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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Jugenderinnerungen.
von Ernst Willkomm. (Fortsetzung.)

le angenehme Einrichtung der Gegenwart, anch Geistlichen eine
kurze Zeit der Erholung zu gönnen, war in meinem Geburts-
lande unbekannt. Für Prediger und Schullehrer -- nur das
Gymnasium in Zitten machte eine Ausnahme -- gab es im
ganzen Jahre keine Ferien. Die Geistlichen in der Stadt konnten
sich gegenseitig unterstützen, wenn sie gute Kameradschaft hielten. Der Land-
Prediger dagegen war sehr übel daran, da er derjenigen Amtshandlungen wegen,
die, wie Trauungen, Taufen und Kommunionen, nur von ordinirten Geistlichen
verrichtet werden konnten, stets fest an seine Gemeinde gekettet blieb. Waren
auch benachbarte Pastoren erbötig, für die eine oder andre Amtshandlung ein¬
zutreten, so reichte doch der gute Wille allein nicht dazu hiu, da sie von den¬
selben Pflichten in ihren Gemeinden festgehalten wurden, und die Entfernungen,
welche zu Fuß zurückgelegt werden mußten, sehr groß waren.

Körperliche Bewegung war dem Vater bei seiner starken Leibesbeschaffenheit
Bedürfnis, weshalb er gern über Land ging, die nächst gelegenen Berge erstieg
oder befreundete Amtsbruder auf den Nachbardörfern besuchte. Zu solchen
kleinen Ausflügen reichte gewöhnlich ein Nachmittag hin, wenn es auch vor der
Heimkehr am Abend schon stark dunkelte. Sobald wir beiden ältesten Brüder
-- später schlössen sich uns noch zwei jüngere Geschwister an -- genng heran¬
gewachsen waren, um uns an Fußwanderungen von einigen Stunden beteiligen
zu können, waren wir des Vaters stete Begleiter. Wir kannten bald alle
Pastorenfainilien in der Umgegend von drei bis vier Stunde" und traten mit
einigen gleichalterigen Pastorensöhnen in ein kameradschaftliches Verhältnis.
Weit mehr Reiz aber als solche Besuche in der Nachbarschaft hatten die Aus-




Jugenderinnerungen.
von Ernst Willkomm. (Fortsetzung.)

le angenehme Einrichtung der Gegenwart, anch Geistlichen eine
kurze Zeit der Erholung zu gönnen, war in meinem Geburts-
lande unbekannt. Für Prediger und Schullehrer — nur das
Gymnasium in Zitten machte eine Ausnahme — gab es im
ganzen Jahre keine Ferien. Die Geistlichen in der Stadt konnten
sich gegenseitig unterstützen, wenn sie gute Kameradschaft hielten. Der Land-
Prediger dagegen war sehr übel daran, da er derjenigen Amtshandlungen wegen,
die, wie Trauungen, Taufen und Kommunionen, nur von ordinirten Geistlichen
verrichtet werden konnten, stets fest an seine Gemeinde gekettet blieb. Waren
auch benachbarte Pastoren erbötig, für die eine oder andre Amtshandlung ein¬
zutreten, so reichte doch der gute Wille allein nicht dazu hiu, da sie von den¬
selben Pflichten in ihren Gemeinden festgehalten wurden, und die Entfernungen,
welche zu Fuß zurückgelegt werden mußten, sehr groß waren.

Körperliche Bewegung war dem Vater bei seiner starken Leibesbeschaffenheit
Bedürfnis, weshalb er gern über Land ging, die nächst gelegenen Berge erstieg
oder befreundete Amtsbruder auf den Nachbardörfern besuchte. Zu solchen
kleinen Ausflügen reichte gewöhnlich ein Nachmittag hin, wenn es auch vor der
Heimkehr am Abend schon stark dunkelte. Sobald wir beiden ältesten Brüder
— später schlössen sich uns noch zwei jüngere Geschwister an — genng heran¬
gewachsen waren, um uns an Fußwanderungen von einigen Stunden beteiligen
zu können, waren wir des Vaters stete Begleiter. Wir kannten bald alle
Pastorenfainilien in der Umgegend von drei bis vier Stunde» und traten mit
einigen gleichalterigen Pastorensöhnen in ein kameradschaftliches Verhältnis.
Weit mehr Reiz aber als solche Besuche in der Nachbarschaft hatten die Aus-


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[0654] [Abbildung] Jugenderinnerungen. von Ernst Willkomm. (Fortsetzung.) le angenehme Einrichtung der Gegenwart, anch Geistlichen eine kurze Zeit der Erholung zu gönnen, war in meinem Geburts- lande unbekannt. Für Prediger und Schullehrer — nur das Gymnasium in Zitten machte eine Ausnahme — gab es im ganzen Jahre keine Ferien. Die Geistlichen in der Stadt konnten sich gegenseitig unterstützen, wenn sie gute Kameradschaft hielten. Der Land- Prediger dagegen war sehr übel daran, da er derjenigen Amtshandlungen wegen, die, wie Trauungen, Taufen und Kommunionen, nur von ordinirten Geistlichen verrichtet werden konnten, stets fest an seine Gemeinde gekettet blieb. Waren auch benachbarte Pastoren erbötig, für die eine oder andre Amtshandlung ein¬ zutreten, so reichte doch der gute Wille allein nicht dazu hiu, da sie von den¬ selben Pflichten in ihren Gemeinden festgehalten wurden, und die Entfernungen, welche zu Fuß zurückgelegt werden mußten, sehr groß waren. Körperliche Bewegung war dem Vater bei seiner starken Leibesbeschaffenheit Bedürfnis, weshalb er gern über Land ging, die nächst gelegenen Berge erstieg oder befreundete Amtsbruder auf den Nachbardörfern besuchte. Zu solchen kleinen Ausflügen reichte gewöhnlich ein Nachmittag hin, wenn es auch vor der Heimkehr am Abend schon stark dunkelte. Sobald wir beiden ältesten Brüder — später schlössen sich uns noch zwei jüngere Geschwister an — genng heran¬ gewachsen waren, um uns an Fußwanderungen von einigen Stunden beteiligen zu können, waren wir des Vaters stete Begleiter. Wir kannten bald alle Pastorenfainilien in der Umgegend von drei bis vier Stunde» und traten mit einigen gleichalterigen Pastorensöhnen in ein kameradschaftliches Verhältnis. Weit mehr Reiz aber als solche Besuche in der Nachbarschaft hatten die Aus-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/654>, abgerufen am 22.12.2024.