwartet unter Segel
gegangen sei und seinen Luuf westwärts genommen habe.

Und westwärts segelte es sieben lange Tage über das schwarzgraue Meer
und seine langen, schwer dahinrollenden Wogen. Da meinte einer der Leute
im Norden Land zu erblicken, aber Thorbjörn nickte nur und hieß den Schiffer
von jetzt ab südwestlich steuern, denn dort muß das Land liegen, welches ich
suche, sagte er.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/104>, abgerufen am 23.07.2024.