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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Deutsch-böhmische Briefe.

Bezirke des Sprengels Leipa (Leipa, Haida, Niemes, Zwickau, Kaunitz, Danda,
Rumburg, Warnsdorf, Schluckcnciu und Hainspach) sind ausnahmslos deutsch.
Sie haben eine zuständige Bevölkerung von 239858 Deutschen und nur 920
Tschechen. Endlich umfaßt der Reichenberger Sprengel ebenfalls nur deutsche
Bezirke (Reichenberg, Gablonz, Tannwald, Friedland, Gabel und Kratzen).
Unter den Zuständigen befinden sich 208388 mit deutscher, 6277 mit tschechischer
und 23 mit andrer Umgangssprache. Ein Rückblick ergiebt folgende Thatsachen:
Die aufgezählten fünfundfünfzig Gerichtsbezirke haben eine zuständige Bevöl¬
kerung von 1349S60 Seelen und darunter sind 1322470 oder 98 Prozent
Deutsche und 26982 oder 2 Prozent Tschechen, ein Verhältnis, welches für
die deutsche Bevölkerung viel günstiger ist als das in Niederösterreich bestehende
von 96,86 und 2,82 Prozent. In neunundzwanzig von jenen Bezirken sinkt
der Anteil der tschechischen Umgangssprache unter ein halbes Prozent, ja in
fünfzehn derselben beträgt er nicht einmal ein Zehntelprozent, sodaß erst auf
mehrere tausend Einwohner ein Tscheche fällt. In den Bezirken Asch, Plan,
Königswart und Weseritz mit ihren 80 893 Einwohnern giebt es gar keine Person
mit tschechischer Umgangssprache.

Die andre große Gruppe des deutschen Sprachgebietes in Böhmen teilt
sich in vier kleinere, von denen drei durchweg an der Landesgrenze liegen. Die
nördliche umschließt die zusammenhängenden Bezirke Rochlitz, der an den zum
Reichenberger Sprengel gehörenden deutschen Bezirk Tannwald stößt, Hohenelbe,
Arrau, Schcchlar, Marschendorf und Trautenau, dann den Bezirk Braunau, der
durch den deutschen Teil des gemischten Bezirks Pölitz mit Trantcncm in Ver¬
bindung steht, und hat 134609 zuständige Einwohner mit deutscher und 4924
mit tschechischer Umgangssprache. Viel weniger günstig ist die geographische
Lage der fünf deutschen Bezirke an der Ostgrenze (Rokitnitz, Grullas, Stecken,
Neubistritz und Grätzer), welche die zweite Gruppe bilden. Namentlich die drei
ersten sind wegen ihrer Jsolirung mehr als andre in Gefahr, ihre deutsche
Nationalität einzubüßen. Rokitnitz und Grullas stoßen aneinander, Grätzer
aber hängt durch den fast ganz deutschen Bezirk Kaplitz mit den deutschen Be¬
zirken des Böhmerwaldes zusammen. Die zuständige Bevölkerung der Gruppe
zählt 73344 Personen mit deutscher und 4850 mit tschechischer Umgangssprache.
Die dritte Gruppe besteht aus den deutschen Böhmerwaldbezirkcn Hohenfnrt,
Oberplan, Wallern, Hartmanitz, Neuern, Ronsperg und Hostau, die nnter ein¬
ander teils unmittelbar, teils durch die deutschen Teile der gemischten Bezirke
Prachatiz, Winterberg, Bergreichenstein, Nengedein und Taus zusammenhängen,
und deren zuständige Bevölkerung 93 619 Personen mit deutscher und 932 mit
tschechischer Umgangssprache zählt. Die ungünstigsten Verhältnisse hinsichtlich
der Umgangssprache zeigt die vierte Gruppe, welche im Innern des Landes
liegt und in die drei Bezirke Mich, Tuschkau und Staab zerfällt. Der vor¬
letzte Zensus wies hier S2046 Zuständige mit deutscher Zunge und 74S6 mit


Deutsch-böhmische Briefe.

Bezirke des Sprengels Leipa (Leipa, Haida, Niemes, Zwickau, Kaunitz, Danda,
Rumburg, Warnsdorf, Schluckcnciu und Hainspach) sind ausnahmslos deutsch.
Sie haben eine zuständige Bevölkerung von 239858 Deutschen und nur 920
Tschechen. Endlich umfaßt der Reichenberger Sprengel ebenfalls nur deutsche
Bezirke (Reichenberg, Gablonz, Tannwald, Friedland, Gabel und Kratzen).
Unter den Zuständigen befinden sich 208388 mit deutscher, 6277 mit tschechischer
und 23 mit andrer Umgangssprache. Ein Rückblick ergiebt folgende Thatsachen:
Die aufgezählten fünfundfünfzig Gerichtsbezirke haben eine zuständige Bevöl¬
kerung von 1349S60 Seelen und darunter sind 1322470 oder 98 Prozent
Deutsche und 26982 oder 2 Prozent Tschechen, ein Verhältnis, welches für
die deutsche Bevölkerung viel günstiger ist als das in Niederösterreich bestehende
von 96,86 und 2,82 Prozent. In neunundzwanzig von jenen Bezirken sinkt
der Anteil der tschechischen Umgangssprache unter ein halbes Prozent, ja in
fünfzehn derselben beträgt er nicht einmal ein Zehntelprozent, sodaß erst auf
mehrere tausend Einwohner ein Tscheche fällt. In den Bezirken Asch, Plan,
Königswart und Weseritz mit ihren 80 893 Einwohnern giebt es gar keine Person
mit tschechischer Umgangssprache.

Die andre große Gruppe des deutschen Sprachgebietes in Böhmen teilt
sich in vier kleinere, von denen drei durchweg an der Landesgrenze liegen. Die
nördliche umschließt die zusammenhängenden Bezirke Rochlitz, der an den zum
Reichenberger Sprengel gehörenden deutschen Bezirk Tannwald stößt, Hohenelbe,
Arrau, Schcchlar, Marschendorf und Trautenau, dann den Bezirk Braunau, der
durch den deutschen Teil des gemischten Bezirks Pölitz mit Trantcncm in Ver¬
bindung steht, und hat 134609 zuständige Einwohner mit deutscher und 4924
mit tschechischer Umgangssprache. Viel weniger günstig ist die geographische
Lage der fünf deutschen Bezirke an der Ostgrenze (Rokitnitz, Grullas, Stecken,
Neubistritz und Grätzer), welche die zweite Gruppe bilden. Namentlich die drei
ersten sind wegen ihrer Jsolirung mehr als andre in Gefahr, ihre deutsche
Nationalität einzubüßen. Rokitnitz und Grullas stoßen aneinander, Grätzer
aber hängt durch den fast ganz deutschen Bezirk Kaplitz mit den deutschen Be¬
zirken des Böhmerwaldes zusammen. Die zuständige Bevölkerung der Gruppe
zählt 73344 Personen mit deutscher und 4850 mit tschechischer Umgangssprache.
Die dritte Gruppe besteht aus den deutschen Böhmerwaldbezirkcn Hohenfnrt,
Oberplan, Wallern, Hartmanitz, Neuern, Ronsperg und Hostau, die nnter ein¬
ander teils unmittelbar, teils durch die deutschen Teile der gemischten Bezirke
Prachatiz, Winterberg, Bergreichenstein, Nengedein und Taus zusammenhängen,
und deren zuständige Bevölkerung 93 619 Personen mit deutscher und 932 mit
tschechischer Umgangssprache zählt. Die ungünstigsten Verhältnisse hinsichtlich
der Umgangssprache zeigt die vierte Gruppe, welche im Innern des Landes
liegt und in die drei Bezirke Mich, Tuschkau und Staab zerfällt. Der vor¬
letzte Zensus wies hier S2046 Zuständige mit deutscher Zunge und 74S6 mit


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[0634] Deutsch-böhmische Briefe. Bezirke des Sprengels Leipa (Leipa, Haida, Niemes, Zwickau, Kaunitz, Danda, Rumburg, Warnsdorf, Schluckcnciu und Hainspach) sind ausnahmslos deutsch. Sie haben eine zuständige Bevölkerung von 239858 Deutschen und nur 920 Tschechen. Endlich umfaßt der Reichenberger Sprengel ebenfalls nur deutsche Bezirke (Reichenberg, Gablonz, Tannwald, Friedland, Gabel und Kratzen). Unter den Zuständigen befinden sich 208388 mit deutscher, 6277 mit tschechischer und 23 mit andrer Umgangssprache. Ein Rückblick ergiebt folgende Thatsachen: Die aufgezählten fünfundfünfzig Gerichtsbezirke haben eine zuständige Bevöl¬ kerung von 1349S60 Seelen und darunter sind 1322470 oder 98 Prozent Deutsche und 26982 oder 2 Prozent Tschechen, ein Verhältnis, welches für die deutsche Bevölkerung viel günstiger ist als das in Niederösterreich bestehende von 96,86 und 2,82 Prozent. In neunundzwanzig von jenen Bezirken sinkt der Anteil der tschechischen Umgangssprache unter ein halbes Prozent, ja in fünfzehn derselben beträgt er nicht einmal ein Zehntelprozent, sodaß erst auf mehrere tausend Einwohner ein Tscheche fällt. In den Bezirken Asch, Plan, Königswart und Weseritz mit ihren 80 893 Einwohnern giebt es gar keine Person mit tschechischer Umgangssprache. Die andre große Gruppe des deutschen Sprachgebietes in Böhmen teilt sich in vier kleinere, von denen drei durchweg an der Landesgrenze liegen. Die nördliche umschließt die zusammenhängenden Bezirke Rochlitz, der an den zum Reichenberger Sprengel gehörenden deutschen Bezirk Tannwald stößt, Hohenelbe, Arrau, Schcchlar, Marschendorf und Trautenau, dann den Bezirk Braunau, der durch den deutschen Teil des gemischten Bezirks Pölitz mit Trantcncm in Ver¬ bindung steht, und hat 134609 zuständige Einwohner mit deutscher und 4924 mit tschechischer Umgangssprache. Viel weniger günstig ist die geographische Lage der fünf deutschen Bezirke an der Ostgrenze (Rokitnitz, Grullas, Stecken, Neubistritz und Grätzer), welche die zweite Gruppe bilden. Namentlich die drei ersten sind wegen ihrer Jsolirung mehr als andre in Gefahr, ihre deutsche Nationalität einzubüßen. Rokitnitz und Grullas stoßen aneinander, Grätzer aber hängt durch den fast ganz deutschen Bezirk Kaplitz mit den deutschen Be¬ zirken des Böhmerwaldes zusammen. Die zuständige Bevölkerung der Gruppe zählt 73344 Personen mit deutscher und 4850 mit tschechischer Umgangssprache. Die dritte Gruppe besteht aus den deutschen Böhmerwaldbezirkcn Hohenfnrt, Oberplan, Wallern, Hartmanitz, Neuern, Ronsperg und Hostau, die nnter ein¬ ander teils unmittelbar, teils durch die deutschen Teile der gemischten Bezirke Prachatiz, Winterberg, Bergreichenstein, Nengedein und Taus zusammenhängen, und deren zuständige Bevölkerung 93 619 Personen mit deutscher und 932 mit tschechischer Umgangssprache zählt. Die ungünstigsten Verhältnisse hinsichtlich der Umgangssprache zeigt die vierte Gruppe, welche im Innern des Landes liegt und in die drei Bezirke Mich, Tuschkau und Staab zerfällt. Der vor¬ letzte Zensus wies hier S2046 Zuständige mit deutscher Zunge und 74S6 mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/634>, abgerufen am 01.10.2024.