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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Jngendorinnerungen.

kam er doch nicht. Und wirklich hat er bis zu seinem spät erfolgten Tode
-- er überlebte meinen Vater um mehrere Jahre -- das ihm liebgewordene
Lenden auf keinen Tag verlasse".

Die Wohnstätte dieses Onkels sollte das Ziel meiner ersten größeren Reise
sein. Der Vater schrieb dem Bruder, meldete sein Kommen an, erhielt aber
wie gewöhnlich keine Antwort. Das war jedoch kein Grund, die Reise aufzu¬
geben, die denn auch wirklich an einem Morgen bald nach Pfingsten angetreten
wurde. Die Eltern bestiegen mit uns eine Kutsche von sehr zweifelhafter Halt¬
barkeit, deren schadhafte Lederbedachung immer auf- und niederklappte, während
die Speichen in den weifenden Rädern seufzten und stöhnten und in den Felgen
sich bedenkliche Nisse zeigten. Dies vorzügliche Fuhrwerk hatte der Vater, aus
welchem Grunde mag Gott wissen, auf eiuer Auktion an sich gebracht. Da es
nun schon geraume Zeit unbenutzt in einem Schuppen gestanden und hier jeden¬
falls an Schönheit nicht zugenommen harte, so sollte jetzt seine Brauchbarkeit
erprobt werden. Ein vortreffliches Gespann lieferte der Gerichtsmann, der acht
schöne Füchse sein eigen nannte, und damit Vieh und Menschen samt der
Pfarrkutsche kein Unfall zustoße, beschloß der wackere und vorsichtige Manu, in
eigner Person die Zügel zu führen.

Mittels Stricken wurde den wackelnden Speichen größere Festigkeit ge¬
geben und sonstigen kleinen Mängeln durch Nägel und Hammer abgeholfen.
Dann erklärte unser Wagenlenker den Wagen für brauchbar, und wir schachtelten
uns jubelnd darin ein. David warf den Schlag zu und erstieg mit der Be¬
merkung den Kutschcrbock: Wir werden was stäte (langsam) fahren, Herr
Magister, da bleibt das liebe Vieh bei Kräften, und die Kutsche leidet auch keinen
Schaden.

Und wir fuhren fente, so stäte, daß jede Stunde Weges genau innerhalb
von sechzig Minuten zurückgelegt ward und mancher Fußgänger uns überholte.
Das störte aber nicht; wir drei Geschwister wenigstens, die wir des Glückes
teilhaftig wurden, die Eltern begleiten zu dürfen, waren überselig und vertrieben
uns, so lange wir in bekannten Gegenden blieben, durch lautes, fröhliches Singen
die Zeit.

Da wir auf diesem ersten Ausfluge ein Stück Welt sehen sollten, entwarf
der Vater einen interessanten Reiseplan, der freilich in Anbetracht der Zeit, die
uns zu Gebote stand, und weil die Mutter nebst unsrer jünger" Schwester nur
drei Tage vom Hause entfernt bleiben sollte, kein sehr umfassender sein konnte.
Unser Weg führte zunächst nach Böhmen, dein romantischen Berglande, das
uns Tag für Tag nahe vor Augen lag. Als erster Halteplatz war das ge¬
schichtlich berühmte Friedland mit seinem hochragenden, noch wohlerhaltcnett
Schlosse bezeichnet, von welchem der gefürchtete kaiserliche Heerführer im dreißig¬
jährigen Kriege, Waldstein, den Herzogtitel führte. Das lebhafte, höchst ma¬
lerisch an den Ufern der tosenden Wittiche gelegene böhmische Laudstädtch^


Jngendorinnerungen.

kam er doch nicht. Und wirklich hat er bis zu seinem spät erfolgten Tode
— er überlebte meinen Vater um mehrere Jahre — das ihm liebgewordene
Lenden auf keinen Tag verlasse».

Die Wohnstätte dieses Onkels sollte das Ziel meiner ersten größeren Reise
sein. Der Vater schrieb dem Bruder, meldete sein Kommen an, erhielt aber
wie gewöhnlich keine Antwort. Das war jedoch kein Grund, die Reise aufzu¬
geben, die denn auch wirklich an einem Morgen bald nach Pfingsten angetreten
wurde. Die Eltern bestiegen mit uns eine Kutsche von sehr zweifelhafter Halt¬
barkeit, deren schadhafte Lederbedachung immer auf- und niederklappte, während
die Speichen in den weifenden Rädern seufzten und stöhnten und in den Felgen
sich bedenkliche Nisse zeigten. Dies vorzügliche Fuhrwerk hatte der Vater, aus
welchem Grunde mag Gott wissen, auf eiuer Auktion an sich gebracht. Da es
nun schon geraume Zeit unbenutzt in einem Schuppen gestanden und hier jeden¬
falls an Schönheit nicht zugenommen harte, so sollte jetzt seine Brauchbarkeit
erprobt werden. Ein vortreffliches Gespann lieferte der Gerichtsmann, der acht
schöne Füchse sein eigen nannte, und damit Vieh und Menschen samt der
Pfarrkutsche kein Unfall zustoße, beschloß der wackere und vorsichtige Manu, in
eigner Person die Zügel zu führen.

Mittels Stricken wurde den wackelnden Speichen größere Festigkeit ge¬
geben und sonstigen kleinen Mängeln durch Nägel und Hammer abgeholfen.
Dann erklärte unser Wagenlenker den Wagen für brauchbar, und wir schachtelten
uns jubelnd darin ein. David warf den Schlag zu und erstieg mit der Be¬
merkung den Kutschcrbock: Wir werden was stäte (langsam) fahren, Herr
Magister, da bleibt das liebe Vieh bei Kräften, und die Kutsche leidet auch keinen
Schaden.

Und wir fuhren fente, so stäte, daß jede Stunde Weges genau innerhalb
von sechzig Minuten zurückgelegt ward und mancher Fußgänger uns überholte.
Das störte aber nicht; wir drei Geschwister wenigstens, die wir des Glückes
teilhaftig wurden, die Eltern begleiten zu dürfen, waren überselig und vertrieben
uns, so lange wir in bekannten Gegenden blieben, durch lautes, fröhliches Singen
die Zeit.

Da wir auf diesem ersten Ausfluge ein Stück Welt sehen sollten, entwarf
der Vater einen interessanten Reiseplan, der freilich in Anbetracht der Zeit, die
uns zu Gebote stand, und weil die Mutter nebst unsrer jünger» Schwester nur
drei Tage vom Hause entfernt bleiben sollte, kein sehr umfassender sein konnte.
Unser Weg führte zunächst nach Böhmen, dein romantischen Berglande, das
uns Tag für Tag nahe vor Augen lag. Als erster Halteplatz war das ge¬
schichtlich berühmte Friedland mit seinem hochragenden, noch wohlerhaltcnett
Schlosse bezeichnet, von welchem der gefürchtete kaiserliche Heerführer im dreißig¬
jährigen Kriege, Waldstein, den Herzogtitel führte. Das lebhafte, höchst ma¬
lerisch an den Ufern der tosenden Wittiche gelegene böhmische Laudstädtch^


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[0656] Jngendorinnerungen. kam er doch nicht. Und wirklich hat er bis zu seinem spät erfolgten Tode — er überlebte meinen Vater um mehrere Jahre — das ihm liebgewordene Lenden auf keinen Tag verlasse». Die Wohnstätte dieses Onkels sollte das Ziel meiner ersten größeren Reise sein. Der Vater schrieb dem Bruder, meldete sein Kommen an, erhielt aber wie gewöhnlich keine Antwort. Das war jedoch kein Grund, die Reise aufzu¬ geben, die denn auch wirklich an einem Morgen bald nach Pfingsten angetreten wurde. Die Eltern bestiegen mit uns eine Kutsche von sehr zweifelhafter Halt¬ barkeit, deren schadhafte Lederbedachung immer auf- und niederklappte, während die Speichen in den weifenden Rädern seufzten und stöhnten und in den Felgen sich bedenkliche Nisse zeigten. Dies vorzügliche Fuhrwerk hatte der Vater, aus welchem Grunde mag Gott wissen, auf eiuer Auktion an sich gebracht. Da es nun schon geraume Zeit unbenutzt in einem Schuppen gestanden und hier jeden¬ falls an Schönheit nicht zugenommen harte, so sollte jetzt seine Brauchbarkeit erprobt werden. Ein vortreffliches Gespann lieferte der Gerichtsmann, der acht schöne Füchse sein eigen nannte, und damit Vieh und Menschen samt der Pfarrkutsche kein Unfall zustoße, beschloß der wackere und vorsichtige Manu, in eigner Person die Zügel zu führen. Mittels Stricken wurde den wackelnden Speichen größere Festigkeit ge¬ geben und sonstigen kleinen Mängeln durch Nägel und Hammer abgeholfen. Dann erklärte unser Wagenlenker den Wagen für brauchbar, und wir schachtelten uns jubelnd darin ein. David warf den Schlag zu und erstieg mit der Be¬ merkung den Kutschcrbock: Wir werden was stäte (langsam) fahren, Herr Magister, da bleibt das liebe Vieh bei Kräften, und die Kutsche leidet auch keinen Schaden. Und wir fuhren fente, so stäte, daß jede Stunde Weges genau innerhalb von sechzig Minuten zurückgelegt ward und mancher Fußgänger uns überholte. Das störte aber nicht; wir drei Geschwister wenigstens, die wir des Glückes teilhaftig wurden, die Eltern begleiten zu dürfen, waren überselig und vertrieben uns, so lange wir in bekannten Gegenden blieben, durch lautes, fröhliches Singen die Zeit. Da wir auf diesem ersten Ausfluge ein Stück Welt sehen sollten, entwarf der Vater einen interessanten Reiseplan, der freilich in Anbetracht der Zeit, die uns zu Gebote stand, und weil die Mutter nebst unsrer jünger» Schwester nur drei Tage vom Hause entfernt bleiben sollte, kein sehr umfassender sein konnte. Unser Weg führte zunächst nach Böhmen, dein romantischen Berglande, das uns Tag für Tag nahe vor Augen lag. Als erster Halteplatz war das ge¬ schichtlich berühmte Friedland mit seinem hochragenden, noch wohlerhaltcnett Schlosse bezeichnet, von welchem der gefürchtete kaiserliche Heerführer im dreißig¬ jährigen Kriege, Waldstein, den Herzogtitel führte. Das lebhafte, höchst ma¬ lerisch an den Ufern der tosenden Wittiche gelegene böhmische Laudstädtch^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/656>, abgerufen am 01.10.2024.