Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.Ein Brief aus Indien führt das weiter aus: "Es liegt in dem Lebensgeftthl Die trübe Stimmung, die ihn vor seiner Abreise beherrscht hatte, kenn¬ Ein Brief aus Indien führt das weiter aus: „Es liegt in dem Lebensgeftthl Die trübe Stimmung, die ihn vor seiner Abreise beherrscht hatte, kenn¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0651" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/200756"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_2045" prev="#ID_2044"> Ein Brief aus Indien führt das weiter aus: „Es liegt in dem Lebensgeftthl<lb/> und Bedürfnis jedes denkende» Menschen, daß er sich einer Aufgabe bewußt<lb/> ist, die er in der ihm zugemessenen Zeit zu lösen hat. Nun wohl, ich hoffe<lb/> und glaube, daß diejenige, welche ich in mir fühle, nicht Eigensinn oder selbst¬<lb/> erfundene Vorspiegelung ist, sondern innerliche Wahrheit. Die standhafte Liebe<lb/> für den Orient, die mir ins Herz gepflanzt ist, bürgt dafür."</p><lb/> <p xml:id="ID_2046" next="#ID_2047"> Die trübe Stimmung, die ihn vor seiner Abreise beherrscht hatte, kenn¬<lb/> zeichnen Einträge in sein Tagebuch: „Wenn alles in Trümmern liegt, so ist<lb/> im tiefsten Seeleuwinkel noch ein Stück Eigenleben übrig, das selbständig aus¬<lb/> gelebt sein will. Das fühle ich jetzt." — „Sich selbst treu bleiben. Das ist<lb/> a^s!" — „Jedes Bild braucht einen Hintergrund. So braucht das Leben den<lb/> Tod." Dem Professor Goldstücker meldet er aus Indien: „Anschauung und<lb/> Erfahrung wachsen täglich, doch wandere ich noch immer nach unbewußten<lb/> Zielen. Es ist jetzt nicht mehr allein die Sehnsucht und die Begeisterung, die<lb/> mich weiter treibt, sondern zumeist Vorsatz und Wille." Aus Delhi sendet er<lb/> ihm endlich die Freudenbotschaft: „Inmitten meiner Schwäche und Mutlosigkeit<lb/> ist mir innerlich ein Etwas in Erscheinung getreten, das mich gleichzeitig er¬<lb/> schreckt und beglückt. Lassen Sie sich erzählen: Als ich im vorigen Jahre in<lb/> der Madras« von Calcutta bei meinem Freunde Blochmann saß und jener vor¬<lb/> treffliche Mann mir über den Kaiser Akbar Auskunft gab, da empfand ich, wie<lb/> Goethe es ausdrückt, daß das Beste, was wir von der Geschichte haben, der<lb/> Enthusiasmus ist, den sie in uns erregt. Denn auf meiner Wanderung durch<lb/> das nördliche Indien fand ich allerorten die Spuren von Akbars Thätigkeit<lb/> und die Folgen seines Wirkens, mochte es in den großen Bauten sein, die er<lb/> errichtet hat, oder in den Überlieferungen seiner gewaltigen Kriegsthaten, oder<lb/> in der weisen Anordnung der Staatsverhältnisse. Sollte dies mir nicht einen<lb/> willkommenen Anstoß geben zu einer eingehenden Beschäftigung mit dem Leben<lb/> dieses herrlichen Mannes und dem Einflüsse, welchen er auf sein Zeitalter aus¬<lb/> geübt hat? Wäre die Lebensgeschichte dieses Mannes, wie sie aus der Ge¬<lb/> schichte überhaupt hervorgewachsen ist, nicht der richtige Zielpunkt, in welchem<lb/> sich alle meine bisherigen planlosen Vorbereitungsstudicn zusammenschließen<lb/> könnten, und würde durch diesen Anschluß nicht der unverstandene Drang, dem<lb/> ich bis jetzt folgte, zweckdienliches Mittel und der ziellose Instinkt, der mich<lb/> trieb, zur vernünftig-bewußten Bestrebung werden? Würde diese Idee nicht<lb/> meine Gedanken aus dem Chaos lösen und meinem Geiste Ordnung und Ruhe<lb/> geben? Lieber Herr Professor, was sagen Sie? Ist es eine Vermessenheit<lb/> von mir, solche Gedanken zu hegen, oder können Sie mir Hoffnung geben?"<lb/> Auch der Königin Karoline deutet er an, daß er endlich eine Arbeit gefunden<lb/> habe, die für seine Lebenszeit genügen werde: „Es ist mir ein Plan im Kopfe<lb/> lebendig geworden, der mein ganzes Streben in einen Nahmen zusammenfassen<lb/> würde." Die immer mehr zunehmende Klarheit und Festigkeit dieser Überzeugung</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0651]
Ein Brief aus Indien führt das weiter aus: „Es liegt in dem Lebensgeftthl
und Bedürfnis jedes denkende» Menschen, daß er sich einer Aufgabe bewußt
ist, die er in der ihm zugemessenen Zeit zu lösen hat. Nun wohl, ich hoffe
und glaube, daß diejenige, welche ich in mir fühle, nicht Eigensinn oder selbst¬
erfundene Vorspiegelung ist, sondern innerliche Wahrheit. Die standhafte Liebe
für den Orient, die mir ins Herz gepflanzt ist, bürgt dafür."
Die trübe Stimmung, die ihn vor seiner Abreise beherrscht hatte, kenn¬
zeichnen Einträge in sein Tagebuch: „Wenn alles in Trümmern liegt, so ist
im tiefsten Seeleuwinkel noch ein Stück Eigenleben übrig, das selbständig aus¬
gelebt sein will. Das fühle ich jetzt." — „Sich selbst treu bleiben. Das ist
a^s!" — „Jedes Bild braucht einen Hintergrund. So braucht das Leben den
Tod." Dem Professor Goldstücker meldet er aus Indien: „Anschauung und
Erfahrung wachsen täglich, doch wandere ich noch immer nach unbewußten
Zielen. Es ist jetzt nicht mehr allein die Sehnsucht und die Begeisterung, die
mich weiter treibt, sondern zumeist Vorsatz und Wille." Aus Delhi sendet er
ihm endlich die Freudenbotschaft: „Inmitten meiner Schwäche und Mutlosigkeit
ist mir innerlich ein Etwas in Erscheinung getreten, das mich gleichzeitig er¬
schreckt und beglückt. Lassen Sie sich erzählen: Als ich im vorigen Jahre in
der Madras« von Calcutta bei meinem Freunde Blochmann saß und jener vor¬
treffliche Mann mir über den Kaiser Akbar Auskunft gab, da empfand ich, wie
Goethe es ausdrückt, daß das Beste, was wir von der Geschichte haben, der
Enthusiasmus ist, den sie in uns erregt. Denn auf meiner Wanderung durch
das nördliche Indien fand ich allerorten die Spuren von Akbars Thätigkeit
und die Folgen seines Wirkens, mochte es in den großen Bauten sein, die er
errichtet hat, oder in den Überlieferungen seiner gewaltigen Kriegsthaten, oder
in der weisen Anordnung der Staatsverhältnisse. Sollte dies mir nicht einen
willkommenen Anstoß geben zu einer eingehenden Beschäftigung mit dem Leben
dieses herrlichen Mannes und dem Einflüsse, welchen er auf sein Zeitalter aus¬
geübt hat? Wäre die Lebensgeschichte dieses Mannes, wie sie aus der Ge¬
schichte überhaupt hervorgewachsen ist, nicht der richtige Zielpunkt, in welchem
sich alle meine bisherigen planlosen Vorbereitungsstudicn zusammenschließen
könnten, und würde durch diesen Anschluß nicht der unverstandene Drang, dem
ich bis jetzt folgte, zweckdienliches Mittel und der ziellose Instinkt, der mich
trieb, zur vernünftig-bewußten Bestrebung werden? Würde diese Idee nicht
meine Gedanken aus dem Chaos lösen und meinem Geiste Ordnung und Ruhe
geben? Lieber Herr Professor, was sagen Sie? Ist es eine Vermessenheit
von mir, solche Gedanken zu hegen, oder können Sie mir Hoffnung geben?"
Auch der Königin Karoline deutet er an, daß er endlich eine Arbeit gefunden
habe, die für seine Lebenszeit genügen werde: „Es ist mir ein Plan im Kopfe
lebendig geworden, der mein ganzes Streben in einen Nahmen zusammenfassen
würde." Die immer mehr zunehmende Klarheit und Festigkeit dieser Überzeugung
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