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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Sind die deutschen Gewerkvereine politische vereine?

in wahrem umfassenden Sinne, hauptsächlich nach der wirtschaftlich-sozialen Seite.
Damit haben Sie in möglichst kurzen Zügen das Wesen und die Ziele der deut¬
schen Gewerkvereine. Sie ersehen daraus, daß es sich nicht um Kleines handelt,
sondern um eine an Umfang wie an Inhalt gleich großartige Organisation, welche
alle Hauptseiten der Arbeiterfrage in Angriff nimmt .... und insbesondere die
Ergänzung und Förderung der genossenschaftlichen Selbsthilfe durch die Gesetz¬
gebung anstrebt.

Besonders charakteristisch für die politische Stellung der Gewerkvereine und
das wenn auch vergebliche Bestreben, den politischen Charakter derselben zu
verhüllen, ist folgende Stelle S. 30:

Nach dieser sachlichen Darlegung werden Sie es nun wohl begreifen, weshalb
zwar nicht die Gewerkvereine -- die als solche laut Statut und strenger Praxis
keine Politik treiben, sonst wären sie doch gewiß schon längst dem Vereinsgesetz
zufolge aufgelöst! --, wohl aber die Mehrzahl ihrer Mitglieder bei den Wahlen
mit der Fortschrittspartei gegangen ist. Diese stand eben ihren politischen und
auch sozialen Ueberzeugungen am nächsten; für die Sozialdemokraten konnten und
können wir schon wegen der tiefgehenden Unterschiede in den Grundanschauungen
nicht stimmen, und noch weniger für Parteien, welche nicht nur wie die Sozia-
listen der freien Persönlichkeit und Selbstbestimmung, sondern mich der politischen,
gewerblichen und sozialen Gleichberechtigung der Arbeiter entgegenstehen und sie
mit immer neuen Steuern belasten. Daß aber die Gewerkvereiner mit der deutsch-
freisinnigen Partei keineswegs dnrch dick und dlluu gehen, erhellt u. a unwider-
leglich aus ihrer Stellung zum Arbeiterschutz, da unsre gesamte Organisation
unter Führung des Urwalds energisch das gänzliche Verbot der Kinderarbeit und
den zehnstündiger Maximalarbcitstag nebst Verbot der Sonntags- und Nachtarbeit
für die Arbeiterinnen fordert. Anderseits ist es nur zu bekannt, daß eine Rich¬
tung innerhalb der Fortschritts- und deutsch-freisinnigen Partei schon seit 1868
den Gcwerkvcreinen nur geringe Sympathie zollt und nichts für deren Förderung
gethan hat. Wer solchen langjährigen Thatsachen gegenüber noch jetzt die deut¬
schen Gewerkvereine als Anhängsel einer politischen Partei hinstellt, der ist ein
verleumderischer Denunziant.

Hier wird also in einem Atem politische Selbständigkeit für die Gewerk¬
vereine beansprucht und gleichwohl ihr politischer Charakter mit der sophistischen
Erklärung, daß nicht die Gewerkvereine, sondern mir die Gewerkvereiner Politik
trieben, abgeleugnet!

Weiter wird dann S. 42 den Gewerkvereinen das Verdienst zugeschrieben,
zuerst und in wirksamster Weise den freien, national-geeinten Kranken- und
Begräbniskassen die Bahn gebrochen zu haben -- sowohl praktisch durch die
Begründung, solide Verwaltung und Vervollkommnung solcher Kassen seit 1869,
als auch gesetzgeberisch und juristisch durch die in unaufhörlichem Kampfe er¬
rungene und behauptete Duldung, dann sogar Anerkennung der früher gänzlich
verbotenen freien Kassen (mittels des "hauptsächlich durch die Bemühungen des
Vcrbandsanwalts erkämpften Hilfskassengesetzes von 1876").

Endlich bildet der Verband -- so heißt es gegen Schluß (S. K6) der
Schrift -- die Vertretung der Gesamtinteressen nach anßen, vor allem bei der


Sind die deutschen Gewerkvereine politische vereine?

in wahrem umfassenden Sinne, hauptsächlich nach der wirtschaftlich-sozialen Seite.
Damit haben Sie in möglichst kurzen Zügen das Wesen und die Ziele der deut¬
schen Gewerkvereine. Sie ersehen daraus, daß es sich nicht um Kleines handelt,
sondern um eine an Umfang wie an Inhalt gleich großartige Organisation, welche
alle Hauptseiten der Arbeiterfrage in Angriff nimmt .... und insbesondere die
Ergänzung und Förderung der genossenschaftlichen Selbsthilfe durch die Gesetz¬
gebung anstrebt.

Besonders charakteristisch für die politische Stellung der Gewerkvereine und
das wenn auch vergebliche Bestreben, den politischen Charakter derselben zu
verhüllen, ist folgende Stelle S. 30:

Nach dieser sachlichen Darlegung werden Sie es nun wohl begreifen, weshalb
zwar nicht die Gewerkvereine — die als solche laut Statut und strenger Praxis
keine Politik treiben, sonst wären sie doch gewiß schon längst dem Vereinsgesetz
zufolge aufgelöst! —, wohl aber die Mehrzahl ihrer Mitglieder bei den Wahlen
mit der Fortschrittspartei gegangen ist. Diese stand eben ihren politischen und
auch sozialen Ueberzeugungen am nächsten; für die Sozialdemokraten konnten und
können wir schon wegen der tiefgehenden Unterschiede in den Grundanschauungen
nicht stimmen, und noch weniger für Parteien, welche nicht nur wie die Sozia-
listen der freien Persönlichkeit und Selbstbestimmung, sondern mich der politischen,
gewerblichen und sozialen Gleichberechtigung der Arbeiter entgegenstehen und sie
mit immer neuen Steuern belasten. Daß aber die Gewerkvereiner mit der deutsch-
freisinnigen Partei keineswegs dnrch dick und dlluu gehen, erhellt u. a unwider-
leglich aus ihrer Stellung zum Arbeiterschutz, da unsre gesamte Organisation
unter Führung des Urwalds energisch das gänzliche Verbot der Kinderarbeit und
den zehnstündiger Maximalarbcitstag nebst Verbot der Sonntags- und Nachtarbeit
für die Arbeiterinnen fordert. Anderseits ist es nur zu bekannt, daß eine Rich¬
tung innerhalb der Fortschritts- und deutsch-freisinnigen Partei schon seit 1868
den Gcwerkvcreinen nur geringe Sympathie zollt und nichts für deren Förderung
gethan hat. Wer solchen langjährigen Thatsachen gegenüber noch jetzt die deut¬
schen Gewerkvereine als Anhängsel einer politischen Partei hinstellt, der ist ein
verleumderischer Denunziant.

Hier wird also in einem Atem politische Selbständigkeit für die Gewerk¬
vereine beansprucht und gleichwohl ihr politischer Charakter mit der sophistischen
Erklärung, daß nicht die Gewerkvereine, sondern mir die Gewerkvereiner Politik
trieben, abgeleugnet!

Weiter wird dann S. 42 den Gewerkvereinen das Verdienst zugeschrieben,
zuerst und in wirksamster Weise den freien, national-geeinten Kranken- und
Begräbniskassen die Bahn gebrochen zu haben — sowohl praktisch durch die
Begründung, solide Verwaltung und Vervollkommnung solcher Kassen seit 1869,
als auch gesetzgeberisch und juristisch durch die in unaufhörlichem Kampfe er¬
rungene und behauptete Duldung, dann sogar Anerkennung der früher gänzlich
verbotenen freien Kassen (mittels des „hauptsächlich durch die Bemühungen des
Vcrbandsanwalts erkämpften Hilfskassengesetzes von 1876").

Endlich bildet der Verband — so heißt es gegen Schluß (S. K6) der
Schrift — die Vertretung der Gesamtinteressen nach anßen, vor allem bei der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/68>, abgerufen am 23.12.2024.