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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Der Graf von Noer.

wigschen Aufstände mit ewiger Verbannung zu büßen hatte, die Londoner Welt¬
ausstellung. Das Leben in England gefiel ihm. Durch das Verweilen in den
Kolonien hatte er sich unmerklich in die englischen Sitten eingelebt. "Ich fing
an, in England heimisch zu werde" -- schreibt er --, und beschloß im Stillen
für längere Zeit dahin zurückzukehren."

Was ihn hierzu trieb, war vor allem das Bewußtsein seiner nnznlcing-
lichcu Erziehung. Schon auf der Rückkehr aus dem Orient und noch mehr in
Deutschland waren dem Prinzen bange Zweifel aufgestiegen, wie sich seine
Zukunft gestalten würde. "Es war mir allmählich klar geworden, daß Privat¬
studium ungenügend sei, um den Wissens- und Bildungsgrad zu erlangen, nach
welchem ich in leidenschaftlicher Sehnsucht strebte. Meinen Vater durfte ich bei
all seiner Liebe zu mir uicht zu Rate ziehen, denn er würde deu innerlichen
Zwiespalt, in welchem ich mich befand, nicht verstanden haben. So erwuchs
allmählich in mir der Gedanke, mich selbst jetzt noch einer Schule zu übergeben.
Aber welcher? Für ein deutsches Gymnasium war ich nicht mehr jung, für
die deutsche Universität uicht reif genug. In London hörte ich von Cambridge
und seiner Gelehrtenschule sprechen, und was ich erfuhr, schien mir für meine
Lage Passend." Im Familienrate gaben die Eltern, "die Mutter mit inner¬
lichem Verständnis, der Vater mit befremdlichem Kopfschütteln," ihre Zustimmung.
Am 2. Februar 1852 trat der Prinz in Cambridge als Follmv oomrnonsr in
das tüollöAs ok Irimt,^ ein. "Demgemäß trage ich einen blauen Talar mit
Silberlitzen, eine Art Chorrock, in dein ich mit großer Würde einherschreite."
Er kam sich in den neuen Verhältnissen zuweilen recht wunderlich vor; aber
sein cntschicdner Wille war: "Ich bin hier Schüler, nichts mehr und nichts
weniger, "ut ich will nichts andres sein."

In die Londoner Ferienzeit siel ein Besuch beim "Chevalier de Bunsen."
"Wir reisten -- so schildert er die Unterhaltung -- nach Ägypten, wo er denn
allmählich aufthaute, und uun ging es in die Wissenschaften, von Herodes zu
Pilatus und umgekehrt, daß es eine Lust war." Aus jeder Zeile des Berichtes
leuchtet die Freude darüber hervor, daß Bunsen in ihm den zukünftigen Ge¬
lehrten gespürt hatte.

Das Verhältnis zu Urqnhart ward inzwischen immer enger, der Prinz
stand im regsten Briefwechsel mit ihm und unterstützte ihn bei der Abfassung
seiner politischen Flugschriften; "ich wüßte kaum etwas, was ich ihm nicht zu
Gefallen thun möchte, wie schwer es sei." Er begleitete den Freund öfter auf
seinen Agitativnsreisen in England, nicht gerade zur Freude des Vaters. "Lieber
Papa -- schreibt er einmal --, es beunruhigt dich meine lebhafte Einbildungs¬
kraft, meine Schwärmerei für das Morgenland und alles Morgenländische,
vielleicht am meisten aber meine Freundschaft und Hochachtung für Urqnhart,
der als Verächter Europas, als fanatischer Bewunderer des Orients und als
Freund des Heidentums nun einmal angesehen wird. Wäre alles dieses in der


Der Graf von Noer.

wigschen Aufstände mit ewiger Verbannung zu büßen hatte, die Londoner Welt¬
ausstellung. Das Leben in England gefiel ihm. Durch das Verweilen in den
Kolonien hatte er sich unmerklich in die englischen Sitten eingelebt. „Ich fing
an, in England heimisch zu werde» — schreibt er —, und beschloß im Stillen
für längere Zeit dahin zurückzukehren."

Was ihn hierzu trieb, war vor allem das Bewußtsein seiner nnznlcing-
lichcu Erziehung. Schon auf der Rückkehr aus dem Orient und noch mehr in
Deutschland waren dem Prinzen bange Zweifel aufgestiegen, wie sich seine
Zukunft gestalten würde. „Es war mir allmählich klar geworden, daß Privat¬
studium ungenügend sei, um den Wissens- und Bildungsgrad zu erlangen, nach
welchem ich in leidenschaftlicher Sehnsucht strebte. Meinen Vater durfte ich bei
all seiner Liebe zu mir uicht zu Rate ziehen, denn er würde deu innerlichen
Zwiespalt, in welchem ich mich befand, nicht verstanden haben. So erwuchs
allmählich in mir der Gedanke, mich selbst jetzt noch einer Schule zu übergeben.
Aber welcher? Für ein deutsches Gymnasium war ich nicht mehr jung, für
die deutsche Universität uicht reif genug. In London hörte ich von Cambridge
und seiner Gelehrtenschule sprechen, und was ich erfuhr, schien mir für meine
Lage Passend." Im Familienrate gaben die Eltern, „die Mutter mit inner¬
lichem Verständnis, der Vater mit befremdlichem Kopfschütteln," ihre Zustimmung.
Am 2. Februar 1852 trat der Prinz in Cambridge als Follmv oomrnonsr in
das tüollöAs ok Irimt,^ ein. „Demgemäß trage ich einen blauen Talar mit
Silberlitzen, eine Art Chorrock, in dein ich mit großer Würde einherschreite."
Er kam sich in den neuen Verhältnissen zuweilen recht wunderlich vor; aber
sein cntschicdner Wille war: „Ich bin hier Schüler, nichts mehr und nichts
weniger, »ut ich will nichts andres sein."

In die Londoner Ferienzeit siel ein Besuch beim „Chevalier de Bunsen."
„Wir reisten — so schildert er die Unterhaltung — nach Ägypten, wo er denn
allmählich aufthaute, und uun ging es in die Wissenschaften, von Herodes zu
Pilatus und umgekehrt, daß es eine Lust war." Aus jeder Zeile des Berichtes
leuchtet die Freude darüber hervor, daß Bunsen in ihm den zukünftigen Ge¬
lehrten gespürt hatte.

Das Verhältnis zu Urqnhart ward inzwischen immer enger, der Prinz
stand im regsten Briefwechsel mit ihm und unterstützte ihn bei der Abfassung
seiner politischen Flugschriften; „ich wüßte kaum etwas, was ich ihm nicht zu
Gefallen thun möchte, wie schwer es sei." Er begleitete den Freund öfter auf
seinen Agitativnsreisen in England, nicht gerade zur Freude des Vaters. „Lieber
Papa — schreibt er einmal —, es beunruhigt dich meine lebhafte Einbildungs¬
kraft, meine Schwärmerei für das Morgenland und alles Morgenländische,
vielleicht am meisten aber meine Freundschaft und Hochachtung für Urqnhart,
der als Verächter Europas, als fanatischer Bewunderer des Orients und als
Freund des Heidentums nun einmal angesehen wird. Wäre alles dieses in der


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[0645] Der Graf von Noer. wigschen Aufstände mit ewiger Verbannung zu büßen hatte, die Londoner Welt¬ ausstellung. Das Leben in England gefiel ihm. Durch das Verweilen in den Kolonien hatte er sich unmerklich in die englischen Sitten eingelebt. „Ich fing an, in England heimisch zu werde» — schreibt er —, und beschloß im Stillen für längere Zeit dahin zurückzukehren." Was ihn hierzu trieb, war vor allem das Bewußtsein seiner nnznlcing- lichcu Erziehung. Schon auf der Rückkehr aus dem Orient und noch mehr in Deutschland waren dem Prinzen bange Zweifel aufgestiegen, wie sich seine Zukunft gestalten würde. „Es war mir allmählich klar geworden, daß Privat¬ studium ungenügend sei, um den Wissens- und Bildungsgrad zu erlangen, nach welchem ich in leidenschaftlicher Sehnsucht strebte. Meinen Vater durfte ich bei all seiner Liebe zu mir uicht zu Rate ziehen, denn er würde deu innerlichen Zwiespalt, in welchem ich mich befand, nicht verstanden haben. So erwuchs allmählich in mir der Gedanke, mich selbst jetzt noch einer Schule zu übergeben. Aber welcher? Für ein deutsches Gymnasium war ich nicht mehr jung, für die deutsche Universität uicht reif genug. In London hörte ich von Cambridge und seiner Gelehrtenschule sprechen, und was ich erfuhr, schien mir für meine Lage Passend." Im Familienrate gaben die Eltern, „die Mutter mit inner¬ lichem Verständnis, der Vater mit befremdlichem Kopfschütteln," ihre Zustimmung. Am 2. Februar 1852 trat der Prinz in Cambridge als Follmv oomrnonsr in das tüollöAs ok Irimt,^ ein. „Demgemäß trage ich einen blauen Talar mit Silberlitzen, eine Art Chorrock, in dein ich mit großer Würde einherschreite." Er kam sich in den neuen Verhältnissen zuweilen recht wunderlich vor; aber sein cntschicdner Wille war: „Ich bin hier Schüler, nichts mehr und nichts weniger, »ut ich will nichts andres sein." In die Londoner Ferienzeit siel ein Besuch beim „Chevalier de Bunsen." „Wir reisten — so schildert er die Unterhaltung — nach Ägypten, wo er denn allmählich aufthaute, und uun ging es in die Wissenschaften, von Herodes zu Pilatus und umgekehrt, daß es eine Lust war." Aus jeder Zeile des Berichtes leuchtet die Freude darüber hervor, daß Bunsen in ihm den zukünftigen Ge¬ lehrten gespürt hatte. Das Verhältnis zu Urqnhart ward inzwischen immer enger, der Prinz stand im regsten Briefwechsel mit ihm und unterstützte ihn bei der Abfassung seiner politischen Flugschriften; „ich wüßte kaum etwas, was ich ihm nicht zu Gefallen thun möchte, wie schwer es sei." Er begleitete den Freund öfter auf seinen Agitativnsreisen in England, nicht gerade zur Freude des Vaters. „Lieber Papa — schreibt er einmal —, es beunruhigt dich meine lebhafte Einbildungs¬ kraft, meine Schwärmerei für das Morgenland und alles Morgenländische, vielleicht am meisten aber meine Freundschaft und Hochachtung für Urqnhart, der als Verächter Europas, als fanatischer Bewunderer des Orients und als Freund des Heidentums nun einmal angesehen wird. Wäre alles dieses in der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/645>, abgerufen am 23.12.2024.