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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Zugenderinnerungen.-

Waden schlotternden weichen Stiefelschäfte mit Lederriemchen befestigt wurden.
Auf äußerliche Nettigkeit in Bezug auf die Kleidung legten die Gottesgelehrten
damaliger Tage nur geringen Wert. Man bekam daher auf jenen Prcdiger-
konferenzen Röcke von unsagbar komischem Schnitt und oft von fabelhaftem
Alter zu Gesicht. Ohne jegliche Taille hingen diese Röcke ihren ehrwürdigen
Trägern gewöhnlich bis auf die Knöchel herab und schlotterten bei raschem
Gehen in malerischen Windungen um die Beine. Ganz besonders auffallend
war mir, daß diesen wackern Verkündigen, des Evangeliums fast regelmäßig
aus der einen Rocktasche ein langer Zipfel des rot- und blaugewürfelten Sack¬
tuches heraushing, und ich hatte stark mit dem Gelüst zu kämpfen, diese Zierde
durch kecken Griff noch ein wenig zu verlängern.

Dennoch flößte mir die Gesellschaft dieser zum Teil gelehrten Männer
Respekt ein, besonders als ich bald den einen oder den andern in der Kon¬
ferenz über Gegenstünde sprechen hörte, die nur selbstverständlich böhmische
Dörfer waren. Ich hörte mit großer Aufmerksamkeit zu, um womöglich etwas
mich Fesselndes aus den mitunter ziemlich langatmigen Reden herauszufinden.
Dies wollte jedoch nicht gelingen, denn die Verhandlungen drehten sich aus¬
schließlich um Missionsangelegenheiten oder knüpften an briefliche Mitteilungen
fernlebcnder Missionäre an, welche der Vorsitzende mit weicher, salbungsvoller
Stimme vorlas. Leider wurde mir der Wunsch, einen wirklichen Missionär,
welcher den Heiden das Christentum gepredigt hatte, von Angesicht zu Ange¬
sicht zu sehen, nicht erfüllt.

Nach Beendigung der Konferenz wurde die noch übrige Zeit zu Besuchen
im Brüder- und Schwesternhause verwendet, deren sauber gehaltene Räumlich¬
keiten auf jedermann einen wohlthuenden Eindruck machen mußten. Da äußerer
Schmuck und Prunk dem einfachen Sinne der Brüdergemeinde widerstrebt, der
nur geringen Wert auf die Vergänglichkeit irdischer Güter legt, so gab es in
den genannten Hünsern keinerlei Zierrat. Der Hausrat war mehr als einfach,
die Wände aller Zimmer waren weiß gelallt und weder dnrch Gemälde noch durch
Kupferstiche geschmückt. Mit dieser Einfachheit stand die bescheidne, fast nonnen-
hafte Tracht der Herrnhuteriunen in vollkommensten Einklang. Jungen und
hübschen Gesichtern verlieh insbesondre der eigentümliche Schnitt des schlichten,
glatt anliegenden Häubchens, das ein breites, rosa- oder blauseidenes Band
unter dem Kinn festhielt, etwas Madonnenhaftes. Selbst ältere Personen kleidete
dies Häubchen gut; ohne dasselbe erschienen nur dienende Frauen, welche der
Brüdergemeinde nicht angehörten.

Bei günstigem Wetter pflegten wir regelmäßig auch den Kirchhof der Ge¬
meinde zu besuchen. Dieser liegt im Nordosten des Ortes und hängt mit ihm
durch eine wohlgepflcgte Lindenallee zusammen. Die Lage des Vegräbnisplatzes
der Brüder und Schwestern ist frei, sonnig und höchst anmutig am AbHange
des Hutberges, dessen Höhe eine Ausschau, das Observatorium genannt, schmückt.


Zugenderinnerungen.-

Waden schlotternden weichen Stiefelschäfte mit Lederriemchen befestigt wurden.
Auf äußerliche Nettigkeit in Bezug auf die Kleidung legten die Gottesgelehrten
damaliger Tage nur geringen Wert. Man bekam daher auf jenen Prcdiger-
konferenzen Röcke von unsagbar komischem Schnitt und oft von fabelhaftem
Alter zu Gesicht. Ohne jegliche Taille hingen diese Röcke ihren ehrwürdigen
Trägern gewöhnlich bis auf die Knöchel herab und schlotterten bei raschem
Gehen in malerischen Windungen um die Beine. Ganz besonders auffallend
war mir, daß diesen wackern Verkündigen, des Evangeliums fast regelmäßig
aus der einen Rocktasche ein langer Zipfel des rot- und blaugewürfelten Sack¬
tuches heraushing, und ich hatte stark mit dem Gelüst zu kämpfen, diese Zierde
durch kecken Griff noch ein wenig zu verlängern.

Dennoch flößte mir die Gesellschaft dieser zum Teil gelehrten Männer
Respekt ein, besonders als ich bald den einen oder den andern in der Kon¬
ferenz über Gegenstünde sprechen hörte, die nur selbstverständlich böhmische
Dörfer waren. Ich hörte mit großer Aufmerksamkeit zu, um womöglich etwas
mich Fesselndes aus den mitunter ziemlich langatmigen Reden herauszufinden.
Dies wollte jedoch nicht gelingen, denn die Verhandlungen drehten sich aus¬
schließlich um Missionsangelegenheiten oder knüpften an briefliche Mitteilungen
fernlebcnder Missionäre an, welche der Vorsitzende mit weicher, salbungsvoller
Stimme vorlas. Leider wurde mir der Wunsch, einen wirklichen Missionär,
welcher den Heiden das Christentum gepredigt hatte, von Angesicht zu Ange¬
sicht zu sehen, nicht erfüllt.

Nach Beendigung der Konferenz wurde die noch übrige Zeit zu Besuchen
im Brüder- und Schwesternhause verwendet, deren sauber gehaltene Räumlich¬
keiten auf jedermann einen wohlthuenden Eindruck machen mußten. Da äußerer
Schmuck und Prunk dem einfachen Sinne der Brüdergemeinde widerstrebt, der
nur geringen Wert auf die Vergänglichkeit irdischer Güter legt, so gab es in
den genannten Hünsern keinerlei Zierrat. Der Hausrat war mehr als einfach,
die Wände aller Zimmer waren weiß gelallt und weder dnrch Gemälde noch durch
Kupferstiche geschmückt. Mit dieser Einfachheit stand die bescheidne, fast nonnen-
hafte Tracht der Herrnhuteriunen in vollkommensten Einklang. Jungen und
hübschen Gesichtern verlieh insbesondre der eigentümliche Schnitt des schlichten,
glatt anliegenden Häubchens, das ein breites, rosa- oder blauseidenes Band
unter dem Kinn festhielt, etwas Madonnenhaftes. Selbst ältere Personen kleidete
dies Häubchen gut; ohne dasselbe erschienen nur dienende Frauen, welche der
Brüdergemeinde nicht angehörten.

Bei günstigem Wetter pflegten wir regelmäßig auch den Kirchhof der Ge¬
meinde zu besuchen. Dieser liegt im Nordosten des Ortes und hängt mit ihm
durch eine wohlgepflcgte Lindenallee zusammen. Die Lage des Vegräbnisplatzes
der Brüder und Schwestern ist frei, sonnig und höchst anmutig am AbHange
des Hutberges, dessen Höhe eine Ausschau, das Observatorium genannt, schmückt.


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[0619] Zugenderinnerungen.- Waden schlotternden weichen Stiefelschäfte mit Lederriemchen befestigt wurden. Auf äußerliche Nettigkeit in Bezug auf die Kleidung legten die Gottesgelehrten damaliger Tage nur geringen Wert. Man bekam daher auf jenen Prcdiger- konferenzen Röcke von unsagbar komischem Schnitt und oft von fabelhaftem Alter zu Gesicht. Ohne jegliche Taille hingen diese Röcke ihren ehrwürdigen Trägern gewöhnlich bis auf die Knöchel herab und schlotterten bei raschem Gehen in malerischen Windungen um die Beine. Ganz besonders auffallend war mir, daß diesen wackern Verkündigen, des Evangeliums fast regelmäßig aus der einen Rocktasche ein langer Zipfel des rot- und blaugewürfelten Sack¬ tuches heraushing, und ich hatte stark mit dem Gelüst zu kämpfen, diese Zierde durch kecken Griff noch ein wenig zu verlängern. Dennoch flößte mir die Gesellschaft dieser zum Teil gelehrten Männer Respekt ein, besonders als ich bald den einen oder den andern in der Kon¬ ferenz über Gegenstünde sprechen hörte, die nur selbstverständlich böhmische Dörfer waren. Ich hörte mit großer Aufmerksamkeit zu, um womöglich etwas mich Fesselndes aus den mitunter ziemlich langatmigen Reden herauszufinden. Dies wollte jedoch nicht gelingen, denn die Verhandlungen drehten sich aus¬ schließlich um Missionsangelegenheiten oder knüpften an briefliche Mitteilungen fernlebcnder Missionäre an, welche der Vorsitzende mit weicher, salbungsvoller Stimme vorlas. Leider wurde mir der Wunsch, einen wirklichen Missionär, welcher den Heiden das Christentum gepredigt hatte, von Angesicht zu Ange¬ sicht zu sehen, nicht erfüllt. Nach Beendigung der Konferenz wurde die noch übrige Zeit zu Besuchen im Brüder- und Schwesternhause verwendet, deren sauber gehaltene Räumlich¬ keiten auf jedermann einen wohlthuenden Eindruck machen mußten. Da äußerer Schmuck und Prunk dem einfachen Sinne der Brüdergemeinde widerstrebt, der nur geringen Wert auf die Vergänglichkeit irdischer Güter legt, so gab es in den genannten Hünsern keinerlei Zierrat. Der Hausrat war mehr als einfach, die Wände aller Zimmer waren weiß gelallt und weder dnrch Gemälde noch durch Kupferstiche geschmückt. Mit dieser Einfachheit stand die bescheidne, fast nonnen- hafte Tracht der Herrnhuteriunen in vollkommensten Einklang. Jungen und hübschen Gesichtern verlieh insbesondre der eigentümliche Schnitt des schlichten, glatt anliegenden Häubchens, das ein breites, rosa- oder blauseidenes Band unter dem Kinn festhielt, etwas Madonnenhaftes. Selbst ältere Personen kleidete dies Häubchen gut; ohne dasselbe erschienen nur dienende Frauen, welche der Brüdergemeinde nicht angehörten. Bei günstigem Wetter pflegten wir regelmäßig auch den Kirchhof der Ge¬ meinde zu besuchen. Dieser liegt im Nordosten des Ortes und hängt mit ihm durch eine wohlgepflcgte Lindenallee zusammen. Die Lage des Vegräbnisplatzes der Brüder und Schwestern ist frei, sonnig und höchst anmutig am AbHange des Hutberges, dessen Höhe eine Ausschau, das Observatorium genannt, schmückt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/619>, abgerufen am 23.12.2024.