Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

zu bewirken trachtete und infolge dessen die Schüler vor allem auf das Gebiet
der Grammatik, Logik, Mathematik ?e, führte, wich mit der Wende des Jahr¬
hunderts der historischen Forschung, deren Reichtum und Mannichfaltigkeit von
der gebildeten Welt sehr bald erkannt wurde und ein weites Gebiet für lite-
rarische, philologische und antiquarische Untersuchungen erschloß. Die jüngern
Gelehrten, befreit von dem verknöcherten Doktrinarismus der alten Schule,
warfen sich mit Begeisterung auf das Studium der antiken Welt. In alle
Fächer, nicht bloß in das philologische, sondern auch in das Gebiet der Philo¬
sophie, der Rechtswissenschaft und selbst der Theologie, drang der Geist der
neuen Richtung ein, wirkte belebend "ut erfrischend, förderte neue Anschauungen
zu Tage und verband sich mit der Kunst zu archäologischen oder kultur¬
geschichtlichen Forschungen. Es lag daher in der Natur der Dinge, daß die
Wertschätzung derjenigen beiden Sprachen sich außerordentlich steigern mußte,
welche als unentbehrliches Hilfsmittel für die Erschließung des wichtigsten
historischen Stoffes dienten. Die Kenntnis des Griechischen und Lateinischen
empfahl sich somit schon wegen ihrer praktischen Nützlichkeit. Einen noch stärkern
Anreiz zum Studium dieser Sprachen aber gab die sich immer mehr verbreitende
Meinung, daß ein Einleben in die Anschauungen und die Bildungsmittel des
klassischen Altertums eine" veredelnden Einfluß auch auf die moderne Gesellschaft
ausüben werde. Die erziehliche Wirkung, die man sich von diesen klassischen
Studien versprach, hatte in den Angen vieler einflußreichen Schulmänner noch
einen höhern Wert als die Ansammlung von Sprach- und Gcschichtsteuntnissen.
Die politischen Umgestaltungen, die Deutschland in den beiden ersten Jahrzehnten
des Jahrhunderts erfuhr und die fast überall eine neue Organisation des
Schulwesens nötig machten oder doch thatsächlich bewirkten, verschafften der
neuen Richtung umso leichter Eingang, als die Regierungen Preußens und
Baierns auf diesem Wege voranschrittcu. In Berlin, wo die Begründung der
Universität gerade einen neuen Mittelpunkt für die gelehrte Welt geschaffen
hatte, bildete sich unter Wolf und Schulze, ebenso in München unter Thiersch
ein Kreis begeisterter Anhänger des klassisch-philologischen Bildungswesens,
und der Antrieb, der von diesen Hauptstädten ausging, pflanzte sich bald
in deu kleinern Staaten fort. Auch die moderne Philosophie machte sich
zum Träger dieser mächtigen Zeitströmung. Fichte. .Hegel und Schelling
waren die begeisterten Verfechter des klassischen Studiums. Aber wie jeder
wissenschaftliche Streit durch das Hinzutreten schwärmerischer Kundgebungen
aus dem Gesichtskreise objektiver Beurteilung gerückt wird, so führte auch
damals der übertriebene Eifer der einen, die Neuerungssucht der andern
eine Spaltung der Meinungen herbei, die mit den Jahren immer bestimmter
hervortrat. Während nämlich ein Teil der Schulmänner und akademischen
Lehrer das altsprachliche Studium nur soweit befürwortete, als es dazu dienen
konnte, in den Geist des Altertums einzudringen und sich die Schätze seiner


zu bewirken trachtete und infolge dessen die Schüler vor allem auf das Gebiet
der Grammatik, Logik, Mathematik ?e, führte, wich mit der Wende des Jahr¬
hunderts der historischen Forschung, deren Reichtum und Mannichfaltigkeit von
der gebildeten Welt sehr bald erkannt wurde und ein weites Gebiet für lite-
rarische, philologische und antiquarische Untersuchungen erschloß. Die jüngern
Gelehrten, befreit von dem verknöcherten Doktrinarismus der alten Schule,
warfen sich mit Begeisterung auf das Studium der antiken Welt. In alle
Fächer, nicht bloß in das philologische, sondern auch in das Gebiet der Philo¬
sophie, der Rechtswissenschaft und selbst der Theologie, drang der Geist der
neuen Richtung ein, wirkte belebend »ut erfrischend, förderte neue Anschauungen
zu Tage und verband sich mit der Kunst zu archäologischen oder kultur¬
geschichtlichen Forschungen. Es lag daher in der Natur der Dinge, daß die
Wertschätzung derjenigen beiden Sprachen sich außerordentlich steigern mußte,
welche als unentbehrliches Hilfsmittel für die Erschließung des wichtigsten
historischen Stoffes dienten. Die Kenntnis des Griechischen und Lateinischen
empfahl sich somit schon wegen ihrer praktischen Nützlichkeit. Einen noch stärkern
Anreiz zum Studium dieser Sprachen aber gab die sich immer mehr verbreitende
Meinung, daß ein Einleben in die Anschauungen und die Bildungsmittel des
klassischen Altertums eine» veredelnden Einfluß auch auf die moderne Gesellschaft
ausüben werde. Die erziehliche Wirkung, die man sich von diesen klassischen
Studien versprach, hatte in den Angen vieler einflußreichen Schulmänner noch
einen höhern Wert als die Ansammlung von Sprach- und Gcschichtsteuntnissen.
Die politischen Umgestaltungen, die Deutschland in den beiden ersten Jahrzehnten
des Jahrhunderts erfuhr und die fast überall eine neue Organisation des
Schulwesens nötig machten oder doch thatsächlich bewirkten, verschafften der
neuen Richtung umso leichter Eingang, als die Regierungen Preußens und
Baierns auf diesem Wege voranschrittcu. In Berlin, wo die Begründung der
Universität gerade einen neuen Mittelpunkt für die gelehrte Welt geschaffen
hatte, bildete sich unter Wolf und Schulze, ebenso in München unter Thiersch
ein Kreis begeisterter Anhänger des klassisch-philologischen Bildungswesens,
und der Antrieb, der von diesen Hauptstädten ausging, pflanzte sich bald
in deu kleinern Staaten fort. Auch die moderne Philosophie machte sich
zum Träger dieser mächtigen Zeitströmung. Fichte. .Hegel und Schelling
waren die begeisterten Verfechter des klassischen Studiums. Aber wie jeder
wissenschaftliche Streit durch das Hinzutreten schwärmerischer Kundgebungen
aus dem Gesichtskreise objektiver Beurteilung gerückt wird, so führte auch
damals der übertriebene Eifer der einen, die Neuerungssucht der andern
eine Spaltung der Meinungen herbei, die mit den Jahren immer bestimmter
hervortrat. Während nämlich ein Teil der Schulmänner und akademischen
Lehrer das altsprachliche Studium nur soweit befürwortete, als es dazu dienen
konnte, in den Geist des Altertums einzudringen und sich die Schätze seiner


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0076" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/200181"/>
            <fw type="header" place="top"/><lb/>
            <p xml:id="ID_228" prev="#ID_227" next="#ID_229"> zu bewirken trachtete und infolge dessen die Schüler vor allem auf das Gebiet<lb/>
der Grammatik, Logik, Mathematik ?e, führte, wich mit der Wende des Jahr¬<lb/>
hunderts der historischen Forschung, deren Reichtum und Mannichfaltigkeit von<lb/>
der gebildeten Welt sehr bald erkannt wurde und ein weites Gebiet für lite-<lb/>
rarische, philologische und antiquarische Untersuchungen erschloß. Die jüngern<lb/>
Gelehrten, befreit von dem verknöcherten Doktrinarismus der alten Schule,<lb/>
warfen sich mit Begeisterung auf das Studium der antiken Welt. In alle<lb/>
Fächer, nicht bloß in das philologische, sondern auch in das Gebiet der Philo¬<lb/>
sophie, der Rechtswissenschaft und selbst der Theologie, drang der Geist der<lb/>
neuen Richtung ein, wirkte belebend »ut erfrischend, förderte neue Anschauungen<lb/>
zu Tage und verband sich mit der Kunst zu archäologischen oder kultur¬<lb/>
geschichtlichen Forschungen. Es lag daher in der Natur der Dinge, daß die<lb/>
Wertschätzung derjenigen beiden Sprachen sich außerordentlich steigern mußte,<lb/>
welche als unentbehrliches Hilfsmittel für die Erschließung des wichtigsten<lb/>
historischen Stoffes dienten. Die Kenntnis des Griechischen und Lateinischen<lb/>
empfahl sich somit schon wegen ihrer praktischen Nützlichkeit. Einen noch stärkern<lb/>
Anreiz zum Studium dieser Sprachen aber gab die sich immer mehr verbreitende<lb/>
Meinung, daß ein Einleben in die Anschauungen und die Bildungsmittel des<lb/>
klassischen Altertums eine» veredelnden Einfluß auch auf die moderne Gesellschaft<lb/>
ausüben werde. Die erziehliche Wirkung, die man sich von diesen klassischen<lb/>
Studien versprach, hatte in den Angen vieler einflußreichen Schulmänner noch<lb/>
einen höhern Wert als die Ansammlung von Sprach- und Gcschichtsteuntnissen.<lb/>
Die politischen Umgestaltungen, die Deutschland in den beiden ersten Jahrzehnten<lb/>
des Jahrhunderts erfuhr und die fast überall eine neue Organisation des<lb/>
Schulwesens nötig machten oder doch thatsächlich bewirkten, verschafften der<lb/>
neuen Richtung umso leichter Eingang, als die Regierungen Preußens und<lb/>
Baierns auf diesem Wege voranschrittcu. In Berlin, wo die Begründung der<lb/>
Universität gerade einen neuen Mittelpunkt für die gelehrte Welt geschaffen<lb/>
hatte, bildete sich unter Wolf und Schulze, ebenso in München unter Thiersch<lb/>
ein Kreis begeisterter Anhänger des klassisch-philologischen Bildungswesens,<lb/>
und der Antrieb, der von diesen Hauptstädten ausging, pflanzte sich bald<lb/>
in deu kleinern Staaten fort. Auch die moderne Philosophie machte sich<lb/>
zum Träger dieser mächtigen Zeitströmung. Fichte. .Hegel und Schelling<lb/>
waren die begeisterten Verfechter des klassischen Studiums. Aber wie jeder<lb/>
wissenschaftliche Streit durch das Hinzutreten schwärmerischer Kundgebungen<lb/>
aus dem Gesichtskreise objektiver Beurteilung gerückt wird, so führte auch<lb/>
damals der übertriebene Eifer der einen, die Neuerungssucht der andern<lb/>
eine Spaltung der Meinungen herbei, die mit den Jahren immer bestimmter<lb/>
hervortrat. Während nämlich ein Teil der Schulmänner und akademischen<lb/>
Lehrer das altsprachliche Studium nur soweit befürwortete, als es dazu dienen<lb/>
konnte, in den Geist des Altertums einzudringen und sich die Schätze seiner</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0076] zu bewirken trachtete und infolge dessen die Schüler vor allem auf das Gebiet der Grammatik, Logik, Mathematik ?e, führte, wich mit der Wende des Jahr¬ hunderts der historischen Forschung, deren Reichtum und Mannichfaltigkeit von der gebildeten Welt sehr bald erkannt wurde und ein weites Gebiet für lite- rarische, philologische und antiquarische Untersuchungen erschloß. Die jüngern Gelehrten, befreit von dem verknöcherten Doktrinarismus der alten Schule, warfen sich mit Begeisterung auf das Studium der antiken Welt. In alle Fächer, nicht bloß in das philologische, sondern auch in das Gebiet der Philo¬ sophie, der Rechtswissenschaft und selbst der Theologie, drang der Geist der neuen Richtung ein, wirkte belebend »ut erfrischend, förderte neue Anschauungen zu Tage und verband sich mit der Kunst zu archäologischen oder kultur¬ geschichtlichen Forschungen. Es lag daher in der Natur der Dinge, daß die Wertschätzung derjenigen beiden Sprachen sich außerordentlich steigern mußte, welche als unentbehrliches Hilfsmittel für die Erschließung des wichtigsten historischen Stoffes dienten. Die Kenntnis des Griechischen und Lateinischen empfahl sich somit schon wegen ihrer praktischen Nützlichkeit. Einen noch stärkern Anreiz zum Studium dieser Sprachen aber gab die sich immer mehr verbreitende Meinung, daß ein Einleben in die Anschauungen und die Bildungsmittel des klassischen Altertums eine» veredelnden Einfluß auch auf die moderne Gesellschaft ausüben werde. Die erziehliche Wirkung, die man sich von diesen klassischen Studien versprach, hatte in den Angen vieler einflußreichen Schulmänner noch einen höhern Wert als die Ansammlung von Sprach- und Gcschichtsteuntnissen. Die politischen Umgestaltungen, die Deutschland in den beiden ersten Jahrzehnten des Jahrhunderts erfuhr und die fast überall eine neue Organisation des Schulwesens nötig machten oder doch thatsächlich bewirkten, verschafften der neuen Richtung umso leichter Eingang, als die Regierungen Preußens und Baierns auf diesem Wege voranschrittcu. In Berlin, wo die Begründung der Universität gerade einen neuen Mittelpunkt für die gelehrte Welt geschaffen hatte, bildete sich unter Wolf und Schulze, ebenso in München unter Thiersch ein Kreis begeisterter Anhänger des klassisch-philologischen Bildungswesens, und der Antrieb, der von diesen Hauptstädten ausging, pflanzte sich bald in deu kleinern Staaten fort. Auch die moderne Philosophie machte sich zum Träger dieser mächtigen Zeitströmung. Fichte. .Hegel und Schelling waren die begeisterten Verfechter des klassischen Studiums. Aber wie jeder wissenschaftliche Streit durch das Hinzutreten schwärmerischer Kundgebungen aus dem Gesichtskreise objektiver Beurteilung gerückt wird, so führte auch damals der übertriebene Eifer der einen, die Neuerungssucht der andern eine Spaltung der Meinungen herbei, die mit den Jahren immer bestimmter hervortrat. Während nämlich ein Teil der Schulmänner und akademischen Lehrer das altsprachliche Studium nur soweit befürwortete, als es dazu dienen konnte, in den Geist des Altertums einzudringen und sich die Schätze seiner

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/76
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/76>, abgerufen am 01.10.2024.