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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Deutsch-böhmische Briefe.

Tschechen. Im allgemeinen sind die Gemeinden im Osten tschechisch, die im
Westen deutsch, an der Sprachgrenze setzen sie sich aus Ortschaften zusammen,
die bald der einen, bald der andern Nationalität angehören.

Wir haben diese Gruppirung ausführlich geschildert, weil sie die Grund¬
lage der Frage bildet, welche seit einiger Zeit im böhmischen Landtage im
Vordergrunde steht und Anlasz zu den letzten Ereignissen geworden ist, die mit
dem Austritte der deutschen Mitglieder jener Versammlung endigten. Zunächst
fragt es sich hier, ob und inwiefern auch hinsichtlich der zuletzt hier aufge¬
zählten gemischten Bezirke Böhmens eine Abgrenzung durchführbar wäre, welche
den sprachlichen und nationalen Verhältnissen entsprechen würde. Darauf ist
zu antworte", daß die Sache zwar ihre Schwierigkeiten zu haben scheint, aber
keine solchen, die unüberwindlich wären. Bei der ersten Bildung der böhmischen
Gerichtsbezirke (18S0) wurde auf die Nationalität wenig Rücksicht genommen,
aber seitdem ist mancherlei geschehen, was einige derselben der Natur der Dinge
entsprechender gestaltet hat. Man hat -- die Beispiele wolle mau der ange¬
führten Schrift entnehmen -- deutsche Bezirke, die anfangs zu einem tschechischen
Gerichtssprengcl geschlagen waren, einem deutschen einverleibt, deutsche und
tschechische Bezirke neu gebildet, deutsche und tschechische Gemeinden andern
Bezirken zugewiesen, u. dergl. in. Bei der Bildung der Schnlbczirke wurde eine
Scheidung nach den Sprachen vollständig durchgeführt. Da in Böhmen Be-
zirksvertrctuugcn bestehen, die mit wichtigen Aufgaben der Selbstverwaltung
betraut und zu Verfügungen von weitgehender Bedeutung für die materiellen
Interessen der verschiednen Teile ihres Bezirks befugt sind, so ist es für das
friedliche Nebeneinanderleben höchst wünschenswert, die mit den Vertretnngsbezirken
zusammenfallenden Gerichtsbezirke national möglichst gleichartig zu gestalte".
Dies ist sogar in dem von der Mehrheit des böhmischen Landtages 1871 be¬
schlossenen Entwürfe zu einem Nationalitätcngesetze anerkannt, da derselbe im
Z 4 den Grundsatz aufstellt, die Bezirke für die Verwaltung und Rechtspflege
seien so einzuteilen, daß jeder, soweit möglich, aus Gemeinden einer und der¬
selben Nationalität zusammengesetzt sei.

Soweit möglich -- wie weit und wo? Was zuvörderst die Sprengel der
Gerichtshöfe anlangt, so ist vor allem die Ausscheidung der Bezirke Laun,
dann Raudnitz und Libochowitz ans den Sprengeln der Kreisgerichte von Brüx,
beziehungsweise Leitmeritz nicht bloß (schon der Schwurgerichte halber) not¬
wendig, sondern durch Bildung eines neuen Kreisgerichtes in Schlau oder
Nakonitz leicht zu bewerkstelligen. Ferner ist die Errichtung eines Kreisgerichts
in Trautencm für diese Stadt, Marschendorf, Schatzlar, Rochlitz, Hoheuelbe,
Arrau und Vrciuncm, dann die eines aus den deutschen Gemeinden des jetzigen
Bezirks Pölitz zu bildenden Gerichtsbezirks ebenso ausführbar als gerechtfertigt
und von der Bevölkerung gewünscht.

In Betreff der Gerichtsbezirke aber wäre nur bei einigen wenigen in Be-


Deutsch-böhmische Briefe.

Tschechen. Im allgemeinen sind die Gemeinden im Osten tschechisch, die im
Westen deutsch, an der Sprachgrenze setzen sie sich aus Ortschaften zusammen,
die bald der einen, bald der andern Nationalität angehören.

Wir haben diese Gruppirung ausführlich geschildert, weil sie die Grund¬
lage der Frage bildet, welche seit einiger Zeit im böhmischen Landtage im
Vordergrunde steht und Anlasz zu den letzten Ereignissen geworden ist, die mit
dem Austritte der deutschen Mitglieder jener Versammlung endigten. Zunächst
fragt es sich hier, ob und inwiefern auch hinsichtlich der zuletzt hier aufge¬
zählten gemischten Bezirke Böhmens eine Abgrenzung durchführbar wäre, welche
den sprachlichen und nationalen Verhältnissen entsprechen würde. Darauf ist
zu antworte», daß die Sache zwar ihre Schwierigkeiten zu haben scheint, aber
keine solchen, die unüberwindlich wären. Bei der ersten Bildung der böhmischen
Gerichtsbezirke (18S0) wurde auf die Nationalität wenig Rücksicht genommen,
aber seitdem ist mancherlei geschehen, was einige derselben der Natur der Dinge
entsprechender gestaltet hat. Man hat — die Beispiele wolle mau der ange¬
führten Schrift entnehmen — deutsche Bezirke, die anfangs zu einem tschechischen
Gerichtssprengcl geschlagen waren, einem deutschen einverleibt, deutsche und
tschechische Bezirke neu gebildet, deutsche und tschechische Gemeinden andern
Bezirken zugewiesen, u. dergl. in. Bei der Bildung der Schnlbczirke wurde eine
Scheidung nach den Sprachen vollständig durchgeführt. Da in Böhmen Be-
zirksvertrctuugcn bestehen, die mit wichtigen Aufgaben der Selbstverwaltung
betraut und zu Verfügungen von weitgehender Bedeutung für die materiellen
Interessen der verschiednen Teile ihres Bezirks befugt sind, so ist es für das
friedliche Nebeneinanderleben höchst wünschenswert, die mit den Vertretnngsbezirken
zusammenfallenden Gerichtsbezirke national möglichst gleichartig zu gestalte».
Dies ist sogar in dem von der Mehrheit des böhmischen Landtages 1871 be¬
schlossenen Entwürfe zu einem Nationalitätcngesetze anerkannt, da derselbe im
Z 4 den Grundsatz aufstellt, die Bezirke für die Verwaltung und Rechtspflege
seien so einzuteilen, daß jeder, soweit möglich, aus Gemeinden einer und der¬
selben Nationalität zusammengesetzt sei.

Soweit möglich — wie weit und wo? Was zuvörderst die Sprengel der
Gerichtshöfe anlangt, so ist vor allem die Ausscheidung der Bezirke Laun,
dann Raudnitz und Libochowitz ans den Sprengeln der Kreisgerichte von Brüx,
beziehungsweise Leitmeritz nicht bloß (schon der Schwurgerichte halber) not¬
wendig, sondern durch Bildung eines neuen Kreisgerichtes in Schlau oder
Nakonitz leicht zu bewerkstelligen. Ferner ist die Errichtung eines Kreisgerichts
in Trautencm für diese Stadt, Marschendorf, Schatzlar, Rochlitz, Hoheuelbe,
Arrau und Vrciuncm, dann die eines aus den deutschen Gemeinden des jetzigen
Bezirks Pölitz zu bildenden Gerichtsbezirks ebenso ausführbar als gerechtfertigt
und von der Bevölkerung gewünscht.

In Betreff der Gerichtsbezirke aber wäre nur bei einigen wenigen in Be-


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[0637] Deutsch-böhmische Briefe. Tschechen. Im allgemeinen sind die Gemeinden im Osten tschechisch, die im Westen deutsch, an der Sprachgrenze setzen sie sich aus Ortschaften zusammen, die bald der einen, bald der andern Nationalität angehören. Wir haben diese Gruppirung ausführlich geschildert, weil sie die Grund¬ lage der Frage bildet, welche seit einiger Zeit im böhmischen Landtage im Vordergrunde steht und Anlasz zu den letzten Ereignissen geworden ist, die mit dem Austritte der deutschen Mitglieder jener Versammlung endigten. Zunächst fragt es sich hier, ob und inwiefern auch hinsichtlich der zuletzt hier aufge¬ zählten gemischten Bezirke Böhmens eine Abgrenzung durchführbar wäre, welche den sprachlichen und nationalen Verhältnissen entsprechen würde. Darauf ist zu antworte», daß die Sache zwar ihre Schwierigkeiten zu haben scheint, aber keine solchen, die unüberwindlich wären. Bei der ersten Bildung der böhmischen Gerichtsbezirke (18S0) wurde auf die Nationalität wenig Rücksicht genommen, aber seitdem ist mancherlei geschehen, was einige derselben der Natur der Dinge entsprechender gestaltet hat. Man hat — die Beispiele wolle mau der ange¬ führten Schrift entnehmen — deutsche Bezirke, die anfangs zu einem tschechischen Gerichtssprengcl geschlagen waren, einem deutschen einverleibt, deutsche und tschechische Bezirke neu gebildet, deutsche und tschechische Gemeinden andern Bezirken zugewiesen, u. dergl. in. Bei der Bildung der Schnlbczirke wurde eine Scheidung nach den Sprachen vollständig durchgeführt. Da in Böhmen Be- zirksvertrctuugcn bestehen, die mit wichtigen Aufgaben der Selbstverwaltung betraut und zu Verfügungen von weitgehender Bedeutung für die materiellen Interessen der verschiednen Teile ihres Bezirks befugt sind, so ist es für das friedliche Nebeneinanderleben höchst wünschenswert, die mit den Vertretnngsbezirken zusammenfallenden Gerichtsbezirke national möglichst gleichartig zu gestalte». Dies ist sogar in dem von der Mehrheit des böhmischen Landtages 1871 be¬ schlossenen Entwürfe zu einem Nationalitätcngesetze anerkannt, da derselbe im Z 4 den Grundsatz aufstellt, die Bezirke für die Verwaltung und Rechtspflege seien so einzuteilen, daß jeder, soweit möglich, aus Gemeinden einer und der¬ selben Nationalität zusammengesetzt sei. Soweit möglich — wie weit und wo? Was zuvörderst die Sprengel der Gerichtshöfe anlangt, so ist vor allem die Ausscheidung der Bezirke Laun, dann Raudnitz und Libochowitz ans den Sprengeln der Kreisgerichte von Brüx, beziehungsweise Leitmeritz nicht bloß (schon der Schwurgerichte halber) not¬ wendig, sondern durch Bildung eines neuen Kreisgerichtes in Schlau oder Nakonitz leicht zu bewerkstelligen. Ferner ist die Errichtung eines Kreisgerichts in Trautencm für diese Stadt, Marschendorf, Schatzlar, Rochlitz, Hoheuelbe, Arrau und Vrciuncm, dann die eines aus den deutschen Gemeinden des jetzigen Bezirks Pölitz zu bildenden Gerichtsbezirks ebenso ausführbar als gerechtfertigt und von der Bevölkerung gewünscht. In Betreff der Gerichtsbezirke aber wäre nur bei einigen wenigen in Be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/637>, abgerufen am 23.12.2024.